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Gut Nass. Ulf Imwiehe
Читать онлайн.Название Gut Nass
Год выпуска 0
isbn 9783738042719
Автор произведения Ulf Imwiehe
Жанр Языкознание
Издательство Bookwire
»Na hör mal, Flex, als wenn wir dazu nicht allen Grund hätten. Uns aufzuregen. Wenn die das Bad schließen wollen so Knall auf Fall!« Anita sieht sich beifallheischend um und erntet zustimmendes Gegrummel. Ich zupfe ein langes schwarzes Haar vom Ärmel meines T-Shirts und lasse es zu Boden gleiten. Muss wohl von Saskia sein.
»Anita«, sage ich beschwörend. »Leute. Jetzt hört doch mal zu! Ihr glaubt doch nicht allen Ernstes, dass die Gemeinde so mir nichts dir nichts ein Bad wie das Forstbad dichtmacht? Ehrlich jetzt, mal ganz abgesehen von unserer Bedeutung als Sport- und Freizeitstätte für die Gemeinde muss man sich doch nur mal vor Augen halten, welches Standing wir nach wie vor in der Bäderlandschaft in der näheren Umgebung haben, Investitionsstau hin oder her.«
Saskia lächelt kantig. Sie hat im Ronolulu in Rotenburg gelernt und danach für eine Saison in Bomlitz gearbeitet, bevor sie vor zwei Jahren im Forstbad landete. Saskia weiß, wie ein durch und durch ausgelastetes Schwimmbad aussieht. Sie beschäftigt sich mit ihren violetten Plastiknägeln anstatt auf meine Beschwichtigungen einzugehen. Ich danke ihr insgeheim. Fast liebe ich sie in diesem Moment. Fast macht mir diese Farce schon Spaß.
»Außerdem«, füge ich hinzu und tue mich mit erhobenem Finger kompetent, »wollen wir doch mal das Wichtigste nicht vergessen: wir sind im öffentlichen Dienst angestellt. Wenn Ihr Euch mal ein bisschen mit der arbeitsrechtlichen Situation befasst habt, müsste Euch klar sein, dass man Leute wie uns nicht mal eben so auf die Straße setzt. Ist doch so, oder?«
Ich blicke zu Tante Heidi, die wie in Epoxidharz gegossen da sitzt, regungslos, apathisch.
»Absolut, Herr Freiwaldt«, antwortet Bürgermeister Marther an ihrer statt. »Vollkommen richtig. Das wär ja... das wär ja regelrecht absurd!«
Er wartet ab, seine Mimik immer noch drohend aber um Nuancen kontrollierter als zuvor. Lauernd.
Ich spüre Carusos und Holm-Rüdiger Andersens starrendes, um Beute ringendes Begehren. Irgendetwas trägt mich plötzlich. Ein Schweben unter mir, in mir, leicht und treibend, mich davontragend wie ein warmer, sonniger Wind im Kopf. Ich nehme mir ein weiteres Stück Eiskonfekt aus der Schüssel, wickele es vorsichtig aus und lutsche darauf herum. Dann schnippse ich die Aluminiumfolie in den Papierkorb neben der Tür. Das kriegen wir hin. Ich tippe unhörbare konziliante, beruhigende Kaskaden auf der Tischplatte und schubse meinen Schlüsselbund sanft klimpernd gegen die Konfektschüssel.
»Und echt jetzt mal, angenommen, die Gemeinde hätte tatsächlich vor, hier den Sack zuzumachen, warum würde man sich dann die Mühe machen, einen Nachfolger für den Betriebsleiterposten zu ernennen und einzuarbeiten?«
Walter stützt sich in seine Faust und sucht mein Gesicht ab. Dann nickt er gewichtig.
»Flex hat recht«, rumpelt er. »Auch wenn wir einiges gewohnt sind in diesem Laden«, er wirft Bürgermeister Marther eine Art Lächeln zu, der seine Hände aneinander reibt, sie im Nichts waschend. »Das sind doch nichts als Scheißhausparolen. Dummes Gerede. So eine Nummer zieht kein Arbeitgeber ab. Nichtmal in Schweigen.«
Krachend schiebt Walter seinen Stuhl zurück so gut es geht, schält sich hinter dem Tisch hervor und drückt knarrend das Kreuz durch.
»Meine Meinung: Füße still halten und weitermachen. Ich zieh mich jetzt um, hab 'ne Spätschicht zu schmeißen. Komm, Caruso, lass uns den Viktor ablösen gehen.«
Er bedenkt das Trio am Kopfende mit einem halben Auge.
»Ist recht?«
Bürgermeister Marther nickt dankbar und schafft es irgendwie, gleichzeitig dabei den Kopf zu schütteln.
