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Gut Nass. Ulf Imwiehe
Читать онлайн.Название Gut Nass
Год выпуска 0
isbn 9783738042719
Автор произведения Ulf Imwiehe
Жанр Языкознание
Издательство Bookwire
»Frau Lux ermittelt die Chlorwerte«, fahre ich dazwischen als ich Holm-Rüdiger Andersens bestürztes Gesicht sehe. »Freies aktives Chlor und gebundenes Chlor. Also, grob gesagt, das, was im Wasser zur Desinfektion bereitsteht und was nach der Reaktion mit Schmutzstoffen davon übrigbleibt und den typischen Schwimmbadgeruch verbreitet, wenn der Wert vom gebundenen Chlor zu hoch ist.«
»Ja, aber hier im Forstbad riecht es doch gar nicht nach Chlor«, stirnkraust Holm-Rüdiger Andersen.
»Genau so soll's ja auch sein«, stöhnt Saskia.
»Außerdem ph-Wert«, fahre ich fort. »Wir haben natürlich eine Mess- und Regeleinheit in der Technik. Alter Kasten, läuft aber noch einwandfrei. Muss man eben pflegen so was. Also, jedenfalls steuert die Anlage das Ganze zentral aber es ist immer sehr aufschlussreich, auch direkt in den Becken zu messen, bei den Strecken, die das Badewasser hier zum Teil von Filter und Impfstation zu den Becken zurücklegt.«
»Verstehe«, nickt Holm-Rüdiger Andersen mit glasigem Blick. »Redundanzen sind immer gut. Sicher ist sicher, sag ich mal. Und außerdem, wie war das noch? Ihre Leute haben ja immer gerne was in der Hand?«
Saskia grunzt und trägt kopfschüttelnd den Wert der zweiten Probe ins Betriebstagebuch ein.
»Äh, ja, Herr Andersen«, eiere ich. »Was halten Sie denn davon, wenn ich Ihnen dann jetzt mal die Schwimmbadtechnik zeige?«
»Wissen Sie, Herr Freiwaldt«, flötet Holm-Rüdiger Andersen und nippt an seinem Kaffee. »Ich würde es bevorzugen, als, ich sag mal, ganz normales Teammitglied einfach so mitzulaufen. Wie ich gestern ja bereits erklärt habe, entspricht das ohnehin meiner üblichen Methode. Mitarbeiten, Hände dreckig machen und so weiter. Frau Lux und Herr von Avenhoff können mir ja alles zeigen und erklären und Sie sind mich dann erstmal los und können sich auf Ihre eigentlichen Aufgaben konzentrieren. Und wir beide treffen uns dann um, ich sag mal, halb zwei zum Mittagessen im L'Afrique. Was meinen Sie?«
Ich ignoriere Saskias gequältes Augenrollen. Viktor stolpert in seinen riesigen Gummistiefeln, beladen mit Schlauch, Eimer und Schrubber am Schwimmerbecken entlang, eine suizidale Hummel wirft sich immer wieder gegen die Scheibe. Für eine Sekunde bin ich eine Art feststehende Achse, ein stummer, starrer Punkt, um den das Leben wirbelt, Schwung holt und mich schwindelig schleudert in meiner Stasis. Glücklich und geschmeidig zugleich, hatte Benedikt gesagt. Was Drogen alles anrichten können...
»Na klar, Herr Andersen«, nicke ich nur ein wenig zu erleichtert. »Bei Frau Lux sind Sie in bester Obhut. Wenn was sein sollte, Saskia, ich bin im Büro.«
Irgendwo zwischen den Bäumen schreien Krähen sich im Zank gegenseitig nieder. Das Messgerät piepst. Holm-Rüdiger Andersen summt Anitas Lied.
Scheiß Paganini.
Im sterilen Kokon meines Büros springt mir angesichts der Personalknappheit das Herz im Bauch herum. Ich jongliere mit Einsatzplänen, gleiche die feist anschwellenden Überstundenkonten der einzelnen Mitarbeiter mit den Öffnungszeiten ab und verzweifle ein wenig. Solange wir nur den Freibadteil aufhaben mag das gerade noch so gehen. Vorausgesetzt, es fällt keiner länger aus. Wenn sich das Wetter allerdings so sehr verschlechtert, dass wir die Halle zusätzlich öffnen müssen, wird es eng. Und ich weiß ganz genau, dass sich Bürgermeister Marther nicht darauf einlässt, das Freibad vorzeitig zu schließen. Da ist er eigen, das wird durchgezogen bis September, egal was kommt. Kein Wunder, dass der alte Klamm immer so bissig werden konnte, wenn mal einer krank wurde und er einen neuen Plan stricken musste.
