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Er und seine Gesellen erdichten uns täglich neue Wörter claves excellentiae, claves auctoritatis, claves ministrabiles, und warum? um schließlich „uns alle Beutel und Kasten leer zu machen und danach die Hölle auf- und den Himmel zuzuschließen“. „Wer Ablass löst, sagen sie, tut besser, als wenn er einem Armen in seiner äußersten Not einen Almosen gibt. Gott erbarme sich, das nennt sich Lehrer des Christenvolkes! Wahrlich, jetzt brauchen wir nicht mehr zu erschrecken, wenn wir hören, wie die Türken unsere Kirchen und das Kreuz Christi schänden. Wir haben bei uns hundertmal ärgere Türken, die uns unser einziges Heiligtum, das Wort Gottes, zunichte machen... Soll ein Christenmensch dem anderen nicht eher helfen als in der äußersten Not, dann ist die christliche Liebe minderwertiger als die Freundschaft unter den Tieren.“ „Ich verwerfe die Scholastiker nicht ganz, denn sie haben das ihrige getan, sondern nur ihre – nicht aus der Schrift geschöpften – Meinungen. Und ich tue das hauptsächlich um der Leute willen, die sie nicht da anführen, wo sie mit der Schrift und Vernunft bewährt sind, sondern da, wo sie am nackendsten und schwächsten sind, in der Materie des Ablasses.“ „Zum Beschluss geht das Wetter über mich und bin da ein Erzketzer, Ketzer, Apostat, Irrlehrer, Frevler usw. ... Wenn solche Leute, die die Bibel nicht kennen und weder lateinisch noch deutsch verstehen, mich so überaus lästerlich schelten, so ist mir zumute, als ob mich ein grober Esel anschreie.“ „Dass er sich aber zum Stock, Wasser und Feuer erbietet, um seine Lehre zu bewähren, kann ich armer Bruder ihm nicht verbieten. Aber mein treuer Rat wäre doch: er erböte sich klüglich zum Rebenwasser und zu dem Feuer, das aus der gebratenen Gans raucht, denn dessen ist er besser gewöhnt... Da sie, obwohl diese Materie nicht den Glauben, die Seligkeit, Not und Gebot anbetrifft, so gottsüchtig und liebessiech sind, auch wegen solcher unnötiger unketzerlicher Sachen Ketzer zu verbrennen, so verzeihe mir, lieber himmlischer Vater, dass ich um alle Ehre, die nicht dein ist, zu Spott zu machen, einmal gegen meine Baaliten auftrotze. Hier bin ich zu Wittenberg, Doktor Martin Luther Augustiner. Ist irgendwo ein Ketzermeister, der sich zutraut, Eisen zu fressen und Felsen zu zerreißen, so möge er wissen, dass er hier sicheres Geleit, offene Tore, freie Herberge und Kost haben wird laut gnädiger Zusage des Kurfürsten von Sachsen.“ „Wenn diese Leute die Schrift lästern und Gott in seinen Worten Lügen strafen, so nennen sie das die Christenheit bessern und ehren. Aber wenn man lehrt, dass es nicht nötig sei, Ablass zu lösen, und es sich nicht gehöre, aus den armen Leuten Geld herauszuschinden, das heißt die Kirche und das Sakrament schmähen und die Christen ärgern. Das sage ich darum, dass man fortan ihre Sprache und das neue Rotwelsch verstehen könne.“ „Seine Thesen, die er sich rühmt, in Frankfurt an der Oder verteidigen zu wollen – Sonne und Mond werden sich billig verwundern über das große Licht ihrer Weisheit –, halte ich größtenteils für richtig, nur müsste überall, wo es heißt: ,Die Christen sind zu lehren’, stehen: ,Die Ablasshändler und Inquisitoren sind zu lehren.’“ Gott helfe der Wahrheit und sonst niemand. Amen! Ich vermesse mich nicht, über die hohen Tannen zu fliegen, zweifle aber auch nicht, dass ich über das dürre Gras kriechen kann.“

      Man sieht: Die Sprichwörter, Bilder, komischen Vergleiche und Hyperbeln strömen ihm jetzt, auch wenn er ausnahmsweise einmal deutsch schreibt, schon ungesucht zu. Aber ihm selbst war bei diesem „Spiel“ doch nicht ganz wohl zumute. „Ich habe dabei zu sehr den Freunden nachgegeben“, schreibt er am 10. Juli an seinen Freund und Ordensgenossen Wenzel Link in Nürnberg, „und doch keineswegs ganz ihren Wünschen Genüge getan. Am liebsten ließe ich die Schrift nicht wieder ausgehen.“ In der Tat, die Zeit war zu solchem Spiele schon fast zu ernst geworden. Am selben 10. Juli ließ ihn der Graf Albrecht von Mansfeld wissen, er solle unter keinen Umständen das Weichbild von Wittenberg verlassen, denn einige „Magnaten hätten sich verschworen, ihn abzufangen und entweder zu hängen oder zu ertränken“. Wir wissen nicht, ob etwas an dem Gerücht war. Er selbst glaubte jedenfalls daran. Aber er verlor deswegen nicht den Mut. „Je mehr sie drohen“, schreibt er, „um so größer wird meine Zuversicht. Frau und Kinder, Acker und Haus, Geld und Gut habe ich nicht. Mein Ruf und Name wird schon zerrissen. Das einzige, was noch übrig ist, ist mein schwacher gebrechlicher Leib. Nehmen sie mir den noch, dann lebe ich vielleicht ein oder zwei Stunden weniger. Aber die Seele können sie mir nicht nehmen. Ich singe mit Johann Reuchlin: ,Wer arm ist, kann nichts verlieren’ usw. Ich weiß auch. dass, wer das Wort Christi in die Welt hinausbringen will, wie die Apostel auf alles verzichten und zu jeder Zeit auf den Tod gefasst sein muss. Wäre das nicht der Fall, so wäre es nicht das Wort Christi. Durch den Tod ist es erkauft, durch Märtyrer verkündet und erhalten, durch Märtyrer kann es auch jetzt allein recht bewahrt und weiter überliefert werden!“ So ernst und doch froh und frei war ihm zumute, als er erfuhr, dass Tetzels Drohungen nicht in den Wind geredet waren.

