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Hedio nahm er bald eine führende Stellung im Aufbau des evangelischen Kirchenwesens in der Reichsstadt und im gesamten südwestdeutschen Raum ein.

       In den Folgejahren versuchte er zwischen den verschiedenen protestantischen Parteien (Lutheraner, Reformierte, Spiritualisten, Täufer) zu vermitteln. Sein besonderes Augenmerk galt dem Abendmahlsstreit. Bucer nahm 1529 am Marburger Religionsgespräch teil und war einer der Verfasser der Confessio Tetrapolitana, in der vier oberdeutsche Reichsstädte ihr Glaubensverständnis für die Diskussionen auf dem Augsburger Reichstag von 1530 zusammenfassten. 1536 erzielte er nach zähem Ringen einen Konsens mit Martin Luther über das Abendmahlsverständnis, der in der Wittenberger Konkordie fixiert wurde. In den Jahren 1540 und 1541 beteiligte er sich in den Religionsgesprächen in Hagenau, Worms und Regensburg auch an den Versuchen, einen Ausgleich zwischen Katholiken und Protestanten zu erreichen.

       Bucer trat in dieser Zeit auch als Organisator der entstehenden evangelischen Landeskirchen auf. So entwarf er 1531 eine Kirchenordnung für die Stadt Ulm, beriet 1534 den württembergischen Herzog Ulrich bei der Einführung der Reformation in Württemberg und verfasste 1539 im Auftrag des hessischen Landgrafen Philipps I. die sogenannte „Ziegenhainer Zuchtordnung“, die die Basis für das reformatorische Kirchenwesen in Hessen wurde. Die Ziegenhainer Zuchtordnung ist heute noch von Bedeutung, da mit ihr unter Einfluss der Täuferbewegung die Konfirmation eingeführt wurde.

       Elisabeth Silbereisen, die 13 Kinder gebar, starb 1541 während einer Pestepidemie. Derselben Epidemie fielen auch Wolfgang Capito und mehrere Kinder Bucers zum Opfer. Der einzige gemeinsame Nachkomme, der das Erwachsenenalter erreichte, war der geistig behinderte Sohn Nathanael. Bucer heiratete auf Elisabeths Wunsch hin 1542 Wibrandis Rosenblatt, die dreizehn Jahre jüngere Witwe von Wolfgang Capito und Johannes Oekolampad. Die beiden führten eine harmonische Ehe, der zwei weitere Kinder entsprossen.

       1542/1543 lebte Bucer ein Jahr lang in Bonn, um im Auftrag des Erzbischofs von Köln, Hermann V. von Wied, die Reformation des Erzbistums vorzubereiten. In der Wasserburg zu Buschhoven verfasste er mit Philipp Melanchthon zwei Reformationsschriften („Einfaltigs Bedencken“) für den Kölner Erzbischof. Sein schärfster Widersacher in Köln war neben dem Domkapitel der Scholastiker und Rektor der Universität Matthias Aquensis, der auf die Schriften Bucers seinerseits mit fünf Publikationen reagierte. Auch der Kölner Domherr und Chorbischof Christoph von Gleichen trat ihm vehement entgegen. Anschließend kehrte Bucer nach Straßburg zurück. Das Scheitern des Kölner Reformationsversuchs veranlasste ihn, 1545 mit der Gründung einer „christlichen Gemeinschaft“ eine Freiwilligkeitsgemeinde neben den staatskirchlichen Strukturen zu etablieren.

       1549 musste er die Stadt verlassen. Grund war sein Widerstand gegen die von Karl V. angeordnete „katholisierende“ Neuordnung des Kirchenwesens, das sogenannte Interim. Eingeladen von Peter Martyr Vermigli emigrierte Bucer nach England, wo er die Regius Professur of Divinity in Cambridge erhielt, deren Entsprechung an der University of Oxford von Martyr besetzt wurde. Dort wurde er im September 1549 zum Doctor theologiae promoviert. Er konnte noch seine Programmschrift De regno Christi abschließen, bevor er nach kurzer schwerer Krankheit 1551 starb. Nach seinem Tod wurde unter Maria Tudor der Katholizismus wieder Staatsreligion. Bucer wurde 1557 exhumiert und als Ketzer zusammen mit seinen Schriften verbrannt. 1560 wurde er durch Elisabeth I. in einem feierlichen Akt der Universität rehabilitiert. Eine Tafel in der Kirche St. Mary in Cambridge erinnert an Bucers Ruhestätte.

