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      Aber wo soll ich anfangen? Wie könnte jemand, der den Umbruch nicht miterlebt hat, überhaupt meinen Gedankengängen folgen?

       Sommer, Tag1, Jahr1

      Ich habe beschlossen, die Zeitrechnung einfach ab heute beginnen zu lassen. Dieser Tag ist so gut wie jeder andere dafür geeignet.

      Die Menschheit ist in einem miserablen Zustand. Von Jahr zu Jahr ist der Verfall deutlicher zu beobachten. Was für ein Gegensatz zu früher. In der Vorkleinzeit und besonders kurz danach lebte die Menschheit im Luxus. Es fehlte eigentlich Keinem an wirklich wichtigen Dingen. Es gab keine Hungersnöte und die meiste schwere Arbeit wurde von Maschinen durchgeführt. Und heute? Heute kennt kein Mensch mehr Maschinen. Die Menschen vegetieren nur noch dahin. Wie konnte es nur so weit kommen?

       Sommer, Tag 5, Jahr1

      In den letzten Tagen bin ich nur knapp dem Tode entkommen. Woher kommt nur der unermessliche Hass der normalen Menschen auf uns Jungmenschen? Jetzt bin ich wieder auf der Flucht, wie eigentlich die meiste Zeit meines Lebens. Aber fliehe ich nur vor den unverbesserlichen und hasserfüllten Menschen oder fliehe ich doch mehr vor meinen eigenen Erinnerungen, die mich jede Nacht wieder einholen?

      Die guten Erinnerungen aus der Vorkleinzeit sind schon fast vollständig verblasst. Geblieben sind nur die Albträume.

       Sommer, Tag 30, Jahr1

      Nach langem grübeln kann ich mich doch noch an den Anfang erinnern. Zumindest hoffe ich, dass es wirkliche Erinnerungen sind und nicht irgendwelche Halluzinationen. Ich sehe noch die Maschine, in die ich klettern musste und aus der ich dann mit meiner jetzigen Körpergröße von ca. 37cm und mit dem Versprechen des ewigen Lebens wieder verließ. Was für eine Errungenschaft der Technik! Die Probleme der Menschheit waren mit einem Schlag vorbei. Durch die Verkleinerung gab es genug Essen für alle auf dieser Welt und zudem war das Altern, der Verfall des Körpers besiegt. Warum konnten die Menschen nicht zufrieden damit sein? Aber nein es gab noch genauso viel Hass, Intrigen und Missgunst.

      Jedenfalls war dies wohl der glücklichste Tag in meinem langen Leben. Danach sollte es nur noch schlechter werden.

       Herbst, Tag103, Jahr1

      In letzter Zeit habe ich keine Gelegenheit gehabt auch nur ein paar Zeilen zu schreiben.

      Die Tage werden merklich kühler und langsam muss ich mich auf den Winter vorbereiten. Leider habe ich noch immer keine Unterkunft gefunden und außerdem ist dieses Jahr besonders mies gelaufen. Mein Geld ist fast aufgebraucht. Wie soll ich nur die kalte Jahreszeit überstehen?

      In den letzten Wochen habe ich darüber nachgedacht, warum sich das alte Leben so plötzlich in diesen barbarischen Horror verwandelte. Natürlich hat der große Krieg dazu geführt. Aber ich kann mich nicht mehr erinnern, weshalb er ausgebrochen ist. Auf jeden Fall war er wirklich verheerend. Nachdem ganze Länder durch den radioaktiven Fallout unbewohnbar geworden waren und die Menschen nur noch ums nackte Überleben kämpften, kam der Todesstoß für die kultivierte Menschheit. Die Kinder die geboren wurden, besaßen nur in seltenen Fällen die Gabe des nicht Alterns und das alte Wissen darüber war im Krieg verlorengegangen.

      Es dauerte dann nicht mehr lange und es gab mehr normale Menschen als uns Jungmenschen, wie wir dann genannt wurden. Und kurz darauf wurden wir Jungmenschen zu Gejagten.

      Ich glaube nicht, dass viele von uns Jungmenschen diese Zeit überlebt hatten.

      Entsetzt blickte Daniel auf. Er wollte den Rest dieser Aufzeichnung gar nicht mehr lesen. Das, was dort in diesem kleinen, schmuddeligen Buch stand, durfte auf keinen Fall Verbreitung finden. Die Grundfeste der Kirche würden erschüttert werden.

      Nachdenklich blickte er auf den eingeschlafenen Gardisten. Es war gut dass er diesen teuflischen Jungmenschen getötet hatte. Aber wie viel wusste er?

