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Ego - oder das Unglück, ein Mann auf dem Mars zu sein. Till Angersbrecht
Читать онлайн.Название Ego - oder das Unglück, ein Mann auf dem Mars zu sein
Год выпуска 0
isbn 9783738044720
Автор произведения Till Angersbrecht
Жанр Языкознание
Издательство Bookwire
Etwa eine Stunde vor Anbruch der Dunkelheit machte sich Ella mit ihrem Gefährten Ego auf den Weg. Dieser saß neben ihr auf dem Beifahrersitz. Wie alle an diesem Tag festlich bewegten Menschen dachte er voller Bewunderung an die Großartigkeit des epochalen Ereignisses im Jahre Null der Revolution, mit der die eigentliche Geschichte des roten Planeten überhaupt erst begann. Damals hatte es einen Umsturz gegeben, welcher die alte Ordnung von einem Tag auf den anderen vom Mann auf die Frau, von Böse auf Gut, von Ver-kommen auf Voll-kommen umgepolt hatte, denn, wie ich schon sagte, herrschten die ersten fünf Jahre der Unabhängigkeit zunächst noch die Männer auf dem Mars.
Ego war zu dieser Zeit noch nicht geboren, deren Wildheit und rohes Wesen hat er deshalb nicht am eigenen Leib erlitten, aber aus vielen eifrig studierten Quellen wusste er, dass die furchtbaren Zustände auf Gaia unverändert nach Marsopolis transplantiert worden waren. Die Stadt auf dem Mars war ein Patriarchat, eine Diktatur bärtiger, muskelprotzender, schlürfender, saufender, hurender und meistens grölender Männer. Vom Ersten bis Fünften Reif, also überall in der Stadt, diente die Frau dem Mann nicht nur als Arbeitstier, sondern natürlich auch als stets verfügbares Lustobjekt, so wie es auf Gaia schon immer gewesen war, nämlich schon seit der Zeit, als der Mensch sich aus dem Affen entwickelte.
So wäre es wohl auch geblieben, hätten die Frauen nicht großartige Verbündete an ihrer Seite gehabt. Glücklicherweise gibt es nämlich zwei Arten von Männern. Da ist einmal der “homo communis”, oder wie frau ihn hier verachtungsvoll nennt, der Koch: ein grobschlächtiges, brutales, bisweilen sehr schlaues, aber stets rücksichtslos auf den eigenen Vorteil bedachtes Wesen. Dieser Mann war der eigentliche Feind und Schrecken der Frauen. Doch neben ihm - und von homo communis zutiefst verachtet - existiert noch eine eigene höchst merkwürdige Variante des männlichen Geschlechts, nämlich die so genannten Genies, die, wie ihr Name besagt, über außerordentliche Fähigkeiten geistiger Art verfügen, den Frauen aber durchaus nicht gefährlich werden, weil sie physisch zerbrechlich und in der Regel derart behindert sind, dass sie ohne Hilfe nicht überleben können.
Die Genies verdanken ihre Existenz bekanntlich dem Watson-Effekt – einer merkwürdigen genetischen Verirrung, über die später noch zu reden sein wird. An dieser Stelle sei nur hervorgehoben, dass die zerbrechlichen, aber meist mit außerordentlichen Fähigkeiten begabten Autisten in der Geschichte unserer Stadt eine hervorragende Rolle spielten. Im alles entscheidenden Moment der Revolution haben sie sich nämlich gegen ihre Geschlechtsgenossen auf die Seite der Frauen gestellt. Deswegen bekleiden sie in Marsopolis auch einen ganz besonderen Rang.
Die Revolution aber hat sich auf folgende Weise ereignet: Auf einem der vielen unter dem Patriarchat üblichen barbarischen Feste, bei dem die Männer die Frauen zusammen trieben, um ihre Begierden in wüsten Ausschweifungen zu stillen, wurden sie von den Genies überlistet. Genauer gesagt, haben diese die Bierkrüge mit einem von ihnen ersonnenen Zusatz vergiftet und auf diese Weise “die Köche” betäubt, woraufhin diese in einen Zustand der Wehrlosigkeit fielen. Diesen einzigartigen Moment nützten die Frauen, um die Barbaren in die Unterwelt zu verschleppen, die schon zuvor als Gefängnis diente. So war der Herrschaft der Männer von einem Moment auf den anderen das lang herbeigesehnte Ende gesetzt!
Seit diesem Tage nannte man die Genies auch die Gründerväter, denn mit diesem denkwürdigen Tag beginnt die Geschichte der Frau auf dem Mars und das Geschick des Menschen nahm eine andere Wendung. Die wenigen Männer, die jetzt noch geduldet wurden, waren nicht länger gebürtig, sie krochen nicht einfach mehr ungeplant aus dem Bauch von Frauen, die sich bei der Geburt in Schmerzen winden mussten, sondern wurden nach wissenschaftlichen Grundsätzen von den Genies entworfen und in eigenen Laboratorien (oben im Vierten Reif) hergestellt. Der Leser weiß bereits, dass Ego eines dieser nach streng wissenschaftlichen Maßstäben entworfenen Männchen war.
Auf dem Weg zu den Niagaras
Mit dem Geländewagen fuhr Ella in Richtung durch die rötliche Sandlandschaft auf die Hügel zu, die auf halber Höhe zwischen der Stadt der fünf Reife und den Niagaras liegen.
Wie schön Ella ist!, bewunderte sie das Quotenmännchen an ihrer Seite. Er bewunderte sie nicht nur aufgrund seiner intimen Kenntnis der überaus abwechslungsreichen Geographie ihres Körpers. Deren Hügel, Täler sowie die erogenen und sonstigen geheimen Zonen hatte er ja schon kennengelernt. Jetzt offenbarte sich ihm noch eine weitere Eigenschaft Ellas, die er der schüchternen Frau gar nicht zugetraut hätte. Sie jagte nämlich in voller Fahrt mit dem Rovi über den Sand; rosa Staubwolken stiegen in ihrem Rücken wie große, aufgeblasene Ballons in die Höhe.
Dieser Rovi war das Werk GKs, dem erfindungsreichsten unter den Genies von Marsopolis. Zu seiner eigenen Belustigung erfand er fortwährend neue Apparate und komplexe Maschinen, darunter diesen Wagen, der über eine eigene Luftversorgung verfügte, so dass frau während der Fahrt keinen Helm tragen musste. Hätte Ella den Wagen mit ihrem wüsten Dahingekurve allerdings zum Kippen gebracht und ein Stein die Fenster durchbohrt, dann wäre das Schicksal von Ego und Ella auf der Stelle besiegelt. Auf dem nackten Sand sahen sie ohnehin die blassen Skelette der Unglücklichen liegen, die an Sauerstoffmangel erstickt, von der Hitze ausgedörrt und von den heftigen Marswinden bis auf die Knochen blank geputzt worden waren.
Ach, die Frauen auf Marsopolis, lieber Leser, glaube nur nicht, dass sie weniger Mut als die Männer hätten. Mit dem Ausdruck lächelnden Spotts, denn am Steuer hatte sie wirklich alle Schüchternheit verloren, warf Ella dem neben ihr sitzenden Männchen ab und an amüsierte Blicke zu. Sie schien seine Befürchtungen zu erraten und sich daran so recht zu ergötzen.
Dabei wurde sie wirklich übermütig.
Ego, mein Lieber, sagte sie, was hast du nur für ein wahnwitziges Glück! Im Grunde deines Wesens bist du erstaunlich harmlos. Weder Machtmensch noch Macho. Einfach ein liebes kleines Spielzeug in Männergestalt, mein persönlicher Schoßhund!
Das war keineswegs boshaft gemeint. Sie lachte ihr helles klingendes Kinderlachen, aber natürlich konnte sie es nicht unterlassen, ihrem Begleiter zur gleichen Zeit doch noch einen kleinen Stich zu versetzen.
Aber wehe, fügte sie hinzu, wenn dir dieser Vorzug zu Kopf steigt.
Sie nahm ihre rechte Hand vom Steuer und schlug Ego mit schnippischem Schlag auf die Wange. Denk immer daran, mein Lieber, dass du von jetzt an nur mir gehörst. Wenn du mir untreu wirst, jage ich dich zu den Köchen!
Ach, der boshafte Refrain. Wie gut Ego ihn kannte! Das war ja die eigentliche Waffe der Frauen gegen den Quotenmann. Sie wussten genau, dass es keine schlimmere Drohung für jeden von ihnen gab als dieses einzige, furchtbare Wort: die Köche, denn das sind die entmachteten, die elenden, schmutzigen, verachteten Männer unten im Bauche der Stadt. Ego wusste natürlich, dass Ella die Worte ihm nur im Spaß entgegenwarf, aber trotzdem brannten sie ihm wie eine Ohrfeige im Gesicht. Erinnerte sie ihn denn nicht daran, dass er in der Oberwelt nur geduldet war, ein Gast, den man jederzeit nach da unten verbannen konnte?
Der Wagen rüttelte heftig auf dem steinernen Weg. Zu Fuß konnte man den Quell des Himmlischen Lichts in vier, fünf Stunden erreichen; von der Stadt trennten ihn an die dreißig Kilometer. Die meisten Bewohner hatten sich schon nachmittags auf den Weg gemacht; es ging darum, rechtzeitig zur Festrede der Ersten Holden einzutreffen.
Ich brauche nicht hinzufügen, dass der Tag der Revolution natürlich nur von den Bewohnern gefeiert wurde. Die Sklaven im Bauch der Stadt waren zwar ausnahmsweise von ihrer täglichen Arbeitsfron befreit, aber das Licht der Sonne durften sie seit der Revolution nie mehr sehen. Endgültig