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Haragors den wahren Wert von Liebe und Freundschaft und fielen sich um den Hals.

      Mit den Schergen war das anders. Man erkannte sie erst, wenn sie, ebenfalls schwarz gekleidet, aber mit dem gelben Axtemblem über dem Herzen, wie aus dem Nichts auftauchten, um einen Unzufriedenen zu verhaften. Zuvor aber waren sie unsichtbar. Sie waren dein Freund, dein Nachbar, vielleicht sogar dein Ehepartner. Sie hörten dir zu, sprachen dir Mut zu, applaudierten. Und erst nach der Verhaftung, dämmerte es dir, dass einer deiner Freunde wohl ein Scherge gewesen sein musste. Welcher war dir aber dann immer noch nicht klar. Aber das war dann gleichgültig.

      »Bei meinen Leuten, Laoch, Oberster der Schergen, ist es wie immer. Ein paar mehr Wirtshausprügeleien, einige vorlaute Toraks, aber im Grunde wie jeden Sommer. Deine Leute sollten dir eher berichten können, falls die Leute unzufriedener sind als sonst!« Makral sah Laoch nun an, seine Brauen hatten sich fragend zusammen gezogen.

      »Eigentlich alles wie immer«, musste Laoch zugeben. Seine Spione, auch die aus den Randgebieten Haragors, hatten zurzeit keine besorgniserregenden Meldungen geliefert. Sommerloch. Das Übliche.

      »Aber diese Sonnenfinsternis.« Laoch grübelte. »Ein Streit der Götter!«

      »Die Götter sind da oben, Tsarr ist hier unten. Erzähl ihr von dem jungen Torak. Vielleicht schicken wir ein paar Männer in sein Dorf. Vielleicht braucht Tsarr ein wenig Blut?«

      »Du meinst Goiba. Ein Opfer für unsere große Göttin.« Laoch sah Makral streng an, der sich aber davon nicht beeindrucken ließ.

      »Ein Opfer für Goiba, natürlich, lieber Laoch, Oberster der Schergen, das habe ich gemeint.« Laoch nickte gnädig.

      Vielleicht genügte das ja wirklich, dachte Makral. Noch ein paar tote Toraks und Goiba und damit Tsarr würden beruhigt sein. Und die Sonnenfinsternis bald vergessen. Der Oberste der Wachen konnte mit der Magie im Allgemeinen und den Priesterinnen im Besonderen nicht so viel anfangen. Er vertraute lieber dem Prinzip von Ursache und Wirkung, damit konnte man als normaler Sterblicher relativ weit in diesem Leben kommen.

      *

      R’lan war eine einfache Wache. Das hieß mehr oder weniger, dass er von morgens bis abends in seiner schwarzen Uniform herumlief. Meist schlief er sogar darin, weil es ja schon irgendwie unsinnig war, die abends auszuziehen, wenn man sie morgens sowieso gleich wieder anzog. Die meisten Wachen hatten eine geringe Breite möglicher Gefühle, eines der Auswahlkriterien, die im Einstellungsgespräch abgefragt wurden. Schließlich sollte man sich nicht von betrunkenen und schreienden Toraks, die gerne das Dreifache des eigenen Gewichtes auf die Waage brachten, beeindrucken lassen. Auch wimmernde alte Frauen, denen man leider all ihr Hab und Gut entwenden musste, wenn sie die Steuern nicht mehr zahlen konnten, sollten einen nicht besonders aufregen. Daher war R’lan auch ziemlich verwirrt über den eigenen Zustand und er hatte schon überlegt, ob er zu einer der Priesterinnen gehen sollte, um sich Rat zu holen. Diese Fröhlichkeit und Leichtigkeit, die er zurzeit verspürte, waren ihm völlig fremd.

      Jetzt stand er vor Nandas Zellentür und hörte verzückt ihrem Gesang zu. Alles, was er vorhatte, war streng verboten. Er hatte sich eigenmächtig die Zellenschlüssel aus dem Wachhaus genommen, ohne irgendjemanden Bescheid zu geben. R’lan kannte sich selbst nicht mehr. Wenn sein Tun entdeckt werden würde, würde man ihn im günstigsten Fall entlassen. Wenn er Pech hatte, würde Makral ihn bei Sorb abliefern. Und erst diese Schande, die er über seine Familie bringen würde. Wachmann in der dritten Generation. Aber R’lan war nicht mehr Herr über sich selbst. Da er bisher noch nie verliebt gewesen war, konnte er diese Verwirrung, dieses Zittern, diesen absoluten Kontrollverlust nicht einordnen. Schmetterlinge im Bauch, sagen die einen. Völlige Benebelung, die anderen. R’lan fühlte sich stark, unbesiegbar und voller Sehnsucht. Alles Gefühle, die ihm völlig fremd waren. Vor seinem inneren Auge sah er Nanda in ihrer ganzen Schönheit. Ihre wallenden dunklen Locken, ihre vollen Lippen, ihre smaragdgrünen Augen. Und diese Stimme! Diese göttliche, wunderbare, einmalige Stimme. Tränen standen in R’lans Augen, als er die eisenbeschlagene Eichentür mühsam öffnete. Und so sah er das Holzbrett, auf dem die Gefangenen das Essen bekamen und das Nanda ihn mit all ihrer Kraft auf dem Schädel trümmerte, auch nur sehr verschwommen auf sich zukommen. »Umwerfend«, dachte er, als er im Niederfallen durch den Schleier seiner Tränen Nanda erblickte. »Ich liebe dich«, flüsterte er, bevor er ohnmächtig wurde.

      Nanda betrachtete den niedergesunkenen Soldaten.

      »Das glaubst du, lieber R’lan, aber es ist alles nur Illusion. Wie so vieles im Leben.« Sie stieg über den ohnmächtigen Wachmann hinüber und lugte in den Gang. Niemand zu sehen. »Jetzt ist dein Leben wohl hinüber, lieber R’lan, aber ich hatte keine andere Wahl.« Wenn einem Tod und Folter drohen, sind einem nun einmal alle Mittel recht.

      Nanda stieg über den erschlafften Körper des Soldaten und huschte die Treppen hinauf. Draußen war es schon dunkel. Sehr gut. Da würde die dumme Tsarr aber schauen mit ihrem blöden Fluch. Nichts ist stärker als die Liebe, selbst wenn es eine falsche ist. Wie ein Schatten glitt Nanda aus dem Kerkertor und entlang der Mauern. Sie würde fliehen müssen, weit, weit weg. Vielleicht bis in die Drachenberge.

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