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wie gesacht, mir sinn dann früher ans Geschäft gange.“

      „Wo hattet ihr denn geschlafen?“

      „Na, da in dere Einkaufspassaasch zwische Hauptwach un Biebergass; da lieche mir meistens. Mir sind dann runner, weil obbe is ja um die Zeit noch nix los, gelle ...“

      „Haben Sie zufällig auf die Uhr geschaut?“

      „Ja, uff dere Uhr da drauße uffm Roßmarkt war's kurz nach acht. Mir also runner in die B-Ebene unn quer dorsch. Is ja e Mordsgerenne um die Zeit. Mir hawwe da en scheene Platz neber sonem Café, gelle, da schmeiße die Leut öftes emal was neu in de Hut. Und dann – was soll ich Ihne sache, Herr Kommissar“, er beugte sich vor; Korp begann, flach zu atmen, „da seh ich doch des Peterche da hinne lieche, bei de Toilette‘, wo die Schließfächer sinn, wie's noch schläft. Is gar net sei Art, sach ich Ihne!“

      Er setzte sich wieder gerade hin.

      „Ja, und? Weiter!“

      „Mir also hin und wollten'en wecke, awwer dann … wie ich des Blut gesehe habb … Da wusst ich, des hat koin Sinn mehr.“

      „Sie sind also nah an ihn herangetreten? Wie nah?“

      „Nee, nee, Herr Kommissar – so nah auch widder net! Ich habb mich nur übbern gebeucht und ...“ Auf den fragenden Blick Korps artikulierte er „Ü-ber – ihn – ge-beugt … unn nix angefasst. Werklisch! Ich hab glei gemerkt, dass der dod is. Des viele Blut! Unn dann hat jemand die Polizei gerufe.“

      „Ist Ihnen irgendetwas aufgefallen – war etwas anders? Hat etwas gefehlt? Eine der Tüten vielleicht?“

      Vereintes Kopfschütteln.

      „Als die Kollegen von der Streife kamen, seid ihr weggerannt. Warum? Es hat Stunden gedauert, euch zu finden!“

      Die beiden Obdachlosen rutschen unbehaglich auf ihren Stühlen hin und her.

      „Ja, also, Herr Kommissar. Sie hawwe ja Recht. Des war falsch. Awwer des müsse Se schon verstehn. Des is – so'e Art Reflex, wenn Se wisse, was ich mein.“

      „Gab es irgendwelche Streitereien in der letzten Zeit rund um die Hauptwache?“ Korp wusste, dass er sich die Frage genauso gut auch hätte sparen können. Beide schüttelten erwartungsgemäß die Köpfe.

      „Wir müssen Angehörige des Herrn Landgraf finden. Habt ihr eine Idee, wen man benachrichtigen könnte?“

      „Mit der Laura war er öfters zusammen“, mischte Manne sich jetzt ein. „Aber die weiß es schon, dass er tot ist. Ja, und der 'Doktor' natürlich.“

      „Wer ist der Doktor?“

      „Mit dem hing des Peterche immer rum.“ Karl warf Manne einen verdrießlichen Blick zu und ließ sich seine Hauptrolle nicht streitig machen. Er beugte sich wieder vor. „Mir sache immer Doktor zu em, weil, der hat emal studiert. Ich glaub, Thomas heißt der. Den finne Se wahrscheinlich an de Konstabler. So'n mittelgroße mit ‘em Bart, ich schätz mal, so um die vierzig wird der sein.“

      Da können wir ihn ja nicht verfehlen, dachte Korp. „Thomas – und weiter?“

      Gemeinsames Schulterzucken.

      „Nachnamen kennen wir bei uns kaum“, meldetet sich jetzt wieder Manne zu Wort. „Aber der ist ganz okay. Der muss Jura studiert haben, hat den Kollegen manchmal ein paar Tipps gegeben.“

      „Und wie gut haben Sie den Toten gekannt?“

      Pinnekarl zuckte die Schultern. „Wie mer sich halt so kennt, gelle? Mir hawwe immer nur Peterche zu ihm gesacht, weil er doch nur so ‘en korze Stobbe war.“

      In das verständnislose Gesicht Korps hinein übersetzte Manne: „Weil er doch so klein war.“

      „Ja, genau. Und dass des 'en Landgraf war, hawwe mir net gewusst!“ Beide fingen an zu kichern und wollten sich gar nicht mehr beruhigen.

