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wurde, versehentlich den Kardinal mit „Ihr“ statt mit „Eure Väterlichkeit“ anredete. „Wenn in der Dekretale wirklich steht, der Schatz der Kirche ist das Verdienst Christi, so will ich widerrufen“, sagte er schließlich. Da rieb sich der kleine Mann, vergnügt lachend, die Hände. Hastig griff er nach einem vor ihm liegenden Buche und las daraus heftig schnaubend die Bulle vor bis zu der Stelle: Christus hat (durch sein Leiden) der streitenden Kirche einen Schatz erworben. „Dies Wort erworben“, rief Luther, „ist zu beachten. Wenn Christus durch seine Verdienste einen Schatz erworben hat, so heißt das nicht: seine Verdienste sind ein Schatz, sondern der Schatz besteht in dem, was er durch seine Verdienste verdient hat, d. h. in der Vergebung der Sünde.“ Da wurde der Kardinal verwirrt. Um seine Verlegenheit zu verbergen, sprang er schnell auf ein anderes Thema über. Aber Luther hielt ihn fest. Gewiss recht unehrerbietig, brach er in die Worte aus: „Eure Väterlichkeit meinen doch nicht, dass wir Deutschen uns nicht auf die Grammatik verstehen. Ein Schatz sein ist etwas anderes als einen Schatz erwerben.“ Daraufhin sagte Cajetan: er wolle ihn aus der Bibel widerlegen, und hielt ihm zunächst vor: Die Bibel ist nicht irrtumsfrei. Matthäus 27, 9 wird dem Propheten Sacharja eine Stelle zugeschrieben, die tatsächlich von Jeremia herrührt. Aber mit der Bibel konnte er nichts Rechtes anfangen. Daher kam er wieder auf die Dekretale Unigenitus zurück. „Widerrufe!“, schloss er, fügte aber noch hinzu: „Ich bin vom Papst ermächtigt, über dich und alle deine Gönner den Bann und über alle Orte, die dich aufnehmen, das Interdikt zu verhängen.“ Als auch diese Drohung nicht zu verfangen schien, erhob er sich endlich und rief: „Geh und komme mir nicht wieder vor die Augen, es sei denn, dass du widerrufen willst!“ „Seine Zuversicht war also gebrochen, und während er noch einmal schrie: ,Widerrufe!’, wandte ich mich zum Gehen“, schreibt Luther noch am selben Tage an Spalatin. Aber Cajetan hatte gerade den entgegengesetzten Eindruck. Er meinte, Luthers Zuversicht habe zu wanken begonnen, und beschloss daher sogleich, noch etliche andere Mittel anzuwenden, um ihn vollends mürbe zu machen. In dieser Absicht bestellte er nach dem Essen (10 Uhr) Staupitz und Link zu sich ins Fuggerhaus. Stundenlang verhandelte er mit den beiden Brüdern. Mit viel „hübschen Worten“ suchte er Staupitz zu bereden, Luther zu einem einfachen Widerrufe zu bestimmen, und versicherte ihm dabei: Luther habe kaum einen besseren Freund als ihn. Staupitz erklärte ihm darauf: Er habe Luther immer zugeredet und tue es noch heute, sich demütig dem Spruch der Kirche zu unterwerfen, aber er sei Bruder Martin weder an Gelehrsamkeit noch an Geist gewachsen. Er, der Kardinal, könne dagegen als Statthalter des Papstes auftreten und sei daher der einzige am Platze, der mit dem „Brüderlein“ fertig werden könne. Er zog sich also sehr geschickt mit einer wohlberechneten Verbeugung vor dem Statthalter des Papstes aus der Schlinge, so dass dieser ihm wegen seiner Weigerung nicht einmal böse sein konnte. Aber von einer Wiederaufnahme des Verhörs wollte Cajetan nichts wissen. „Ich will nicht mehr mit diesem Bruder sprechen“, sagte er, wohl in einer Anwandlung neapolitanischen Aberglaubens, „denn er hat tiefliegende Augen und daher wunderliche Phantasien in seinem Kopfe.“ Er erklärte sich nur bereit, die Artikel aufzusetzen, die Luther widerrufen solle. Er hielt jedoch für gut, sich damit nicht zu beeilen. Je länger der Bruder warten musste, dachte er offenbar, um so rascher werde er mürbe werden. Luther schrieb auf die Kunde hiervon sogleich an Spalatin: „Ich werde nicht eine Silbe widerrufen und meine heute abgegebene Rechtfertigungsschrift drucken lassen, damit er durch die ganze christliche Welt widerlegt wird, wenn er auch fernerhin so gewalttätig mit mir umgeht, wie er begonnen hat. Auch bereite ich eine Appellation vor.“ Nach Wittenberg aber meldet er: „Der Kardinal ist vielleicht ein tüchtiger Thomist, aber kein klarer christlicher Denker und daher zur Behandlung dieser Sache ebenso geschickt wie der Esel zum Harfenschlagen.“ Während er in St. Anna dieses wenig schmeichelhafte Urteil über Cajetan zu Papier brachte, stand im Fuggerhause Bruder Link vor dem kleinen Gewaltigen. Ob er aus eigenem Antriebe dahin gegangen oder von Staupitz geschickt oder von Cajetan direkt zitiert war, wissen wir nicht. Jedenfalls glaubte der Kardinal, als er sich wieder verabschiedete, das Spiel gewonnen zu haben. Er erklärte Bruder Wenzel zunächst: von der Frage, ob der Glaube allein rechtfertige, wolle er ganz absehen, wenn Luther nur seine Äußerung über den Schatz der Kirche widerrufen würde. Er beabsichtige, fuhr er weiter beruhigend fort, Luther jetzt nicht gleich in den Bann zu tun, sondern wolle erst weitere Befehle aus Rom abwarten, wohin er bereits Luthers Rechtfertigungsschrift durch einen Eilboten geschickt habe. Bruder Wenzel billigte, behauptet er später, durchaus seine Behandlung der Sache. Link hat sich also anscheinend im Verlaufe des Gesprächs noch konzilianter als Staupitz geäußert. Danach kann man es doch begreifen, dass Cajetan jetzt die Katze im Sacke zu haben glaubte und zu seiner Umgebung triumphierend sagte: „Dieser Bruder (Luther) hätte mit frischeren Eiern auf den Markt kommen müssen.“
