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Bad: »Nie den Rücken zum Becken, Felix! Am Gefährlichsten ist es immer wenn kein Betrieb ist im Bad und alle sich sicher fühlen!« Ich wirble herum, und stehe plötzlich am Sprungturm. Vom Aufgang zum Dreier und weiter hoch zum Fünfer tropft mir Wasser ins Gesicht. Tiefgrün von Algen schwappt das um zwei Fliesen breit abgesenkte Beckenwasser, die L-förmig eingehängten Eisdruckpolster klopfen kanonisch an den Kanten, noch ist alles eisfrei um diese Jahreszeit aber sicher ist sicher und überhaupt kann sich das nächtlich ändern. Caruso zerrt mich am Bart und wirbelt mich sachte schmerzhaft an sich, dreht mein Gesicht zum Wasser. »Ist ja irre, Flex!« lacht er und umfasst mich. »So was Abgefahrenes gibt’s nur hier in Schweigen!« Auf dem Wasser treiben Topfdeckel, hunderte, und Dinge, die aussehen wie Schilde aus einem Ritterfilm, Töpfe und Klingen. Wieso schwimmt der ganze Mist denn oben? So ein Quatsch! Ich reiße mich von Caruso los und sehe, dass die Treppen zum Sprungturm sich vor Menschen fast durchbiegen. Beide Einer, beide Dreier und der Fünfer, alles wimmelt von triefenden Badegästen. In dieser Kälte? Wer hat die Durchgänge vom Hallenbad nach hier draußen aufgelassen? Ich reiße mich von Caruso los und renne an den Beckenrand, schreie gleichzeitig vom Aufsichtsturm durch die Lautsprecheranlage: »Achtung, eine Durchsage, der Freibadteil ist geschlossen, bitte verlassen sie unverzüglich die Becken und suchen das Hallenbad auf.« Körper prasseln juchzend von den Sprungbrettern und Plattformen, wälzen sich träge zwischen dem auf dem Wasser treibenden Metall, es scheppert, es klatscht fleischig, während ich hilflos am Sprungbecken auf und ab renne und versuche, die illegalen Besucher zur Ordnung zu rufen. Ich suche Caruso, gerade eben stand er doch noch hier, dann sehe ich, wie er mit einer Gruppe weißhaariger Frauen seelenruhig plaudernd seine Bahnen im Schwimmerbecken zieht. Könnten auch Schwäne sein oder Papierreste. »Achtung, eine Durchsage«, lautsprechert eine Stimme aus der Ferne, es ist natürlich meine. »Die Freibadsaison ist zu Ende, bitte verlassen sie die Schwimmbecken, ansonsten sehen wir uns gezwungen ein allgemeines Hausverbot auszusprechen.« Ich kauere über dem nicht angeschlossenen Mikrofon im Aufsichtsturm während ich auf der Wiese mit meinem Laubrechen angewidert einen stetig wachsenden Berg Haare zusammenkratze und mit einem Käscher versuche, die Metallteile aus dem Sprungbecken zu fischen, zum Schutz der Springer. Klamm brüllt: »So wird das nie was, Felix!« Ich suche die Schilder, um die Sprungtürme abzusperren und rufe nach Caruso. Zwei dicke Jungen springen zwischen auf dem Wasser treibende Messer, Kirchenglocken und Schneebesen. Caruso sagt: »So ist das richtig. Wir, für uns.« Mein Laubrechen verfängt sich in meinem Bart. Ich rupfe und reiße tanzend, dann stürze ich ins feuchte Gras, platsche zwischen die Topfdeckel im Sprungbecken und falle völlig schmerzfrei aber umso schwindeliger die Treppe zum Aufsichtsturm hinunter. Auf dem Rücken liegend blicke ich in den Schneehimmel. Klamm türmt über mir, meinen amputierten Bart in der Faust, zischt verächtlich und schwimmt in den Wald.

      Mittwoch: Aufsicht und besondere Aufgaben

      Wie kann man morgens um sechs bloß schon so gute Laune haben? Das ist doch wider die Natur. Das kann doch nicht echt sein. Holm-Rüdiger Andersen rattert unaufhörlich auf mich ein während er mit fabrikfrisch knarrenden Badelatschen in meinem Büro hin und her rennt und sich sein Namensschild ans T-Shirt friemelt. Holm-Rüdiger Andersen – Aufsicht und besondere Aufgaben hat Tante Heidi ihm da allen Ernstes drauf gedruckt und der Kerl kriegt sich vor Begeisterung darüber kaum ein. Kommt sich wohl ein bisschen vor wie ein Geheimagent oder so. Vielleicht ist er auch nur ein begnadeter Selbstironiker wer weiß? So ganz schlau werde ich aus dem jedenfalls noch nicht. Er sieht ein wenig karnevalesk aus in der Dienstkleidung aber das böse grün steht ihm überraschend gut. Seine langen Tennisplatzhaften Beine sind haarlos glatt und dezent gebräunt, die Shorts sitzen souverän leger ohne irgendwo zu schlabbern oder zu kneifen und das ganze Ensemble passt hervorragend zu seiner goldenen Lockenfrisur. Hat der sich das maßschneidern lassen? Wieso sieht der in den Klamotten nicht aus wie ein Trottel, so wie der Rest von uns? Außer Saskia, vielleicht. Na gut, und Viktor.