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      „Wie sehr auch unsere Hauptkämpen sich anstrengten, Luther aus dem Sattel zu heben“, schreibt der Begabteste von ihnen, der junge elsässische Dominikaner Martin Bucer aus Schlettstadt am 1. Mai an seinen Busenfreund Beatus Rhenanus, „so vermochten sie ihm doch nicht einen Fingerbreit abzugewinnen. Wundersam ist seine Anmut beim Respondieren, unvergleichlich seine Langmut beim Zuhören. Sein Scharfsinn erinnert an die Art des Apostels Paulus. Mit ebenso kurzen wie treffenden, aus dem Vorrat der Heiligen Schrift genommenen Antworten reißt er alle zur Bewunderung hin. Tags darauf (26. April) hatte ich eine vertraute Unterredung mit ihm unter vier Augen und teilte danach sein bescheidenes, aber mit köstlichen Gesprächen gewürztes Mahl. Was ich auch fragen mochte, alles wusste er aufs klarste mir auseinanderzusetzen. Mit Erasmus stimmt er ganz überein. Er übertrifft ihn aber, insofern er all das, was jener nur andeutet, frei und offen heraussagt. Oh, könnte ich Dir mehr noch schreiben! Er ist es gewesen, der in Wittenberg der Herrschaft der Scholastik ein Ende gemacht und bewirkt hat, dass dort das Griechische, Hieronymus, Augustin und Paulus öffentlich gelehrt werden.“ Ebenso tief und gewaltig war der Eindruck, den die beiden jungen Schwaben Johann Brenz und Theodor Billican, die gleichfalls nach der Disputation noch eine persönliche Unterredung von ihm begehrten, von dem sächsischen Mönch erhielten. „Wie Christus, als ihn die Juden verwarfen, zu den Heiden ging“, schreibt er selber in dankbarer Erinnerung an diese Jünglinge kurz darauf an Spalatin, „so hoffe ich jetzt zuversichtlich, dass die wahre Theologie Christi, welche jene auf ihre spitzfindigen Meinungen versessenen Greise verwerfen (die Erfurter Ockhamisten), bei der Jugend Aufnahme findet.“ Die Studenten waren aber nicht die einzigen, die ihn in der schönen Neckarstadt willkommen hießen. Auch der jüngere Bruder des Kurfürsten Ludwig V., Pfalzgraf Wolfgang Wilhelm, der im Sommer 1515 in Wittenberg studiert hatte, und sein ehemaliger Erzieher Jakob Simler, der Freund des berühmten Jakob Wimpfeling, nahmen ihn freundlich auf. Der Prinz lud ihn sogar einmal mit Staupitz und Lang zur Tafel und ließ ihm dann die Kleinodien der kurfürstlichen Kapelle, das Zeughaus und alle anderen Sehenswürdigkeiten des „wahrhaft königlichen Schlosses“ zeigen.

      Es versteht sich von selbst, dass er mit den Oberen der Kongregation in diesen Tagen auch über seinen Streit mit Tetzel und Genossen verhandelte. Wenn er im Juni seine Resolutionen durch Staupitz mit einem ehrfurchtsvollen Schreiben an Papst Leo X. schicken ließ, so war das unzweifelhaft eine Folge der Abmachungen, die er mit Staupitz in Heidelberg getroffen hatte. Aber offiziell wurde seine Angelegenheit auf dem Kapitel nicht berührt. Dass er von seinem Amte als Distriktsvikar entbunden wurde, hatte mit dieser Sache nicht das geringste zu tun, sondern geschah einfach deswegen, weil seine Amtszeit abgelaufen war.

      Anfang Mai reiste er dann wieder heim, und zwar auf Befehl Staupitzens zu Wagen. Bis Würzburg nahmen ihn die Nürnberger Brüder mit, von Würzburg aus die Erfurter. In Erfurt suchte er dann am Abend des 8. Mai seinen alten Lehrer Jodok Trutvetter auf, hörte aber, dass der alte Herr nicht wohl sei, und bemühte sich daher am 9. Mai brieflich, die schweren Anklagen zu entkräften, die Trutvetter gegen ihn erhoben hatte. In der Folge kam es dann doch noch zu einer Aussprache zwischen ihm und dem immer noch hochverehrten und geliebten Lehrer, die Trutvetter wenigstens zu dem Geständnis bewog, dass er ihn weder widerlegen noch auch seine eigene Ansicht beweisen könne. Mit Usingen hatte er schon unterwegs auf der Fahrt von Würzburg nach Erfurt eifrig theologisiert, aber auch nur erreicht, dass der alte Mann ihn nachdenklich und verwundert anhörte. Noch weniger Erfolg hatte er selbstverständlich bei Leuten wie Johann Nathin. Er hätte, um diesen Widerstand zu überwinden, gern auch in Erfurt öffentlich disputiert. Aber er musste hierauf wegen der in den drei Tagen vor Himmelfahrt stattfindenden Buß- und Betandachten verzichten. So schied er denn am 11. oder 12. Mai von seinen alten Lehrern mit dem Eindruck, dass er von diesen Greisen nichts mehr zu erwarten habe, sondern alle seine Hoffnungen auf die Jugend setzen müsse. Von Trutvetter erhielt er im Juni noch einmal eine fulminante Epistel, die jeden weiteren Verkehr unmöglich machte. Als der längst Kränkelnde zehn Monate später, am 9. Mai 1519, starb, meinte er trauernd, er habe wohl wider seinen Willen sein Ende beschleunigt. So arg habe sich der Greis über die vermessene und verächtliche Behandlung gegrämt, die er nach seiner Ansicht der scholastischen Theologie angetan habe. Usingen und Nathin ließ er noch bis Anfang 1520 gelegentlich durch Lang grüßen. Aber das war nur mehr eine höfliche Gebärde. Tatsächlich hatte er schon seit jenen Maitagen keine Beziehung zu dem Erfurt seiner Jugend mehr. Er wunderte sich daher auch später kaum, dass Usingen und Nathin in ihren alten Tagen noch in die Reihe seiner entschlossensten Feinde eintraten.

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      Wiederanknüpfung mit Eck

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