Aber Staupitz war doch durchaus nicht mit seiner Behandlung der Sache so einverstanden wie, wenigstens dem äußeren Anschein nach, Bruder Wenzel. Er riet Luther zwar ebenso wie Link, noch einmal möglichst höflich und demütig an den Kardinal zu schreiben, sich wegen der unbescheidenen und heftigen Äußerungen, die er in seinen Schriften wider den Papst getan habe, zu entschuldigen und zu versprechen, dass er das gern auch öffentlich auf allen Kanzeln wiederholen wolle und entschlossen sei, sich in Zukunft zu bessern, ja er drang in ihn, es sich doch noch einmal gründlich zu überlegen, ob sein Gewissen ihm wirklich nicht den geforderten Widerruf zu leisten erlaube. Aber über das herrische und gewalttätige Verfahren Cajetans gegenüber seinem Schützling war er so entrüstet, dass er am 15.0ktober an Kurfürst Friedrich schreibt: „Der Legat von Rom benimmt sich, wie man, Gott sei’s geklagt, es daselbst zu tun pflegt: gibt hübsche, aber leere und eitle Worte. Sein Gemüt rastet allein darauf, dass Magister Martinus widerrufe. Er sucht hin und her, wie er das unschuldige Blut vertilgen und zum Widerruf zwingen könnte. Er sagt auch, es sei vom General der Augustiner ein Schreiben gegen Martinus schon im Lande. Peutinger behauptet, das sei auch gegen mich gerichtet. Man solle uns beide in den Kerker werfen und Gewalt gegen uns üben.“ Cajetan war also so unvorsichtig gewesen, gegen Staupitz etwas von dem Haftbefehl Gabriel Voltas verlauten zu lassen, der ja durch das päpstliche Breve vom 11. September nicht ausdrücklich aufgehoben war und daher jederzeit vollstreckt werden konnte. Danach zweifelte Staupitz nicht, dass er sowohl ihn wie Luther zu verderben entschlossen sei, und traf demgemäß seine Anstalten. Während die kleine Eminenz im Fuggerhause über einem neuen Aufsatz gegen Luther brütete, lief er in der ganzen Stadt herum, um ein Darlehn für Dr. Martinus aufzutreiben, denn in Deutschland, meinte er, könne Luther nicht mehr bleiben. Er müsse vielmehr jetzt sogleich sich nach einem Orte wenden, wo ihn der Arm des Papstes nicht erreichen könne, nämlich nach Paris. Es fand sich jedoch leider unter seinen Bekannten in Augsburg keiner, der so viel Geld, als er begehrte, bereitliegen hatte. Gleichwohl hielt er es doch für gut, Luther jetzt schon, damit er ohne Rücksicht auf den Orden tun und lassen könne, was er wolle, aus seiner Obedienz zu entlassen, d. h. ihn von allen Pflichten gegen den Orden förmlich zu entbinden. Alsdann verschwand er am 16. Oktober, ohne sich von Cajetan zu verabschieden, mit Bruder Wenzel aus Augsburg. Am selben Tage legte Luther in St. Anna mit Wissen und Rat der beiden sächsischen Räte in aller Form Rechtens vor Notar und Zeugen Berufung ein von dem schlecht unterrichteten an den besser zu unterrichtenden Papst (a papa male informato ad papam melius informandum), d. h. er lehnte die beiden in der Vorladung vom Juli genannten römischen Richter Ghinucci und Prierias wegen Befangenheit und mangelnder Sachkenntnis ab und ersuchte um Vernehmung durch gelehrte päpstliche Kommissare an einem sichereren Ort als Rom, wo sogar der „beste Papst“ Leo voriges Jahr beinahe einem Mordanschlag zum Opfer gefallen wäre. Auch sei es ihm schon wegen seiner schwachen Leibesbeschaffenheit nicht möglich, jetzt eine so weite Reise zu unternehmen. Am 17. Oktober schrieb er dann in dem ihm von Staupitz und Link empfohlenen Sinne an Cajetan. Dieser Brief machte mit einem Schlage den frohen Erwartungen des Kardinals ein Ende, denn er bekennt darin frank und frei, sein Gewissen erlaube ihm nicht, zu widerrufen; weder durch das Gebot noch den Rat eines anderen noch durch die Rücksicht auf eine andere Person könne und dürfe er aber sich bestimmen lassen, etwas wider das Gewissen zu reden oder zu tun. Da man inzwischen auch im Fuggerhause erfahren hatte, dass Staupitz und Link spurlos aus Augsburg verschwunden seien, so war Cajetan jetzt allem Anschein nach völlig im unklaren, was er tun solle. Er machte es daher wie alle Leute in solcher Lage und Stimmung: er tat vorläufig gar nichts. Auch auf seinen zweiten Brief vom 18. Oktober, in dem Luther sich in aller Form von ihm verabschiedete und seine bevorstehende Abreise ankündigte, gab er keinen Laut von sich. Dies Stillschweigen ward den sächsischen Räten und
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