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Ego - oder das Unglück, ein Mann auf dem Mars zu sein. Till Angersbrecht
Читать онлайн.Название Ego - oder das Unglück, ein Mann auf dem Mars zu sein
Год выпуска 0
isbn 9783738044720
Автор произведения Till Angersbrecht
Жанр Языкознание
Издательство Bookwire
Da Ego sich aufgrund seiner langen Berufserfahrung gleich zu Anfang bewusst war, dass diese schüchterne Frau in ihrem Leben sicher zum ersten Mal ein Männchen erkennen sollte, blätterte er gleich zur Seite zehn, wo „K1a“ als schöne Gravur zu sehen war, der sogenannte „Amazonenritt”. Diese Stellung war eine der wenigen, die sich mit der hohen Stellung und Würde der Frau auf dem Mars vertrug. Die farbige Darstellung war in der Tat von besonderer Schönheit. Frau thronte da mit stolz vorspringenden Brüsten über dem hingestreckten Leib eines Mannes, so als hätte sie sich auf ein Ross geschwungen. Den Körper wie eine Fahnenstange lotrecht nach oben gerichtet, den Kopf leicht schräg zum Himmel weisend, die Beine rechts und links des auf dem Rücken liegenden Männchens angewinkelt, hielt sie mit ihren Händen jeweils ein Ende des Zügels, den ihr der offensichtlich von dieser Stellung begeisterte Künstler als zusätzlichen Zierrat in die Hand gelegt hatte. Er hatte ihr außerdem noch einen Helmbusch mit lustig wehenden roten und grünen Federn, den Farben Eanas, aufs flatternde Haar gesetzt und die Zügel an den beiden Ohren der liegenden Kreatur befestigt. Auf dem Helmbusch war in Kapitalschrift die Aufschrift zu lesen „Nike de Saint Phalle” (die Siegerin über den heiligen Phallus).
Die Siegesstellung, flüsterte Ego, ich bin bereit. Er wusste, dass die durchschnittliche Frau in Marsopolis beim Anblick dieser verlockenden Darstellung sogleich in höchste Erregung gerät. So begann die Sünde fast immer mit einem Sieg.
Aber wieder verhielt sich Ella ganz anders als die durchschnittliche Frau. Obwohl offensichtlich eine Anfängerin in der Kunst der Liebe, ließ sie sich mit reger Neugierde – wollte sie sich damit als wissbegierige Schülerin zeigen? – von Ego einige der wichtigsten Stellungen erklären, natürlich nur die wichtigsten, denn das sündige Lehrbuch aus Gaia kennt insgesamt an die Tausend. Einige davon werden auf weichen Laken zelebriert, andere auf grobem Kies, einige im Kopfstand, nicht wenige in einem Teich, mehrere unter Wasser und einige sogar zwei Meter über einem glühenden Kohlebecken, weil die Körper in großer Wärme zu spastischen Bewegungen neigen, welche die irdische Lust angeblich ins Übersinnliche steigern. Der Höhepunkt aber war eine Stellung, bei der sich die beiden Liebenden auf einem Scheiterhaufen in vollkommener Verschmelzung befanden, während sie von den Flammen verzehrt und so im Akt der heißesten Liebe vergeistigt werden. Diese Stellung trug die schlichte Bezeichnung „Sati”.
Als sie all diese bunten Bilder von nackten Menschen sah, überflog ein leichtes Rot die Wangen Ellas. Schamvoll schien sie sich plötzlich bewusst zu werden, dass Ego aus ihrem Interesse für die gesammelte Lust ungehörige Gedanken ableiten könnte. Am Ende würde er noch glauben, sie hätte bereits mit allen Quotenmännern im Bett gelegen, obwohl sie in Wahrheit doch heute um ersten Mal die Schwachheit besaß, sich zu dieser Sünde hinreißen zu lassen. Mit leicht verschämter Stimme murmelte sie deshalb:
Ego, ist das nicht Ponnograppie?
Dieser Einspruch bereitete Ego eine heimliche Freude; war er doch ein weiterer Beweis, dass sich die schüchterne Frau nicht einfach von den niederen Trieben überwältigen ließ und sich in die erstbeste Stellung fügte.
Er freute sich auch, weil er darin eine weitere Chance erblickte, dieser Frau außer den Diensten seiner Männlichkeit obendrein noch ein wenig von seiner Bildung mitzugeben. Deshalb korrigierte er sie sogleich:
Es heißt aber Ponnograapie mit langem a, meine traumliebe Schöne – dabei ließ er seine Hand sanft über ihren Rücken gleiten.
Diese Auskunft schien sie zu beruhigen. Mit emsigen Augen das Heftchen durchfliegend, wies sie plötzlich mit langem Zeigefinger auf die Stellung „K37b“.
Das will ich, sagte sie. Ego war im ersten Moment derart verblüfft, dass er nach Worten rang.
Aber das ist doch, das ist doch!, murmelte er, ja, bist Du denn wirklich sicher? Das ist doch die grässlichste Stellung überhaupt. Das haben doch die Patriarchen erfunden, die Unterdrücker der Frau. Du weißt doch, man spricht auch von „Missionarsstellung”, weil der Mann auf Gaia – der, der lag dann ja oben – weil er eben der Frau auf diese Weise das Patriarchat aufzwang.
