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Der Junge mit dem Feueramulett. Frank Pfeifer
Читать онлайн.Название Der Junge mit dem Feueramulett
Год выпуска 0
isbn 9783753191164
Автор произведения Frank Pfeifer
Серия Der Junge mit dem Feueramulett
Издательство Bookwire
»Es gibt keinen Schatten…«
»Das Winxgras braucht Sonne. Sonne und Wasser. Wollen wir nicht alle das Brot essen und das Schoff trinken, das wir aus dem Winxgras herstellen können? Da muß man sich dann auch gut darum kümmern.«
»Wir kriegen nur Winx-Suppe. Dünne Suppe. Brot habe ich ehrlich gesagt schon lange nicht mehr gegessen.«
Loach nickt Sorb unauffällig zu, der das Zeichen verstand und die Spannung in den Ketten der Streckbank ein wenig erhöhte. Der Torak stöhnte, vielleicht dämmerte es ihm gerade, dass er bereits zu viel gesagt hatte. Laoch kannte seine Klienten. Gerade diese jungen Toraks, die nur aus Körpersäften und Muskelmasse zu bestehen schienen.
»Aber eigentlich sind wir ganz zufrieden. Goiba schenkt uns die Kühle der Nacht, da können wir schön schlafen.«
Ein kluger Bursche, dachte Laoch, aber doch ein wenig vorlaut. »Was heißt denn wir, wen meinst du mit wir?«
»Wir Toraks halt. Wir sind zufrieden. Goiba ist eine tolle Göttin.«
»Aha, Sorb, hast Du gehört? Die Toraks haben sich zusammen geschlossen. Die Toraks sind unzufrieden. Ein Aufstand vielleicht? Sie wollen, ich wage es kaum auszusprechen, weniger arbeiten, habe ich das richtig gehört?«
Sorb brummte zustimmend. Das hatte der Foltermeister offensichtlich auch gehört. Der junge Torak, dem Laoch genau ansah, dass in ihm, trotz dieser prekären Lage, dieser immer wieder niedlich anzusehende Widerstandsgeist brodelte, wand sich in den Ketten.
»Nein, nein. Wir sind zufrieden. Wir arbeiten gerne. Bitte.«
»Bitte, was? Wir?« Ach ja, diese Momente, wenn sie sich in die Hose machten, weil sie begriffen, dass es keinen Weg mehr zurückgab. Laoch liebte das. Er sah den Jungen väterlich an und erhöhte diesmal selbst die Spannung der Ketten.
»Willst du noch etwas sagen?«
Trotz der Schmerzen, die den jungen Torak jetzt offensichtlich geradezu entzweirissen, sah Loach nun erstaunt, dass dieses Wesen neben der Furcht, die normalerweise in diesen Momenten die Bühne beherrschte, noch andere Gefühle kannte: Wut! Unbändige Wut! Und man durfte diese jungen Toraks auch nicht unterschätzen. Mehrere Zentner reine Muskelmasse. Der Torak, bisher sich in guter, alter Torakmanier allem fügend, ein Inbegriff des Gehorsams, einfach ein ganz normaler Torak, ganz so wie es Laoch kannte und erwartete, fing an, an den Ketten zu zerren. Ein Leben auf den Feldern, jeden Tag Sichel, Schaufel oder Pflug in den Händen, hatte den jungen Torak zu einer Muskelmaschine gemacht. Bisher hatte er seine Kräfte nur zum Arbeiten eingesetzt, erst jetzt erkannte er, offensichtlich selbst erstaunt, dass dieser Körper auch noch zu etwas anderem zu gebrauchen war. Der Torak schrie. Und Loach glaubte, seinen Ohren nicht trauen zu können. Hatte er da gerade »Branu« gehört. Tatsächlich.
»B – R – A – N – U«, schrie der Muskelberg aus vollem Hals, zerrte und zog an den Ketten, Fleisch gegen Metall, Wut und Verzweiflung gegen gefühllose Mechanik. Die Ketten rissen. Ungläubig starrte Loach auf dieses Schauspiel.
Sorb war auf so etwas vorbereitet. Es geschah selten, aber manchmal geschah es. Immer nur bei diesen jungen Toraks. Körpersäfte und Muskelkraft, das war manchmal keine gute Kombination. Als die Ketten rissen, ließ der Foltermeister die Axt niedersausen. Sie spaltete den Schädel des jungen Toraks und trotzdem röchelte er noch vor sich hin. »Branu«, tropfte es bluterfüllt aus dem Sterbenden. Den Namen des Schöpfers hatte Laoch in diesem Keller schon lange nicht mehr gehört. Und, da war er sich plötzlich sicher, er hatte endlich das gefunden, wonach Tsarr suchte. Das irdische Gegenstück zum Streit der Götter, der sich in der Sonnenfinsternis gezeigt hatte. Ein Aufstand junger Toraks, von treuen Anhänger Branus, gegen Flanakan und Tsarr und die Macht von Goiba! In diesem Moment, in dem Laochs beweglicher Verstand die passende Erklärung formulierte, wurde sie auch schon wahr.