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      Die Eröffnung des kanonischen Prozesses

      In denselben Tagen, in denen Luther zum ersten Mal an Papst Leo X. schrieb (23.-31. Mai 1518), fand bei Santa Maria sopra Minerva in Rom das Generalkapitel der Dominikaner statt, dem auch der Tetzel besonders gewogene Provinzial von Sachsen, Hermann Rab aus Bamberg, beiwohnte. Der Papst hatte schon am 20.Mai den General des Ordens, Kardinal Cajetan, ermächtigt, zwölf seiner Untergebenen zu Doktoren der Theologie zu ernennen. Zu den Brüdern, die dieser Auszeichnung gewürdigt wurden, gehörte auch Johann Tetzel. Wie im Januar das Kapitel der sächsischen Provinz, so nahm also jetzt, ohne Zweifel auf Betrieb Rabs, die oberste Behörde des Ordens so ostentativ wie nur möglich für Tetzel Partei. Damit begnügte sich aber Rab nicht. Er benutzte vielmehr seinen Aufenthalt in Rom gleich dazu, Luther erneut bei der Kurie zu denunzieren und durch die dem Orden angehörigen und nahestehenden Kurialen den Procurator fiscalis Mario Perusco, den Generalstaatsanwalt der Kurie, zu veranlassen, dieser Denunziation endlich Folge zu geben. Der Prokurator ging auch hierauf ein. Etwa Mitte Juni ließ er sich von dem Papst ermächtigen, gegen Luther das bei solchen Anklagen übliche ordentliche Verfahren zu eröffnen. Mit der Voruntersuchung wurde auf seinen Antrag der oberste Richter der Kurie, der Auditor Girolamo Ghinucci, betraut, mit der Erstattung des dogmatischen Gutachtens über die Luther vorgeworfenen Vergehen: verdächtige Lehre und Auflehnung wider die päpstliche Gewalt, der amtliche Sachverständige des Papstes für Glaubenssachen, der Magister sacri palatii Silvester Mazzolini da Prierio. Ghinucci war Jurist, also außerstande, über die einschlägigen Fragen sich ein eigenes Urteil zu bilden. Der damals schon 68 Jahre zählende Magister palatii hatte dagegen eine lange theologische Laufbahn hinter sich. Aber er war Dominikaner und als solcher nicht fähig, die ihm vorgelegten Fragen unparteiisch zu beurteilen. Er versucht in seinem, wie er rühmt, in drei Tagen ausgearbeiteten Gutachten über die 95 Thesen gar nicht erst auf Luthers Gedanken einzugehen, er stellt ihnen einfach mit den ihm nötig erscheinenden Zensuren „irrig“, „falsch“, „vermessen“, „häretisch“ die vulgärthomistischen Lehren gegenüber, wie er sie, nur erheblich ausführlicher, drei Jahre zuvor in seiner „Summa de casibus conscientiae“ im engsten Anschluss an die Summa seines Ordensgenossen Antonin von Florenz entwickelt hatte. Die universale Kirche, behauptet er, ist virtuell (dem Wesen nach) in der römischen Kirche, die römische Kirche repräsentativ in den Kardinälen, virtuell aber im Papste vorhanden. Folglich ist der Papst ebenso unfehlbar wie die universale Kirche, folglich jeder, der in betreff der Ablässe behauptet, der Papst könne nicht tun, was er faktisch tut, ein Ketzer. Damit war er eigentlich mit Luther schon fertig. Wenn er dann doch noch die ersten 92 Thesen durchspricht, so geschieht das nur, um den Grad der Verwerflichkeit seiner Lehren im einzelnen festzustellen und zugleich sein eigenes Licht leuchten zu lassen. Denn obwohl er des Fechtens, wie er sagt, schon entwöhnt war, hatte er doch den Ehrgeiz, seine geistige Überlegenheit über den jetzt so viel genannten Wittenberger Professor vor aller Welt kundzutun, und machte daher aus seinem Gutachten sogleich eine reichlich mit groben Ausfällen gespickte Streitschrift, die er noch im Juni unter dem Titel „Dialogus“ in Rom in Druck gab. Ghinucci hatte merkwürdigerweise weder an der sonderbaren Form noch an dem bissigen Ton dieses amtlichen Schriftstückes etwas auszusetzen, sondern fertigte auf Grund desselben Anfang Juli im üblichen Stile an Luther die sogenannte Zitation aus, d. h. den Befehl, binnen 60 Tagen nach Empfang dieser Weisung persönlich in Rom zu erscheinen, um sich wegen der ihm zur Last gelegten Vergehen zu verantworten. Eine Kopie des Dialogus legte er zur Information des Angeklagten bei. Beide

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