       2

      „Oh, Mann!“ Anna fegte in den Laden, pfefferte ihren Schulranzen in die Ecke und sich selbst in den Stuhl daneben. „So eine Scheiße! So eine Scheiße!“ Nach diesem Ausbruch verschränkte sie die Arme vor der Brust, blieb regungslos sitzen und starrte stumm vor sich hin.

      Thea Dettner und Frau Busche sahen sich an.

      „Was ist denn los?“

      Keine Reaktion.

      „Warst du schon zu Hause?“

      Anna blieb Salzsäule.

      „Du weißt, dass deine Mutter solche Wörter nicht gerne hört!“

      Annas Kopf schreckte in die Höhe: „Ist sie da?“

      „Nein. Ist was passiert?“

      Anna hatte wieder die Haltung einer Marmorstatue angenommen. Ihr Blick bohrte Löcher in den Boden. Thea sah, dass ihr Tränen über das Gesicht rannen.

      „Komm, wir gehen nach oben und lassen uns eine Pizza kommen. Oder willst du lieber zu Carlo gehen und dich da hinsetzen?“

      Frau Busche hatte sich inzwischen diskret abgewandt und sortierte eine neue Lieferung Comic-Hefte in den Auslagen. Thea überlegte, ob sie Doris anrufen sollte, entschloss sich dann aber zu warten.

      Eine Horde junger Rüpel aus der nahen Schule, kaum zwei Jahre älter als Anna, stürmte den Laden, beriet sich lautstark über die Investition von einem Euro fünfundsechzig, die einer von ihnen zu tätigen gedachte, und hatte einen mordsmäßigen Spaß, sich dabei gegenseitig von einer Seite auf die andere zu schubsen. Bevor sie sich schließlich wieder gegenseitig nach draußen rempelten, rief einer: „Guck mal, die flennt ja!“

      Daraufhin zog es Anna vor, mit Thea nach oben in die Wohnung zu gehen.

      Anna war fast elf und der jüngste Spross der Familie Tischmann. Sie war geschlagen mit drei älteren Brüdern und einem Elternpaar, das seit über zwanzig Jahren im Schuldienst stand und alles über Erziehung wusste. Zudem mit dem Schicksal des ewigen Nesthäkchens, bei dem die Pubertät heftig an der Tür klopfte, wenn nicht gar schon eingetreten war, was aber die anderen Familienmitglieder nach Theas Ansicht nicht so recht zur Kenntnis nehmen wollten.

      Während Thea Doris’ Nummer wählte, schielte sie in die Couchecke. Anna saß stumm und kerzengerade in einem Sessel und weinte still vor sich hin. „Deine Tochter ist hier. Wir essen zusammen.“

      „Gut.“ Es klang gestresst. „Ich muss sowieso heute Nachmittag noch mal in die Schule. Was hat sie von der Mathe-Arbeit gesagt?“

      „Ach, jetzt versteh ich.“ Fast war Thea erleichtert. „Noch nichts.“

      „Oh – Schei... Scheibenkleister! Ich hab’s geahnt! Sie ist nun mal schwach in Geometrie, das weiß sie doch und ...“

      „Du meinst ...?“

      „Verdammt, ja! Und ich habe ihr gestern Abend extra gesagt, sie soll sich noch mal hinsetzen! Aber nein, sie musste ja unbedingt noch lesen! Da kann man reden und reden …“

      Thea beglückwünschte die Kleine im Stillen dafür, nach der Schule zuerst zu ihr in den Kisok-Laden gekommen zu sein, anstatt nach Hause zu gehen. Es kam öfters vor, dass Anna nach der Schule ‘kurz’ bei Thea vorbeischaute und dann bis weit in den Nachmittag hinein blieb. Es war für sie die Seligkeit auf Erden, im Laden zu stehen und die Leute zu bedienen. Wenn nicht viel los war, durfte sie bereits, von Thea mit einem Auge überwacht, kassieren und Wechselgeld herausgeben.

      „Also, “ sagte Thea, als sie den Hörer auflegte, „die Mathe-Arbeit ging voll daneben, was?“

      Leben kam in das Mädchen. „Hast du es Mama gesagt?“

      „Wie denn, wenn ich nichts weiß? Mama hat es mir gesagt! Zeig mal her!“

      Schniefend hob Anna den schweren Ranzen auf den Stuhl und wühlte umständlich in den Büchern, Ordnern und Arbeitsmappen.

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