Zur Not fordere ich eben über die DLRG einige Rettungsschwimmer für die Beckenaufsicht an, auf Honorarbasis oder so. Wäre nicht das erste Mal, dass wir uns so über Engpässe retten. Am Besten setze ich mich selbst immer in die Mittelschicht und lass den Rest fürs Erste nach dem üblichen System laufen. So bin ich zu den Kernzeiten immer vor Ort und kann am flexibelsten steuern, kann jederzeit überall einspringen und auch mal jemanden von unseren Leuten zum Stundenabbau nach Hause schicken, wenn der Betrieb es zulässt. Nicht zu vergessen, kann ich mich so ausgiebig um Holm-Rüdiger Andersen kümmern. Den kann man ja wohl kaum als volle Arbeitskraft einplanen, rein praktisch gesehen. Der bindet bestimmt noch eher Kapazitäten, als dass er uns eine Hilfe wäre und das möchte ich dem Team so weit es möglich ist ersparen.
Ich schüttele unwillig knurrend den Kopf. Jetzt werd bloß nicht messianisch Flex. Schreib den blöden Plan fertig!
Fluchend fuhrwerke ich in den glosenden Excel-Dateien herum. Das verdammte Laptop verstellt die Helligkeit des Bildschirms immer von selbst. Ich kritzle eine Notiz auf die jungfräulich reine Schreibtischunterlage, die IT-Abteilung darüber zu informieren. Können die Scherzkekse gleich den bescheuerten Furzton von meinem iPhone ändern, ich krieg das irgendwie nicht hin. Wahrscheinlich haben die das Ding gesperrt oder was weiß ich denn. Geht sowas überhaupt?
Ich rechne zum mindestens fünften Mal die geplanten Einsatzzeiten der einzelnen Mitarbeiter nach und stelle zufrieden fest, dass derjenige, der mit Abstand die meisten Stunden fährt, ich selbst bin. Kann man so machen, auch wenn der Betriebsrat das sicher etwas anders sehen wird. Ist nun mal so, krieg ich auch noch hin.
Mein Handy klingelt. Nicht das dienstlich flatulente iPhone, mein privates. Ich wühle es aus meinem Rucksack hervor und wische mit sachte bibbernden Fingern über den Touchscreen.
»Ahoi, Käpt'n!« rufe ich. Huch, klinge ich etwa hysterisch?
»Sag mal, was soll der Scheiß eigentlich?« frostet Maike. Ich starre auf den Laptopbildschirm, meine Augen brennen, wund geglotzt, verstrahlt. Automatisch greife ich mit der freien Hand nach meiner Volvic-Flasche und halte mich daran fest.
»Och, komm, du weißt doch, dass ich das liebevoll meine, wenn ich dich so nenne. Oder soll ich etwa Mäuschen oder Schatzi oder was weiß ich denn zu dir sagen? Ist doch spießig.«
»Wie wäre es denn, wenn du mich einfach bei meinem Namen nennst, Felix?« zischt sie. »Und überhaupt, das mein ich doch gar nicht!«
»Äh, sondern...?«
»Dass du mir hinterher telefonierst und in meinem Privatleben herumschnüffelst.«
Ich schlucke papieren.
»Privatleben? Und, und was heißt denn hier überhaupt schnüffeln? Ich hab doch bloß versucht, dich zu erreichen, weil ich mit dir reden wollte. Über alles, was in letzter Zeit hier so passiert ist. Und wie es dir geht und so.«
»Ja, genau«, schnaubt sie. »Und bei der Gelegenheit hast du dann gleich Benedikt über mich ausgequetscht.«
»Maike«, sage ich zaghaft. »Käpt'n. Ich hab den doch nicht ausgequetscht. Hör doch mal. Ich vermisse dich nunmal. Wir... wir haben uns jetzt über zwei Wochen nicht gesehen und ich wollte nur...«
»Felix, kannst du denn nicht ausnahmsweise mal akzeptieren, dass ich im Moment keinen Kopf dafür hab, mir ständig anzuhören, was dich so beschäftigt? Ich hab hier total viel um die Ohren, Mann!«
»Ja, ich etwa nicht? Da ist das doch umso wichtiger, dass wir uns austauschen und miteinander reden über alles. Haben wir doch sonst auch immer gemacht. Wo wir uns doch so selten sehen, seit du in Bremen bist...«
»Das liegt ja wohl nicht an mir! Wer verbringt denn mehr Zeit im Schwimmbad als sonst wo?«
Ich höre eine Männerstimme im Bremer Hintergrund murmeln. Irgendwas mit Tüchern oder Büchern. Benedikt? Obwohl, wahrscheinlich ist sie an der Uni.
»Maike, hör doch mal...«
»Wo bist du gerade?« unterbricht sie mich ungeduldig.
»Im Büro. Im Bad.«
Sie schweigt triumphierend. Dann setzt sie mit stählern therapeutischem Klang nach: »Vielleicht solltest du dir endlich mal darüber klar werden, dass du nicht allein bist auf der Welt.«
Ich