Ego wurde abwechselnd rot und blass im Gesicht. Die Worte purzelten ihm nur noch stammelnd und regellos aus dem Mund.
Du weißt doch, Dir ist doch sicher, das musst Du doch wissen. Es ist strafbar! Meine Karriere...
Es hat wenig Sinn, dass wir diesem Gestammel folgen, denn die Tatsachen sind ja ohnehin jedem bekannt, der mit den Errungenschaften der jungfräulichen Zivilisation auf dem Mars einigermaßen vertraut ist. Die Holden haben die Missionarsstellung ausdrücklich verboten, und zwar in einem Artikel des Grundgesetzes. Selbst das Wort ist verpönt. Keine der Frauen hätte es in den Mund genommen, ohne dabei vor Ärger und Scham zu erröten. Schon in den Lehrbüchern, aus denen die jungen Mädchen sich auf ihr künftiges Leben vorbereiten, wird das Thema abgehandelt und geschichtlich “bewältigt”. Es heißt dort, dass die Männer die Frauen auf diese Art zur Unterwürfigkeit „missionieren“. Diese abscheuliche Stellung, bei der die Frau sozusagen nach Art eines Pferd geritten und vom Manne dressiert wird, gilt in Marsopolis als Beweis und sichtbares Zeichen für Tausende Jahre der Unterdrückung durch eine verabscheuenswürdige Phallokratie.
Daher die auf Marsopolis selbstverständliche Sitte, dass der Mann sich bei einem erotischen Treffen sofort auf den Rücken legt, um der weiblichen Über-Legenheit so von vornherein seinen Tribut zu zollen. Und dementsprechend gilt es als die schlimmste aller Beleidigungen, wenn der Mann eine Frau in die Stellung der Unter-Würfigkeit zwingt. Im selben Moment hätte sie aufgeschrien und auf das Gewissen gezeigt. Die Regierung hätte dann umgehend die sogenannte Zucht-und-Tugendbrigade losgeschickt – lauter kräftige Frauen mit roter Armbinde und lauten Schellen, die durch die Gänge eilen, die Tür zur Wabe aufreißen und den Sünder auf der Stelle verhaften. Anschließend wird dieser dann den Gerichten in der Verwaltung des Glücks ausgeliefert.
Derartige Fälle kommen aber auf Marsopolis praktisch kaum vor, die Sitten haben sich mit der Zeit veredelt und geläutert. Ganz auszurotten scheint das Laster dennoch niemals zu sein. Zwei oder drei Fälle dieser betrüblichen Art sind in den Annalen der Stadt verzeichnet. Natürlich wurden die sündigen Quotenmänner umgehend verhaftet und dem hohen Gericht vorgeführt.
Auf diese historischen Hinweise kann der Berichterstatter nicht verzichten, da der Leser andernfalls nicht verstehen würde, wie sehr Ego erschüttert wurde, als Ella mit langem Zeigefinger gerade auf diese Stellung wies: auf K37b.
Du weißt doch, jammerte er, dass wir Menschen uns von den Tieren vor allem durch unsere gehobenen Sitten unterscheiden.
Es nutzte nichts. Alle Schüchternheit ihres Wesens schien auf einmal wie fortgeblasen. Sie gebärdete sich wie ein kleines Kind. Sie hatte ihm mit schneller Hand bereits den Mund verschlossen und nun legte sie sich schon auf das Bett und zog ihn zu sich herab.
Ihr verängstigten Phallokraten, lachte sie, ihr seid doch ein kraft- und mutloses Geschlecht. Aber siehst du, ich will euch gerade so wie ihr seid, mein kleiner Ego. Du bist ein Tier, gewiss, als Männchen bist Du den Tieren natürlich viel näher verwandt als wir Frauen. Das sieht man schon an dem Pelz auf Deiner Brust und sogar hier auf den Armen und Beinen. Du siehst aus wie die Verwandten auf Gaia – die Affen, nicht wahr, so heißen sie doch?
Sie lachte, schäkerte, zog ihn jetzt mit beiden Händen ganz eng an ihren Körper.
Aber gerade ein solches Tier, wie du es bist, will ich nun einmal - und dabei schaute sie ihn mit blitzenden Augen an, und er wusste, dass er dieser Frau nicht widerstehen würde, koste es, was es wolle. Das Wort “Phallokrat” donnerte und pochte allerdings in seinem Kopfe. Obwohl er in diesem Augenblick kurz davor stand, in seine Dienstpflichten einzutreten, war sein Denken doch immer noch nicht vollständig abgeschaltet. Insgeheim seufzte es in ihm:
Wie grausam die Frauen doch manchmal sind, wie mitleidslos und pervers! Wenn die Holden mich in dieser Stellung sehen, dann schicken sie mich in die Unterwelt. Er warf einen verstohlenen Blick auf das Gewissen. Immerhin, glücklicherweise war es vollständig mit einem schwarzen Tuch verhängt.
Das Eigenartigste an Egos Begegnung mit der traumlieben