      Mit ehrlichem Bedauern erhob sich Daniel und ging leise zu dem Schlafenden. Aus seiner Kutte kramte er eine lange Nadel heraus und beträufelte sie mit einer klebrigen Flüssigkeit. Mit einem stummen Gebet stach er die Nadel Achaz mit Wucht mitten in die Brust. Ein schmerzhafter Aufschrei und der Gardist sackte in sich zusammen, als das Gift sein Leben auslöschte.

      Nach einem kurzen Gebet für den Verstorbenen legte Daniel das Tagebuch neben die Leiche auf das Strohbett, nahm sich einen glühenden Holzscheit aus dem Kamin und zündete damit das Stroh an. Ohne sich noch mal umzuschauen, verließ der Priester die kleine Hütte und trat in die Kälte hinaus. Mit schnellen Schritten machte er sich auf den Weg zu seiner Unterkunft, während hinter ihm die Flammen die letzten Beweise vernichteten.

      Begegnung

      Es war ein schöner, warmer Tag im April, der sich langsam seinem Ende zuneigte. Die hereinbrechende Dämmerung verlieh dem kleinen Ort einen romantischen Sonnenuntergang. Die wenigen Dorfbewohner gingen ihren letzten Beschäftigungen nach, bevor sie in ihre Häuser heimkehren würden.

      Wie jeden Abend, machte Amber sich noch zum Dorfbrunnen auf den Weg, um zwei Eimer Wasser zu holen. Sie war ein Mädchen von 17 Jahren mit braunem, langem Haar, hinten zu einem Zopf gebunden. Ihr schlanker Körper, der mit 33 cm eine durchschnittliche Größe besaß, wies keinen erkennbaren Makel auf.

      Schnellen Schrittes ging sie die staubige Straße entlang. Rechts und links standen die kleinen und heruntergekommenen Hütten der Dorfbewohner. Das einzige größere Gebäude war das Gemeindehaus und auch dieses Bauwerk gab ein Zeugnis dafür ab, dass das Dorf sehr arm war. Hauptsächlich lebten die wenigen Einwohner von der Landwirtschaft und dabei kam kaum mehr heraus, als zum kärglichen Überleben notwendig war.

      Für Amber indes, war es ein ganz normaler Anblick, den sie schon aus ihrer Kindheit kannte. In all den Jahren hatte es kaum Veränderungen gegeben, wenn man davon absah, dass die Häuser jedes Jahr etwas mehr verfielen und immer wieder notdürftig repariert wurden.

      Der Weg von ihrem Zuhause bis zum einzigen Dorfbrunnen war nicht weit, doch nach diesem anstrengenden Tag auf dem Feld wollte sie ihre letzte Pflicht möglichst schnell erledigen.

      Endlich erreichte sie die Ecke des Gemeindehauses und konnte ungehindert zum Brunnen schauen. Mit Freude erkannte sie Jasmin, ihre beste Freundin, die sich gerade abmühte ihre Eimer mit Wasser zu füllen. Schnell ging sie zu ihrer Freundin und klopfte ihr von hinten auf den Rücken. Erschrocken ließ Jasmin ihren vollen Eimer fallen und drehte sich um.

      „Man, hast Du mich aber erschreckt.“

      „Tut mir leid. Du bist mir doch nicht böse?“, fragte Amber besorgt.

      „Nein, natürlich nicht“, erwiderte Jasmin und mit einem breiten Grinsen fügte sie hinzu: „Heute könnte ich glaube ich niemanden böse sein. Es ist nämlich etwas Großartiges geschehen!“

      Und als Jasmin keine weiteren Anstalten machte ihr die Neuigkeiten zu erzählen, sondern nur mit diesem Grinsen im Gesicht da stand, fragte Amber endlich: „Nun sag schon, was ist denn so Tolles passiert?“

      „Ich werde vermählt!“, platzte es triumphierend aus Jasmin heraus.

      „Heute haben mir meine Eltern mitgeteilt, dass sie mich einem reichen, einflussreichen Händler aus der Stadt versprochen haben. Und stell Dir vor: Er soll noch nicht einmal soo alt sein!“

      „Wirklich? Das ist ja großartig! Erzähl schon, wann wirst Du Deinen Bräutigam kennenlernen und wann soll die Hochzeit sein?“, fragte Amber neugierig nach.

      „Er wird nächste Woche hier erwartet. Dann sollen auch alle weiteren Dinge besprochen werden. Der Hochzeitstermin ist noch nicht festgelegt, wird aber wohl irgendwann im Juni stattfinden. Vielleicht kommt ja auch gleich ein klerikaler Inspektor mit. Ich bin jetzt schon total nervös. Wir müssen uns unbedingt morgen treffen, damit ich Dir alles genau erzählen kann.“, und mit einem Bedauern in der Stimme fügte sie hinzu: „Jetzt muss ich mich aber beeilen, meine Eltern warten schon auf mich. Bis morgen!“

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