»Natürlich, Herr Teller, aber natürlich. Das wäre dann alles. Und noch einmal, Herr Balthasar, liebe Leute«, er breitet die Arme aus und neigt sein Kinn von rechts nach links und wieder zurück. »Bitte, machen Sie sich nicht verrückt und helfen Sie uns, also Herrn Andersen, obwohl es natürlich um uns alle geht, also, kurz gesagt, ich bitte Sie alle noch einmal ganz nachdrücklich um Ihre Unterstützung in diesem so zukunftsweisenden Projekt. Und, ich kann Herrn Freiwaldt nur beipflichten, machen Sie sich da um Himmels Willen keine Sorgen wegen solcher Gerüchte! Hier geht alles weiter seinen Gang, das kann ich Ihnen versprechen. Und nicht jede Neuerung ist etwas Schlechtes. Ganz im Gegenteil. Eine Chance! Ja? Ja.« Er sieht mich an, das Gesicht weich wie immer, sein Blick ein kalter Nebelwald.
»In diesem Sinne, einen angenehmen Arbeitstag noch Ihnen allen.«
Das Team presst sich aus dem Raum. Caruso drückt mir im Vorbeigehen sanft die Schulter und murmelt grinsend: »Chapeau.«
Ich sehe ihm nach, taumle ratlos in mir herum und bemerke Bürgermeister Marther und Holm-Rüdiger Andersen neben mir. Tante Heidi steht in der Tür, dreht sich zu uns um und haucht: »Evolution...«
»Herr Freiwaldt«, sagt Bürgermeister Marther dienstlich. »Auf ein Wort in Ihrem Büro, bitte?«
Ich kann mich nicht erinnern, Bürgermeister Marther jemals so richtig außer sich erlebt zu haben. Gut, als ich in der Ausbildung mal beim Chlorflaschenwechsel aus Versehen einen Chlorgasausbruch ausgelöst hatte und das vollbesetzte Hallenbad evakuiert werden musste, da ist er dann doch mal ein bisschen energisch geworden. Hauptsächlich allerdings, weil ich beim Wechsel entgegen jeder Sicherheitsvorschrift keine Atemschutzmaske getragen hatte und nur durch schieres Trottelglück nicht verletzt wurde. Und überhaupt war es eigentlich der alte Klamm, der den richtigen Anschiss kassierte, als mein Ausbilder und Chef. Aber was solche Dinge anging, teilte Klamm nur zu gerne mit seinen Unterlingen und ich hatte derbe zu büßen. Nie waren die Bodeneinläufe draußen im Sprungbecken so sauber, wie in den folgenden Wochen. Na ja, war ein gutes Training, in vier Meter Tiefe mit der Bürste herumzuschrubben. Ohne Pressluftflaschen natürlich. Sollte ich vielleicht mal wieder machen. Tauchen ist ja seit jeher mein Schwachpunkt. Da kriege ich immer Panik, wahrscheinlich wegen dem Krupphusten, den ich als Kind mal hatte oder was das war. Ja, der alte Klamm konnte ausrasten, dass einem der Kittel brannte. Bürgermeister Marther ist für derlei emotionale Ausbrüche zu kontrolliert.
Dachte ich.
Ich lehne an Klamms, nein, an meinem Schreibtisch, Holm-Rüdiger Andersen steht mit dem Rücken zur verschlossenen Tür, Tante Heidi sitzt zusammengesackt im einzigen Besucherstuhl und all drei schleudern wir die Köpfe hin und her, folgen Bürgermeister Marther, der wie von einem Moskitoschwarm verfolgt durchs Büro hetzt und schweißgebadet über Diskretion doziert, über Vertrauensbruch und die Sucht nach Tratsch und Gerüchten verflucht, die er für die Geißel Schweigens hält. Immer wieder sticht sein Finger vor meinem Gesicht herum, harpuniert meine halbherzigen Ausflüchte. Wenn er jemals rausfindet, dass Caruso das alles von mir weiß, schreit er, obwohl, womöglich war es doch einer aus dem Gemeinderat, der nicht dichthalten konnte, und überhaupt, was denn bloß in den Kerl gefahren ist?
Wenn ich das wüsste. Caruso. Manchmal kommt es über ihn. Dann packt ihn diese kindlich destruktive Lust am Aufruhr und es wird ihm ganz experimentell zumute, wie er es ausdrückt. Caruso, dieser Irre. Manchmal frage ich mich ernsthaft, was uns eigentlich verbindet? Auf welchem Fundament unsere Freundschaft ruht? Maike nannte es einmal eine Mischung aus irrationaler Zuneigung, Gewohnheit, Mitleid, Einsamkeit und entsprechender Verzweiflung. Eine Schicksalsgemeinschaft in Shorts und Flip-Flops. Ich weiß ja nicht, diese Psychologen...
»Ich glaube, es wäre ganz klug, einmal die positiven Seiten dieser, ich sag mal, Episode, zu betrachten«, nutzt Holm-Rüdiger Andersen eine Atempause Bürgermeister Marthers, der erst überrascht erlahmt, sich dann fleischig neben mir gegen den Schreibtisch lehnt und zwei- dreimal seufzt. Er sieht Holm-Rüdiger Andersen nach Erlösung dürstend an.
»Und welche positiven Seiten wären das wohl?« fragt Bürgermeister Marther. »Etwa, dass ich zum ersten Mal seit Jahren, ach, Jahrzehnten erleben durfte, dass Herrn Tellers Wortschatz mehr Begriffe umfasst als Ja, Nein und Moin?«
»Schönen Feierabend, nicht zu vergessen«, ergänze ich leise.
»Genau!« kollert Tante Heidi. »Und der Klassiker: