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und sog daran. Es wurde ein schlürfender Ton laut, dann ein Plop. Der Eierschlürfer machte jetzt ein zufriedenes Gesicht und verkündete: „Die Eier sind frisch; esst auch eines, rohe Eier machen stark!“ Paul fand es eklig. Aber jetzt gab es kein Zurückweichen mehr, sonst hätte er als Feigling gegolten. Paul schloss vor dem Schlürfen die Augen, sog das Innere des Eies in sich hinein und befand, oh Wunder, dass es gar nicht so übel schmeckte. Nachdem jeder sein Ei hinter sich hatte, verließen sie den Schäferwagen und machten sich aus dem Staub.

      Die Natur um Oggersheim herum war damals in der Nachkriegszeit noch heil; die Störche fingen tagsüber, auf den Wiesen und im Maudacher Bruch, Frösche. Die Überlebenden veranstalteten abends wie aus Protest, ein höllisch lautes Konzert. Im Schilf nisteten Fasane und Rebhühner, in den Bächen schwammen Stichlinge und Molche. In den fünfziger Jahren war dann sehr schnell alles vorbei. Keine Störche mehr, kaum noch Frösche, die Bäche tot. Man führte dies auf die Landwirtschaft zurück, die nun Pestizide und Kunstdünger einsetzte um die Ernteerträge zu steigern.

      Die Sommer in Oggersheim waren meist von gutem Wetter, oft sogar von großer Hitze geprägt. Dann zog Jung und Alt an die Baggerweiher in der Umgebung. Mutter Anna konnte nicht schwimmen, was sie jedoch nicht davon abhielt, mit ihren drei Kindern zum Willersinnweiher zu wandern und dort mit ihnen bis zu den Knien ins klare Wasser zu steigen. Diese, wie weitere Gewässer, waren durch das Ausbaggern des Kieses entstanden. Der Kies war ein Überbleibsel des Altrheins, welcher vor der Rheinbegradigung durch den badischen Ingenieur Johann Gottfried Tulla (1770-1828), in vielen Windungen durch die Rheinebene floss, auch an Oggersheim vorbei. Dieser Tulla war auch der Gründer der Ingenieurschule in Karlsruhe, der ersten technischen Hochschule in Deutschland. Die Rheinbegradigung war eine wichtige Maßnahme zur Verbesserung der Schiffbarkeit auf dem Rhein und zur Bekämpfung der Malaria, die durch die häufigen Überschwemmungen des Rheins grassierte. Auch das Maudacher Bruch war ein Überbleibsel des Altrheins. Der Kies war ein sehr begehrter Baustoff, da er in Form von Beton für den Wiederaufbau der zerstörten Städte dringend benötigt wurde. Neben Kies wurde der Rheinsand auch für die Herstellung von Sandsteinen verwendet, bis heute viel verwendet im Hausbau. Anna schickte ihre Kinder oft allein zum Schwimmen, obwohl die es noch nicht konnten, im Vertrauen, dass nichts passierte. Schwimmunterricht in der Schule war unbekannt. Paul zog dann mit Schwester und Bruder los. Es ging über den Bahnhof von Oggersheim durch die kleine Siedlung Notwende und am Sandsteinwerk Benkkieser vorbei, wo es für Paul interessant wurde. Feldbahnen auf Gleisen mit einer Spur von sechshundert Millimeter transportierten Sand und Kies von den Baggerweihern zur Fabrik. Die kleinen Dampflokomotiven zogen zahlreiche Loren hinter sich her, und zwar vollbeladen zum Werk hin und leer zum Bagger zurück. Dabei musste viel rangiert werden. Die Feldbahn verbreitete einen unbeschreiblich herrlichen Geruch von Rauch, Dampf und Öl, so empfand es jedenfalls Paul. Er konnte sich kaum losreißen und folgte nur zögernd den anderen, die zum Wasser drängten.

      Hier am Baggerweiher tauchten sie am liebsten zwischen den Wasserpflanzen herum. Sie hatten alle einfache Taucherbrillen geschenkt bekommen und gewöhnten sich auf diese Weise an das Wasser; es wurde so ein ihnen ganz vertrautes Element. Das sollte sich auszahlen, als die drei Nichtschwimmer an einem Sommerbadetag auf der Pontonabsperrung des Nichtschwimmerbereiches herum kletterten, dort wo man nicht mehr stehen konnte, und sie ein Rüpel einfach ins Wasser stieß. Paul dachte in diesem Moment, ohne Panik, dass er ja notfalls tauchen könne, um ans Ufer zu gelangen, probierte dann jedoch zunächst die Schwimmbewegungen beim Brustschwimmen aus, wie er sie so oft bei Schwimmern beobachtet hatte. Und siehe da, er schwamm und erreichte etwas außer Atem das Ufer. Seine Geschwister hatten ebenfalls die ähnliche Erfahrung gemacht und so schrien alle durcheinander: „Hurra, wir können schwimmen!“ Paul rief: „Jetzt schwimmen wir über den Baggersee. Wer macht mit?“ Aber er musste es alleine tun; sie trauten sich noch nicht. Weil er noch viel zu schnelle Schwimmbewegungen machte, hatte er in der Mitte des Teichs das Gefühl, er könne nicht mehr weiter und müsse gleich entkräftet untergehen. Da kam ihm seine Taucherfahrung zu Gute, denn als er mit dem Kopf unter die Wasseroberfläche geriet, riss er die Augen auf und empfand das gleiche Gefühl wie beim Tauchen, er fühlte sich eins mit diesem Element, nur dass der klare Blick, wie bei der Taucherbrille, fehlte. Tauchend, und immer wieder Luft holend, erreichte er so die andere Seite des Teiches und entstieg stolz mit wackeligen Beinen dem Wasser.

