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Curry, Senf und Ketchup. Friedrich Wulf
Читать онлайн.Название Curry, Senf und Ketchup
Год выпуска 0
isbn 9783847672227
Автор произведения Friedrich Wulf
Жанр Языкознание
Издательство Bookwire
Zimmermann sprach’s so unbeteiligt nüchtern, als ob er von einer zwanzig Zentimeter langen Pommes spräche, die eben durchaus noch innerhalb der natürlichen Varianz liegt der hundertzwanzig Millionen Fritten, die in Deutschland täglich verspeist werden.
Nur feministische Hardliner, dachte Clarissa, würden den ersten Stein nach Berger werfen, weil er nicht in Roberts Gesicht blickte. Stattdessen fummelten Bergers Augen an Chrissi Hains herum. Männer waren zu unempfindlich, um zu bemerken, wann es unerträglich wurde. Wahrscheinlich die Gene. Hier Zimmermanns Knautschgesicht, dort Chrissis Knutschmund. Sie konnte es den Genen nicht verdenken.
Von Robert Zimmermann erfuhren sie, dass Liedvogel seine Vorlesungen gern am Abend hielt, der Konzentration wegen. Die Aufmerksamkeit sei dann gebündelter, die Banalitäten des Tages lägen hinter den Studenten. Die Vorlesung habe den Titel. Ein scheuer Blick zur Leiche. Habe den Titel gehabt: „Die Form bestimmt den Inhalt. Untertitel: Alle Wirkung kommt aus dem Medium, was gesagt wird, ist gleichgültig.“
„Und das bedeutet auch was?“, fragte Max.
„Ist eine Verfeinerung und Ausarbeitung der Formel von McLuhan“, sagte Zimmermann.
„Dann ist ja alles klar“, sagte Max.
„The medium is the message?”, fragte Clarissa.
„Ja, was sonst?”
„Und was haben Sie gesehen?“, fragte Max.
„Also, ich denke der Mörder hat den Zeitpunkt genau abgepasst. Bevor Jules seine Opfer erschießt, trägt er ihnen einen Bibelspruch vor, erst dann schießt...“
„Jules, wer ist Jules?“, fragte Max.
„Ein Killer in Pulp Fiction“, sagte Clarissa.
„Richtig“, schnarrte Zimmermann, „es ging in der Vorlesung um die Dekonstruktion dieser Szene. Professor Liedvogel hatte gerade die Analyse beendet und wollte sie noch einmal vorführen, als die Tür“, Zimmermann nickte zum gnagsuatoN, „aufging und der Mann hereinmarschierte und den Professor erschoss.“
„Würden Sie ihn wiedererkennen?“
„Nein, der Saal war verdunkelt, nur Liedvogel stand im Scheinwerferlicht.“
„Hat er noch irgendwie reagiert?“
„Nein.“
„Aus welcher Entfernung ist er erschossen worden?“
„Zwei oder drei Meter würde ich sagen.“
„Konnten Sie sehen, was er trug?“
„Ich konnte nichts sehen, ich wusste gar nicht, wohin ich sehen sollte.“
„Er trug einen Trenchcoat und es waren zwei Schüsse“, sagte Chrissi Hains.
„Das hast du gesehen?“, fragte Zimmermann.
„Gesehen und gehört.“
„Haben Sie ihn im Licht gesehen?“, fragte Max.
„Nein, nur im Halbdunkel, das hat ja gedauert, bis das Licht anging“, sagte Chrissi.
„Wieso gedauert?“
„Wir haben doch alle angenommen, das gehöre mit zur Vorlesung, dass er damit was demonstrieren wollte, ein Zeichen setzen, etwas zum Dechiffrieren“, sagte Zimmermann.
