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weg. Mit Ludmillas Unterstützung gelang es ihm, in Bern Fuss zu fassen. Er arbeitete sich Schritt um Schritt hoch zum gefragten Spitzenkoch. Doch was unser Leben in eine unerwartete Richtung lenken würde, entdeckten Ludmilla und ich erst, als wir anderntags glücklich, aber noch reichlich verkatert in Grossvaters Haus den Maschinenraum hinter der Werkstatt betraten.

      ***

      Es regnete wieder, und Villerach schien wie ausgestorben, als ich die Haustüre hinter uns schloss. Ludmilla schmiegte sich an mir vorbei in die Wohnstube, ihre Haare kitzelten mich im Gesicht. Der niedrige Raum war spärlich möbliert, die Fensterläden zugezogen. Alles war fein säuberlich aufgeräumt, wie wenn Grossvater geplant hätte, nächstens auszuziehen. Nur Küche und Schlafstube schienen noch bewohnt. Ludmilla entdeckte in den Wohnräumen nichts, was ihr Interesse erweckte. Sie schien enttäuscht. Ich hingegen würde das eine oder andere kleine Andenken mitnehmen, aber eine schwere Last würde es nicht.

      «Ich mache uns einen Kaffee, es ist noch alles da.» Ludmilla inspizierte die Küche.

      «Ich glaube, ich frage Hans, ob er jemanden weiss, der hier leer räumt, viel ist es ja nicht», grübelte ich über die Kaffeetasse hinweg. «Ich weiss immer noch nicht, was ich mit dem Haus soll.»

      «Du wirst wahrscheinlich kaum einen Käufer finden, hier oben. Behalt es doch. Dann kannst du das Haus den Villachern für ihr Museum vermieten. Für einen symbolischen Betrag, und dafür würden sie sich um das Haus kümmern.»

      Ich nickte: «Das ist eine ausgezeichnete Idee.»

      Es war kühl im ungeheizten Haus. «Komm, wir sehen uns noch die Werkstatt an, dann gehen wir zurück in die Linde.» Ludmilla ging voraus. In der Werkstatt unten schien es, wie wenn Grossvater gleich zur Türe hereinkommen würde. Bloss, dass der Ofen kalt war. Grossvater hätte bestimmt ein schönes Feuerlein unterhalten und sich in der Wärme geräkelt. Alle Werkzeuge waren fein säuberlich an ihrem Platz aufgehängt, die Werkbank war leer geräumt, ebenso die Regale an der Wand. Der Fussboden war blank gefegt. Es herrschte dieselbe Aufbruchstimmung wie oben in den Wohnräumen. Zu Ludmillas Enttäuschung waren auch die Regale leer, nur im Gestell standen ein paar Holzklötze gestapelt.

      «Irgendwie habe ich doch gehofft, hier noch etwas zu finden. Wohin führt eigentlich diese Türe? Ich habe sie nie offen gesehen.»

      «Der Maschinenraum, dort durfte ich nicht hinein, als ich klein war, wegen der gefährlichen Maschinen. Ich bin noch nie drin gewesen. Die Türe war stets abgeschlossen!»

      Ludmilla drückte entschlossen auf die Klinke. Verschlossen.

      «Ich weiss aber, wo der Schlüssel ist.»

      Ludmilla schaute mich ungeduldig aus schrägen Augen an.

      «An Grossvaters Schlüsselbund, und der müsste eigentlich in der Küchenschublade hinter dem Messerfach versteckt liegen.»

      «Bitte, Sandor, machs nicht so spannend! Mir ist kalt, rette mich!»

      Treppen hoch, Treppen runter, schon stand ich triumphierend mit dem Schlüsselbund vor Ludmilla. Sekunden später drängten wir uns lachend in den Maschinenraum.

      Die gefährlichen Maschinen von einst, Sägen, Bohrer, Fräsen standen mit grauen Tüchern zugedeckt wie grosse Tiere an der Rückwand. Vor dem hohen, hellen Fenster stand ein roher Tisch mit ein paar Brettern und Sägeböcken zusammengezimmert. Er war überhäuft mit Plänen und Skizzen, Heften und Notizbüchern. Zeichenutensilien und Schreibzeug lagen kreuz und quer auf den Papieren. Auf einem Holzklotz mitten auf dem Tisch stand eine Figur, ein Junker, der freundlich lächelte. Er zog sofort Ludmillas Aufmerksamkeit auf sich.

      «Was ist denn das?», fragte sie verblüfft.

      Ich trat von hinten an sie heran, legte meine Hände um ihre Taille und roch an ihren Haaren. Ludmilla schmiegte sich an mich, hielt meine Hände fest. «Das, unwissende Ludmilla, ist ein Arkade. Genau genommen ist das der gute Arkade. Wenn du freundlich hinschaust, wird er dir zunicken.»