      Der Badegenuss wurde leider durch zwei Arten blutsaugender Insekten getrübt, nämlich tagsüber durch die Bremsen und gegen Abend zusätzlich durch die Schnacken. Beide Arten von Quälgeistern waren jeweils auf ihre Weise unangenehm und peinigend. Bremsenstiche erzeugten dicke Pusteln auf der Haut und Schnacken zahlreiche juckende Einstiche. Besonders tückisch gingen die Bremsen vor, indem sie bereits die Köpfe der Schwimmer im Wasser umkreisten und sobald diese aus dem Medium entstiegen waren, sich auf der nassen Haut zur Mahlzeit niederließen. Paul und die anderen bevorzugten zur Abwehr eine einfache Taktik. Sie blieben zuerst einmal, nass wie sie waren, am Uferrand stehen, und warteten ruhig auf den Anflug der Bremse. Kaum, dass diese sich auf einen Körperteil niedergelassen hatte, erfolgte ein Schlag mit der der flachen Hand. Das hässliche Insekt flog zu Boden, und, da es zäh und noch am Leben war, musste es mit der Ferse endgültig vernichtet werden. Gegen die Schnacken am Abend waren kaum Abwehrmaßnahmen möglich, da sie zu zahlreich im Schwarm angriffen. Ihrem Angriff ging jedoch, im Gegensatz zu den lautlos vorgehenden Bremsen, ein entnervendes „siiit, siiit, ….“ voraus. Das mussten Paul und seine Geschwister leidvoll erfahren, als sie nach langem Drängen die Erlaubnis von Mutter Anna erhielten, am Baggerweiher übernachten zu dürfen. Dazu nähte Anna aus alten Mehlsäcken ein Indianerzelt zusammen, welches durch einen mittigen Stab in Form gehalten wurde. Das gereinigte Zelt wurde sogar imprägniert, um einem möglichen Regen zu widerstehen. Die warme, lauschige Zeltnacht wurde jedoch zur Qual, da, einmal der harte Erdboden, auf dem sie nur mit einer Decke lagen, sich als äußert unbequem erwies und zum anderen die heftigen Attacken der Schnacken, eine Nachtruhe nicht gewährleisteten. Auf jeden Fall war danach vom Zelten keine Rede mehr, wie Mutter Anna beruhigend feststellte.

      In der Nachkriegszeit waren fehlende Pflanzenschutzmittel daran schuld, dass die Kartoffelernten durch Kartoffelkäfer enorm reduziert wurden. Paul half diese gestreiften Schädlinge und seine roten Larven einzusammeln. Waren die Kartoffel erntereif, wurden die Felder von sogenannten Feldschützen bewacht. Ein abgeernteter Kartoffelacker durfte aber betreten werden; und Paul suchte mit anderen oft nach den wenigen Kartoffeln, die beim Ernten übersehen wurden; ein mühsames Unterfangen. Interessant waren die zahlreichen Mohnfelder um Oggersheim herum, auf denen die reifen Mohnkapseln geerntet wurden. An sie war besonders schwer heran zu kommen. Da es in dieser Zeit öffentliche Spielplätze nicht gab, suchten sich die Kinder und Jugendlichen ihr eigenes Terrain. Ein solches war ein vauförmig eingeschnittener Graben, welcher sich vom westlichen Ortsrand von Oggersheim in Richtung Ruchheim erstreckte, etwa fünfhundert Meter lang war und Affengraben genannt wurde. Woher der Name kam, war unbekannt. Der Graben war mit Schlehensträuchern bewachsen, die herrliche Verstecke abgaben und deren fast schwarze Früchte im Herbst gepflückt wurden. Hier tummelten sich viele kleine Oggersheimer, so auch Paul mit einer Gruppe. Anführer war Hannes, ein kräftiger, aber einfallsloser Junge, der Paul für Spielideen brauchte. Eines bestimmten Nachmittags war auch Pauls jüngerer Bruder Gerhard zum Affengraben gekommen um Anschluss zu suchen. Hannes war aber nicht einverstanden und versuchte Gerhard mit gezielten Steinwürfen zu vertreiben. Als Paul Hannes aufforderte, das Steinwerfen einzustellen, sagte Hannes nur: „Wenn der jetzt nicht abhaut, kriegt er den nächsten Stein an den Kopf.“ Der nächste Stein verfehlte den näher gekommenen Gerhard nur haarscharf, worauf Paul die Wut ergriff, er dem überraschten Hannes die Faust ins Gesicht schlug und zu seinem Bruder hinüber rief: „Komm, zu zweit packen wir ihn!“ Bruder Gerhard rührte sich jedoch nicht von der Stelle, sondern sah zu, wie der nunmehr zornige Hannes auf Paul einschlug, bis dieser blutend am Boden lag. Paul konnte die Feigheit seines Bruders nie vergessen und hatte sie noch lange vor Augen.

      Oggersheim war mit seinen Gaststätten, Bäckereien, Metzgereien, dem Milchhändler und den vielen anderen kleinen Läden, ein Ort, in welchem noch alle zu Fuß einkaufen konnten, ohne wie heutzutage, ein Auto benutzen zu müssen. Das größte Lebensmittelgeschäft war der Konsum in der Raiffeisenstraße, jedoch nicht mit einem heutigen Supermarkt zu vergleichen. Nachdem Lebensmittelmarken abgeschafft waren, nahm das Warenangebot in den Geschäften über Nacht zu. Leider hatte Mutter Anna sehr wenig Geld zur Verfügung,

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