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OMMYA - Freund und Feind. Dennis Blesinger
Читать онлайн.Название OMMYA - Freund und Feind
Год выпуска 0
isbn 9783738094695
Автор произведения Dennis Blesinger
Жанр Языкознание
Серия OMMYA
Издательство Bookwire
»Ist heute gekommen. Ich existiere offiziell wieder.«
Bei der unscheinbaren Karte handelte es sich um den elektronischen Schlüssel, den alle Mitarbeiter brauchten, um die Gewölbe der Abteilung zu betreten und auch wieder zu verlassen. Vor etwas mehr als drei Wochen hatte René seine Karte verloren. Sie hatten alles auf den Kopf gestellt, aber es war schnell klar gewesen, dass sie verschwunden war. Schweren Herzens hatte René einen Antrag auf eine Ersatzkarte gestellt.
Während der vergangenen drei Wochen hatte er notgedrungen auf Jochen oder einen der anderen Mitarbeiter warten müssen, um die Zentrale betreten zu können. Obwohl sie sich seit Jahren kannten und René der Leiter der Abteilung war, hatte Honk, der Chef der Sicherheitsabteilung, und einer der wenigen Außenweltler, die hier arbeiteten, darauf bestanden, dass René jeden Tag eine Besucherkarte erhielt, mitsamt allem Papierkram, der dazugehörte.
Es mochte paradox klingen, aber das Sicherheitssystem der Abteilung war vorwiegend darauf ausgelegt, zu kontrollieren, wer und was das Gebäude verließ und nicht so sehr, wer es betrat. Nur mit den entsprechenden Ausweisen und Honks Zustimmung war das Verlassen der Abteilung möglich. Und auch wenn der Wachmann ein friedliches Wesen hatte, so war er imstande, eine Handfeuerwaffe mit der bloßen Hand zu einem kleinen unförmigen Metallklumpen zu zerquetschen.
Heute war die neue Karte endlich eingetroffen. René konnte nun wieder kommen und gehen, wann er wollte. Er hasste es, sich dem Tagesrhythmus anderer Leute anpassen zu müssen.
»Großartig«, meinte Jochen. Er wusste, dass René von nun an wieder bis tief in die Nacht in der Zentrale sein würde. René war, anders als er selbst, ein ausgesprochener Nachtmensch. Es hatte Zeiten gegeben, da Jochen ihn fast schon mit Gewalt dazu hatte bringen müssen, nach Hause zu gehen und so etwas wie ein Privatleben zu haben. Seit etwas mehr als einem Jahr hatte sich dieses Verhalten allerdings deutlich gebessert. Es gab sogar Tage, an denen René vor acht Uhr abends das Büro verließ. »Was hat denn da so lange gedauert?«
»Siefert.« Die Antwort war genug, um allen Humor zu vertreiben, der in der Luft gelegen hatte. Auch wenn ihr letzter Verbindungsoffizier nicht mehr vor Ort war, so war er doch immer noch Teil des Verwaltungsapparates und ihre Beziehung war nicht eben herzlich gewesen, als sich ihre Wege getrennt hatten. Allen bei OMMYA war klar, dass Siefert noch zu Problemen führen könnte, sollte er einmal herausfinden, dass sie so ziemlich alle Berichte, die er in seiner Zeit hier verfasst hatte, abgefangen und umgeschrieben hatten. Renés Meinung nach war die letzte Gruppe von Personen, die detailliertes Wissen über die Artefakte haben sollte, die hier eingelagert waren, ihre Vorgesetzten. Allein die Büchse der Pandora hätte mit Sicherheit dazu geführt, dass ein Geschwader von Wissenschaftlern darüber hergefallen wäre, um herauszufinden, was genau sich darin befand, und wie man es – selbstverständlich rein zu Forschungszwecken – vervielfältigen könnte.
Jochens Blick wanderte durch den sich rapide leerenden Raum. Es war schwer vorstellbar, dass in all den unscheinbaren Kisten und Regalen, die mit Kelchen, Amuletten und anderen Dingen voll gestellt waren, Gegenstände lauerten, die einerseits die Hölle auf Erden Wirklichkeit werden lassen konnten, andererseits aber auch Wunder vollbringen, von denen die Menschheit wahrlich einige brauchen konnte. Aber das eine war nicht möglich, ohne das andere zu offenbaren. Entsprechend hatten sie es sich zur Aufgabe gemacht, den Status Quo der Geheimhaltung solange aufrecht zu erhalten, bis die Menschheit reif war, das eine zu schätzen, ohne das andere in Erwägung zu ziehen. Bis dahin würde Gaias Füllhorn ebenso hier verstaut werden wie auch das Necronomicon. Bis sich an diesen Umständen etwas änderte, hatte die Kantine zumindest immer ausreichend frisches Obst und keiner beschwerte sich.
»Gewöhn dir nicht wieder an, in dem Bett zu schlafen.«
»Keine Sorge. Werde ich nicht tun.« Nicht, bevor das Bett neu bezogen worden war, fügte er in Gedanken hinzu.