      »Krieg ich eigentlich auch eine Trillerpfeife, Herr Freiwaldt?« perlt er munter.

      Ich grinse ihn müde durch den grau in den Raum sackenden Morgen an. Was für eine Scheiß Nacht schon wieder! Egal, wie oft ich Maike auf ihrem Handy zu erreichen versuche, sie geht einfach nicht ran. Und was war das eigentlich für ein bekloppter Traum gewesen? Den ganzen Morgen kribbelt mein Kinn so komisch.

      »Nee, nee«, schüttele ich meinen Kopf. »Trillerpfeifen gibt es hier seit Ewigkeiten nicht mehr. Wir sprechen unsere Gäste lieber direkt und freundlich an. Im Dienste der Kundenbindung und so weiter.«

      »Och«, macht er rundmundig. »Und ich hatte mich so darauf gefreut. Ich dachte immer, das wäre ich sag mal, Standardausrüstung. Wissen Sie, bei uns zu Hause im Freibad hatten die Bademeister, also, Schwimmmeister meine ich natürlich, die hatten jedenfalls alle diese durchdringenden Trillerpfeifen, da standen wir als Jungs aber stramm kann ich ihnen sagen. Ich dachte, ich könnte mich jetzt mal, rächen. Nein, ist nur ein Scherz.«

      Ich sehe ihn kurz kraftschöpfend an, schnappe mir dann meinen Schlüsselbund, stecke das iPhone in die Tasche meiner Shorts und schlappe so dynamisch wie möglich zur Tür.

      »Wie wäre es denn, wenn wir uns eben einen Kaffee aus dem Personalraum greifen und ich ihnen dann erstmal das Bad zeige? Die ersten Frühschwimmer ziehen schon ihre Bahnen und Saskia und Viktor, also, Frau Lux und unser Auszubildender, Herr von Avenhoff, haben Frühdienst im Freibad. Da können wir ein bisschen einsteigen, wenn Sie mögen.«

      »Ja, ja, super, super, Herr Freiwaldt!« enthusiasmiert er, gleitet neben mir über den leeren Gang zu den verschlossen Umkleidekabinen des Hallenbadteils in den winzigen, nach frisch gebrühtem Kaffee duftenden Personalraum. Ah, Anita, gesegnet soll sie sein. Ich fülle zwei von Werbeaufdrucken unseres Chlorlieferanten verunstaltete Becher, stelle einen vor Holm-Rüdiger Andersen hin, der im Türrahmen lehnt und sinnierend die halbvolle Schale mit Schlüters Eiskonfekt betrachtet.

      »Milch?« frage ich leise. »Zucker?«

      Er sieht mich an, als wolle er etwas sagen, blickt für einen splittrigen Moment zurück zur Schokolade und nickt langsam. »Einen Tropfen Milch hätte ich wohl sehr gerne, Herr Freiwaldt. Herzlichen Dank.«

      Ich beschäftige mich demonstrativ gastronomisch, wölke unseren Kaffee mit etwas Sahne, heut geht’s uns gut, fülle den Rest aus der Maschine in die Thermoskanne die ich neben die Konfektschale auf den Tisch stelle. Dann mache ich mich daran, einen weitere Kanne aufzusetzen. Kaffee muss immer laufen in einem Schwimmbad, das nützt sonst alles nix.

      »Schlagen Sie ruhig zu«, sage ich über meine Schulter hinweg zu dem überraschend stillen Holm-Rüdiger Andersen, während ich die Küchenzeile mit einem feuchten Tuch abwische. Ich drehe mich um, trockne mir die Hände und greife mir meinen Becher. Holm-Rüdiger Andersen blinzelt mich stumm an und ich rucke mit dem Kinn Richtung Schale.

      »Tun Sie sich keinen Zwang an. Ist noch jede Menge da von dem Zeug. Wir sind ja schließlich in Schweigen. Da herrscht an Schokolade wahrlich kein Mangel.«

      »Nein, danke«, murmelt Holm-Rüdiger Andersen. »Nicht so früh am Morgen. Und normalerweise habe ich auch gar nicht so viel übrig für Süßigkeiten.«

      Wir suchen wortlos in unseren Gesichtern herum, er mit feiner ebener Stirn, bei mir fühlt sich alles eher knitternarbig an, voller Fragen. Vor dem Fenster klappert Anita in der Freibadkasse herum und pfeift dieses eine Lied von Abba, das sie so gerne mag. Wie heißt das noch? Oder ist das irgendwas von den Pet Shop Boys? Was auch immer, es löst den plötzlichen, rätselhaft trägen Sirup um uns auf und wir marschieren mit dampfenden Bechern und von meinem Schlüsselgeklapper versilbert über den Gang, zur Verbindungstür in den Freibadteil.

      »Moin, Anita«, rufe ich, während ich die Tür hinter uns verschließe. »Und tausend Dank für den Kaffee. Endlich schlägt mein Herz wieder, bin noch gar nicht richtig aus dem Quark gekommen heute morgen.«

      Die Luft unter dem hohen vertäfelten Vordach duftet hölzern und nach Feuchte. Forstbadgeruch. Fast alle Gebäude sind im Außenbereich mit Holz verkleidet, selbst die Dachüberhänge und Einfassungen der gläsern schimmernden Schwimmhalle. Hat man schön zu streichen außerhalb der Freibadsaison, kriegt man die Zeit auch mit rum.

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