*
Neben dem Folterkeller gab es auch andere Orte auf der Schwarzen Burg, die der Erziehung unliebsamer Bürger dienten. Manche der Unglücklichen, die die Schergen oder Wachen durch das schwere Holztor führten, fristeten eine Weile ihres Daseins erst einmal in den Verliesen, die unter der Aufsicht der Obersten Wache Makral und seiner Männer standen. Auch bis hierhin war die Nervosität gedrungen, die Tsarr seit den ersten Anzeichen der Sonnenfinsternis verspürt hatte. Das merkte R’lan, Wache in der dritten Generation und diensthabender Türschließer, ganz deutlich. Würde man wieder einmal einen der Verräter, der Folter und Ratten bisher überlebt hatte, als Opfer für Goiba auswählen? Denn ein wenig Blut war der Göttin doch immer willkommen, sagte sich der Soldat. Etwa der jungen Embi, bei dem die Schergen einen Anhänger mit dem fast unkenntlichen Antlitz von Aidan, dem letzten Drachenkönig, gefunden hatten? Anfangs hatte Embi noch versichert, dass er noch nicht einmal gewusst hatte, dass das abgeschliffene Relief Aidan darstellen sollte. Er hatte den Anhänger in einer Truhe, die er als einziger Erbe seines Großvaters von diesem vermacht bekommen hatte, gefunden. Letztendlich aber hatte er unter den Zangen und Eisen der Folterknechte seinen Verrat zugegeben.
Oder Nanda, diese kleine Hexe? Sie mochte sechzehn Jahre alt sein. Bei diesen Hexen wusste man allerdings nie, wie alt sie tatsächlich waren. Sie waren meisterhaft in der Kunst der Täuschung. Eine Gova von Credna war sie außerdem, also eine Liebespriesterin! Einst im Dienste Flanakans hatte sie sich den Zorn Tsarrs zugezogen. Ein Wunder, dass sie nicht gleich zum Galgen kutschiert worden war.
Oder N’ganak, der schon so lange im Kerker saß, dass niemand mehr genau wusste, wieso er überhaupt hier war, sogar er selbst nicht. Obwohl er manchmal in lichten Momenten behauptete, er habe einst als Flanakans Knappe gedient, was unmöglich war, denn Flanakan war Dank des Zaubers seiner Gova über 100 Jahre alt und welcher Mensch, denn alle Kerkerinsassen waren Menschen, hätte so lange hier unten überleben können?
Auf jeden Fall unterließ es R’lan diesmal lieber, einige der Essensreste, die heute mal wieder in der Hofküche angefallen waren, an die Gefangenen zu verteilen, wie er es sonst ab und zu tat. Makral, sein Chef, würde angesichts der angespannten Lage in der Festung sicherlich genau darauf achten, dass alles korrekt ablief. Makral, der Oberste der Wache, war ein treuer Diener seines Herrn und funktionierte dabei wie eine Maschine, die sorgfältig und genau ihren Dienst verrichtete.
Unter den derzeitigen Umständen begnügte sich R’lan diesmal, die Zellen abzulaufen und nachzusehen, ob hinter den metallbeschlagenen Eichentüren noch geatmet wurde. Oder geröchelt. Gestöhnt. Er wunderte sich, als er sich dem Verlies der hübschen Hexe näherte. Was war bei Nanda los? Die junge Frau sang! Ein trauriges Lied über das Ende des Sommers, R’lan kannte es noch aus seiner Kindheit. Er lächelte, das Lied erfreute ihn. Nanda war erst seit ein paar Tagen hier unten. Noch sang sie. In ein paar Wochen würde sie anfangen zu weinen. Oder zu schreien. Und irgendwann würde sie still sein. Oder mit dem Kopf gegen die Wand rennen. Dass es so laufen würde, hatte er selbst schon erlebt und wusste es auch von den Erzählungen seines Vaters. Da nützte ihr die ganze Hexenmagie nichts, dafür hatte Tsarr gesorgt, als sie das gesamte Verlies mit einem Fluch belegt hatte. Aber irgendwie berührte Nandas unschuldiger Gesang das Herz des Soldaten, das durch den langen Dienst in der Schwarzen Burg ziemlich erkaltete war. Die klobigen Stiefel schienen plötzlich ein wenig leichter als sonst, als R’lan die Treppen wieder hochging, zurück ans Tageslicht, den Gesang Nandas im Ohr.
»So fröhlich, mein Bester?«
R’lan, der gerade das Tor zu den Verliesen hinter sich geschlossen hatte, sah Laoch erschrocken an. Alle schauten erschrocken, wenn Laoch ihnen überraschend gegenüberstand. Dabei war der Mann keine besonders imposante Erscheinung. Schütteres blondes Haar, recht mager, nur ein wenig größer als der Durchschnitt. Fast unscheinbar. Wenn da nicht dieses diabolische Grinsen unter der Hakennase gewesen wäre. Kein lautes, marktschreierisches, offenes Grinsen. Nur die Mundwinkel waren ganz leicht verzogen. Aber irgendwie so, als ob das Böse selbst die Gesichtsmuskeln steuern würde. Und dazu diese graugrünen Augen. Augen, die nie zu blinzeln schienen. Die einen durchdrangen und einem die Gedanken aus den Nasenlöchern zogen. Wenn man Laoch gegenüberstand, hatte man unweigerlich