»Dann bis morgen«, meinte Jochen.
René war bereits einige Meter weit gegangen, als er fragte: »Als was wolltest du gehen?«
»Darth Vader.«
Renés Lachen hallte von den Wänden wider.
2
»Ich mach mich gleich auf den Weg«, meinte René ins Telefon, während er die Ruhe genoss, die jetzt im Lager herrschte. Rebecca hatte sich gemeldet und erklärt, dass sie ihre Verabredung etwas verschieben mussten, was ihm ganz recht war. Er ließ den Tag gerne mit einem Rundgang durch das Lager ausklingen. Nicht so sehr, um zu kontrollieren, ob alles in Ordnung war. Das war es nicht. Das würde es auch nie sein. Und genau dies war wichtig. Es erinnerte ihn daran, dass sie hier genau einen halben Schritt vom Chaos entfernt waren. Unbekümmertheit war etwas, das bei OMMYA absolut fehl am Platz war.
»Entschuldige nochmal«, meinte Rebecca. Sie klang verärgert. Halloween warf seine Schatten voraus und auch wenn es hierzulande nicht so populär war wie in anderen Ländern, so war die Anzahl der Vorfälle, die kostümierte Kinder und Jugendliche beinhaltete, während der letzten Jahre stetig gestiegen.
Gerade als sie sich dazu bereitgemacht hatte, das Büro zu verlassen, war die erste Gruppe Minderjähriger eingetroffen, verkleidet als Teenage Mutant Ninja Turtles. Auch wenn die Sache eigentlich nicht in ihre Zuständigkeit fiel, schließlich arbeitete sie offiziell bei der Mordkommission, so war sie dennoch dageblieben, um sicherzustellen, dass es sich bei den vier Individuen um Jugendliche, und nicht wirklich um mutierte Schildkröten handelte. René hatte alles, was er an Selbstbeherrschung besaß, gebraucht, um nicht laut loszulachen. Es brauchte ein wenig, um ein Gefühl dafür zu bekommen, welche Meldungen als normal einzustufen waren und welche einer besonderen Beobachtung bedurften.
»Du musst dich nicht entschuldigen«, versuchte er sie zu beruhigen. »Was haben die Jungs ausgefressen?«
»Michelangelo hat mit seinen Nunchacku herumgespielt und einem Passanten dabei fast den Schädel eingeschlagen. Wir mussten auf die Eltern warten.«
»Wenigstens hat er keine Wurfsterne benutzt.« Ein humorloses Lachen erklang aus dem Lautsprecher.
»Halbe Stunde?«
»Alles klar. Bis gleich.«
René steckte das Telefon ein und ließ seinen Blick ein letztes Mal über das Meer von Artefakten gleiten, die auf dem halben Quadratkilometer um ihn herum gelagert waren. Alles war ruhig, selbst der Phönix hatte sich zur Ruhe gelegt und schlief in seinem Käfig. Er schob sich an einem Regal vorbei, das die Lagerarbeiter halb im Gang hatten stehen lassen, und wanderte gemächlichen Schrittes in Richtung Ausgang. Er blickte auf die Uhr. Zehn nach neun. Fast pünktlich. Ein silberner Funkenstrahl war in einiger Entfernung zu erkennen, den er als den Schweif von einer der Pixies identifizierte.
»Gute Nacht, Wendy«, rief er halblaut in den Raum hinein, dann wandte er sich der Tür zu und verließ das Lager.
* * *
Christopher blickte auf seine Uhr. Halb eins. Er gähnte ausgiebig. Auch wenn er bereits seit mehreren Tagen die Nachtschicht hatte, so konnte er sich nicht daran gewöhnen, mitten in der Nacht wach zu sein. Hier machte es eigentlich keinen Unterschied, wie er wusste. Die gesamte Anlage von OMMYA befand sich zwanzig Meter unter dem Erdboden und kein Tageslicht drang jemals nach hier unten. Dennoch weigerte sich etwas ihn ihm, den natürlichen Schlafrhythmus komplett auf den Kopf zu stellen. Darüber hinaus war die Beleuchtung der Zentrale der Tageszeit angepasst, was bedeutete, dass nachts ein Dämmerlicht herrschte, was die Müdigkeit bei ihm nur noch verstärkte.
Langsam arbeitete er sich durch die Listen der Inventur. Sie lagen deutlich hinter dem Zeitplan, und er hatte keine Lust, morgen Abend noch an der Sache zu sitzen.
In seine Arbeit vertieft, entging ihm die Bewegung, die am anderen Ende der Zentrale stattfand, ebenso wie das leise Summen, als sich das Handy von Honk meldete, der wie üblich am Eingang stand. Der Wachmann brauchte quasi keinen Schlaf, war imstande, sich im Stehen auszuruhen und damit zufrieden, mehrere Tage hintereinander seinen Job zu erledigen, ohne auch nur eine Miene zu verziehen.