      «Und, weiser Sandor, was genau ist ein Arkade?»

      Ludmilla wand sich, und wie zufällig streifte sie mich mit ihrem straffen, runden Po. Lachend drehte sie sich zu mir um und umarmte mich.

      «Das, neugierige Ludmilla, werde ich dir erst nach dem Mittagessen erzählen. In der Linde, bei einem von Sarbachs süffigen Weinen.»

      «Sandor Lendel, Enkel des Xaver, du spottest meiner, du bist nicht galant mit mir! Ich weiss nicht, wie du das je wieder gut machen kannst!»

      Wir küssten uns trotzdem.

      Ich fand einen von Grossvaters altmodischen Koffern. Inzwischen war uns wirklich kalt geworden. Zügig verstauten wir die Papiere, die Figur und ein paar Kleinigkeiten, die mir wichtig erschienen. Dann schloss ich mit dem grossen Schlüssel die Haustüre ab und steckte Grossvaters beeindruckenden Schlüsselbund ein.

      In der Linde sass um diese Zeit niemand mehr. Wir erhielten dennoch eine Kleinigkeit aufgetischt. Hans setzte sich uns gegenüber an den Tisch.

      «Und, wie wars?»

      Wir erzählten von unserem Rundgang; ohne uns abgesprochen zu haben, erwähnten wir den Maschinenraum mit keiner Silbe. Ich deutete auf den Koffer: «Ein paar Erinnerungsstücke.»

      Dann weihten wir Hans in den Plan mit dem Museum ein.

      Hans grinste: «Lass mich das einfädeln, bitte. Den Herrn Bürgermeister, den möchte ich zu gerne selbst erleben! Ich schicke dir dann die Papiere zum Unterschreiben.»

      «Ich geh schon mal voraus.» Ludmilla gähnte, allerdings nur wenig überzeugend. Hans und ich nickten. Kaum war sie ausser Hörweite, zischte ich zu Hans: «Los, Hans, auf, eine Flasche Gigondas und zwei Gläser.»

      Hans grinste und sauste hinter seinen Schanktisch.

      «Sofort der Herr, sehr gerne Monsieur, wohl bekomms!»

      Mit den klirrenden Gläsern in der einen Hand, der Flasche Wein unter den Arm geklemmt und dem Koffer in der anderen Hand stieg ich die Treppe hoch zu Ludmillas Zimmer. Sollte ich anklopfen? Wie denn?

      «Komm herein, du hinterlistiger Casanova!»

      Ludmilla lag im Bett, bis zur Nasenspitze zugedeckt. Ihre Katzenaugen funkelten. Ich stellte meine Bagage ab und schloss die Türe.

      «Ich bin fast nackt!», kicherte sie. Wie zum Beweis streckte sie ein freches Bein unter der Decke hervor.

      «Nur fast? Da muss man sofort etwas dagegen tun!» Spielerisch griff ich nach ihrem Fuss. Ludmilla kicherte und schloss geniesserisch die Augen, als ich ihre süssen kleinen Zehen knabberte.

      ***

      Ich erinnere mich oft an unseren verbummelten Nachmittag unter der schweren Decke im kühlen Hotelzimmer. Alles zwischen uns war neu und unverbraucht. Jede Geste, jedes Wort wurde zur gegenseitigen Entdeckung. Alles Licht schien sich wie in einem Prisma im altmodischen Zimmer in der Linde zu bündeln und funkelnd wieder auseinander zu sprühen.

      ***

      «Und, wie ist das mit dem Arkaden, dem Guten?»

      Ich huschte aus dem Bett, fischte den Arkaden aus dem Koffer und stellte ihn vor den Spiegel auf den Waschtisch. Zurück unter der warmen Decke erzählte ich Ludmilla das Märchen von Xelorin aus Meldonien, so wie es mir Grossvater vor über zehn Jahren in der Werkstatt erzählt hatte. Erstaunlich, wie gut ich mich noch an die Geschichte erinnerte. Ludmilla war die perfekte Zuhörerin. Lange schwieg sie, grübelte. Sie studierte an den Spielregeln herum. Dann befand sie, es sei ein schönes Märchen, das sehr gut zu Xaver passe.

      ***

      Am nächsten Morgen trennten sich unsere Wege. Wir verabredeten uns aber für eines der kommenden Wochenenden. Ludmilla wollte in Ruhe ihre Aufzeichnungen durcharbeiten und dann in ihr Basel zurückkehren. Ich musste zurück nach Bern, an die Uni, der Alltag wartete bereits ungeduldig auf mich. Den Arkaden hatte ich nach einem zustimmenden Nicken und einem belustigten Lächeln Ludmillas zu den Papieren in den Koffer zurückgelegt.

      Der

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