„Wie bitte, Sie haben nicht sofort das Licht angemacht, es gab keinen Tumult sofort?“
„Liedvogel war von unvorhersehbarer Kreativität, er gehörte zu den begeisternden Köpfen der Uni. Was da vor uns geschah, wäre eine Inszenierung, dachten wir. Ein extremer Kontrast zur Filmszene mit Jules und seinem Bibelzitat. Jules lässt sein stammelndes Opfer warten, es zittert, es wimmert. Weidet er sich an der Angst, weiden wir uns an der Angst, werden unsere sadistischen Impulse dekuvriert? Wir kennen solche Warte-Szenen natürlich auch um dem Helden eine Chance zu geben, damit er doch noch einen Ausweg findet. Aber nicht in Pulp Fiction, da sind zwei Experten, zwei Profikiller am Werk. Das Opfer wird Opfer, gnadenlos. Ben Elton macht sich übrigens in seinem Roman „Motormouth“ darüber lustig, dass die Film-Killer oft irrsinnig lange warten, bis sie ihren Job endlich erledigen. Palavern so lange herum, bis ihnen ein Stuhl ins Kreuz fliegt. Ben Eltons Killer schießt sofort und kommentiert dann: Weiß gar nicht, warum die im Film immer solche Faxen machen. Was wollte ich noch sagen?“, fragte sich Zimmermann. „Ach ja, ich dachte, Liedvogel habe sich einen Jokus erlaubt, wir konnten nicht ahnen, dass der Killer keine Faxen machte. Tür auf, ein paar Schritte, Kopfschuss. Und dann ruhig aus dem Saal spaziert. Echt wild.“
„Wir müssen mit den anderen Zeugen sprechen, gibt es eine Teilnehmerliste?“
„Nein, ist eine freiwillige Vorlesung.“
„Wer hat einen Groll auf den Professor?“
„Das ist jetzt wohl die Frage nach den Feinden, wie?“, fragte Zimmermann. „Und ich dachte das hörst du nur in miesen Krimis, aber nein, ich wüsste nicht, nein Feinde hatte er nicht. Glaube ich nicht.“
„Konkurrenz?“
„Brauchte er nicht zu fürchten, er trat im Rundfunk und Fernsehen auf.“
„Also Neider?“
„Die hat jeder.“
„Auch der Penner in der Westernstraße?“, fragte Clarissa.
„Klar! Der Kumpel, mit dem er das Erbettelte auf dem Marienplatz versäuft, hat wärmere Schuhe und keine Eiterbeule am Arsch“, sagte Zimmermann.
„Was haben Sie als Assistent eigentlich für eine Aufgabe? Ich meine, was tun Sie für den Professor? Ich meine, haben sie für ihn getan?“ fragte Max.
„Man arbeitet ihm zu.“
„Sie kopieren für ihn und machen Telefongespräche, also eine Art Sekretär.“ Zimmermann blieb ernst und korrigierte, dass er das sicherlich nicht tue, er beteilige sich an den Forschungsvorhaben des Professors, indem er zum Beispiel Literatur sichte und Thesen entwickle, die dann in gemeinsame Aufsätze einflössen.
„Sie meinen der Professor benutzt Ihre Weisheiten um seine Karriere zu schmieren?“
„Nein, nein das habe ich so nicht gesagt, das ist üblich, dass man zuarbeitet, so läuft der Betrieb.“
„Dass die Assistenten ausgebeutet werden?“
„Habe ich nicht gesagt, kam nicht vor bei Liedvogel, war immer fair, ein fairer Doktorvater war Professor Liedvogel.“
„Dann noch eine Bitte, stellen Sie uns die Teilnehmer der Vorlesung zusammen. So komplett es geht.“
Die Spurenhunde fanden keine zweite Patronenhülse. Es könne ja sein, dass der Killer zweimal an exakt der gleichen Stelle in den Kopf geschossen habe, kommentierte der Gerichtsmediziner Maxens Frage nach einer zweiten Einschussstelle.
„Herr Zimmermann, noch eine Frage. Können Sie uns sagen, ob die Seitentür immer offen ist?“
„Ich glaube schon. Sie wird selten benutzt.“
„Wohin führt der Gang?“
„Zu einer Treppe und dann nach oben in die Eingangshalle.“
„Man braucht also keinen Schlüssel oder besondere Kenntnisse um den Weg zu finden.“
„Nein, darauf kann jeder kommen.“
Männerarroganz, das war die ganz alltägliche Männerarroganz, die Berger zur Schau stellte und mit keinem Wort danach fragte, ob ihr was aufgefallen sei. Wortlos stelzte Berger vom Hinrichtungsort durch die Uni, quer über den Parkplatz zum Wagen, aber im Schummerlicht der Unigänge zwitscherten seine