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aber Geist und Können zählten in Rom jener Tage mehr als Geld oder Geburt oder Alter.

      Schon die Vollendung des ersten Gemäldes, der sogenannten „Disputa“ veranlasste Julius, Raffael nicht einen einzigen Saal, sondern eine ganze Flucht von Gemächern zur Ausmalung zu übergeben.

      Mit der „Disputa“ war Raffael zur vollen Beherrschung seiner Ausdrucksmittel gelangt. Alles, Komposition, Farbe und Zeichnung verrieten die gleiche, uneingeschränkte Meisterschaft.

      Man hat die „Disputa“ mit der Rem- brandt´schen „Nachtwache“ verglichen. Auch diese bezeichnet den Durchbruch des Genies zu voll entfaltetem Können. Das ist ihre Verwandtschaft. In allen anderen Beziehungen klaffen sie weit, fast unvergleichbar weit auseinander und man könnte sie eher als die entferntest denkbaren Gegensätze klassischen Malens bezeichnen. Alles aus jenen Jahrhunderten liegt irgendwie zwischen ihnen – zwischen Raffael und Rembrandt als äußerst möglichen Polen. Denn, während dort noch das Banalste in einem jenseitshaften Licht verklärt wird und jede Frage nach „schön“ und „hässlich“ (im apollinischen Verstand) sinnlos erscheint, erglühen bei Raffael selbst die vom Himmel herabschwebenden Engel und Heiligen in sinnlicher Schönheit und die Anmut ihrer Gebärden verraten uns in jeder Bewegung die Hand, die sie nackt nach dem Ebenbild heidnischer Götter gezeichnet und dann erst mit wallenden Gewändern umhüllt hat.

      Göttliches so zu sehen und so zu zeichnen und anders nicht denken zu können als mit den Abzeichen irdischen Ebenmaßes und in diesem Ebenmaß wiederum ein Abbild des Göttlichen zu erblicken – das war: Renaissance.

      Das Helldunkel der „Nachtwache“ hingegen trägt in seiner herben Innerlichkeit das Gesicht einer anderen Bewegung der im Norden heranreifenden Reformation.

      Zwischen Raffael und Rembrandt liegt die Entfernung von Sternen.

      Anders, unmittelbarer, aber auch unbefriedigender ist das Verhältnis zu einem gewaltigen Nebenbuhler, Michelangelo. Sie arbeiteten beinahe Schulter an Schulter, zur gleichen Zeit, unter den gleichen Herren und im gleichen Palast. Und auch heute trennen ihre Werke nur Schritte.

      Raffael war der Schützling Bramantes und Bramante Michelangelos Feind. Das genügte, die beiden nie zueinander finden zu lassen. Sie waren auch sonst verschieden genug und das sprichwörtliche Glück Raffaels und Unglück Michelangelos nur Spiegelbilder ihrer entgegengesetzten Veranlagung. Wo sich jener mühelos Freunde gewann, schuf sich Michelangelo Gegner über Gegner. Und während dem einen scheinbar alles wie von selbst zufiel, verrieb sich der andere titanische Geist immer von neuem an selbstgeschaffenen Widerständen.

      Auch Raffael verzehrte sich in seiner Arbeit, stiller bloß, gleichmäßiger wie eine klar und ohne Flackern zum Boden herabbrennende Kerze. Auch sein Wirken war nicht Hingebung allein, sondern ebenso sehr unermüdlicher, niemals erlahmender Fleiß. Und nicht nur die Leichtigkeit seines Schaffens, sondern auch seine unfassbare Menge ein Ergebnis äußerster Selbstzucht. Klarheit und Ziele und Liebenswürdigkeiten im Umgang mit Menschen sicherten seinen Erfolg. Denn Leo X. übergab ihm nach dem Tode Bramantes nicht nur den Bau der Peterskirche, sondern überdies noch die Vermessung aller altrömischen Kunstdenkmäler und die Leitung ihrer Ausgrabung.

      In seinen letzten Jahren war er darum von einer stets wachsenden Zahl von Schülern umgeben und sein Gefolge glich dem eines Fürsten.

      Spätere Zeiten haben Raffael und Michelangelo immer wieder zueinander in Beziehung gesetzt, um sodann, je nach wechselndem Zeitgeschmack, dem Einen oder dem Anderen den Vorzug zu geben.

      Ein scheinbarer Mangel an Tragik im Leben Raffaels schien vielen gleich einem Mangel an innerem Gewicht, doch wissen wir über sein intimeres Leben zu wenig, um seinen geheimen Verzicht zu kennen.

      Er war Waise mit 11 Jahren. Sein Leben – ein stiller Anstieg und sein Ende – schon mit 37 Jahren – kam schnell und leicht.

      Wir suchen heute auch in Werken vergangener Meister das trotzige Aufbegehrende und Eigenwillige unserer Zeit.

      Wir wollen das Zerrissene, Unreife, Unzulängliche, das wir im Gesamtstil vergangener Zeiten vermissen, wenigstes im Leben ihrer Einzelnen wiederfinden. Und glauben uns einem Michelangelo, Rembrandt, Beethoven näher, weil wir noch hinter ihrer Stärke geheime Anklänge unserer eigenen Schwäche vermuten. Wir wollen das Menschliche, Nur-Menschliche, auch an den Großen und misstrauen als verschworene Demokraten den Göttern.

      Raffael hingegen schuf wie „von Gottes Gnaden“, unmittelbar aus sich selbst heraus und ohne Reflexion.

      Die Alten hätten gesagt, ein Gott habe das gemalt und er nur den Pinsel geliehen.

      In einer deutschen Lebensbeschreibung Raffaels heißt es: „Rose ist Rose, Nachtigallengesang – Nachtigallengesang.“ Man kann sie hinnehmen, man kann sie genießen, man kann sich vor ihnen verneigen. Sie sind vollkommen, schon so, wie sie sind und lassen sich tiefer nicht mehr ergründen.

      Michelangelo Buonarotti

      „Kunst ist eine Sache der Edlen und nicht der Plebejer.“ Und darum – und weil nur der Edle sich stets überfordert – in jedem Fall Torso; Eingeständnis einer Niederlage und so Sinnbild eines Menschentums, das zwar das Tier überwand, aber Gott nicht erreichte.

      In Florenz steht, in Marmor gehauen, die Gestalt eines streitbaren Jünglings. „Er hält sein Knie auf dem Rücken des Gegners, doch schweift sein Blick unentschlossen über ihn weg in die Ferne und sein zum Schlag erhobener Arm scheint gegen die Schulter zurückzufallen. Er heißt ‚der Sieger‘, aber er will keinen Sieg mehr. Er ekelt ihn, er hat ‚gesiegt‘ und ist doch selbst der Besiegte.“

      Mit dieser Interpretation einer weltbekannten Statue eröffnet Romain Rolland seine Studie über das Leben Michelangelos. Jenes Bildwerk war als einziges bis zuletzt im Atelier des Meisters verblieben. Mit ihm hat Michelangelo seinen Katafalk schmücken wollen. Der an seiner Tat verzweifelnde Held, der Adler mit den gebrochenen Flügeln bedeutet ihn selbst – ist Inbegriff seines Lebens.

      Er ist mit den Frühlingswinden geboren, am 6. März 1475 in Caprese – inmitten der Felsen des Apennin und getragen vom Stolz eines alten Geschlechts. „Ich bin nicht der Bildhauer Michelangelo, ich bin Michelangelo Buonarotti“ - schleudert er später den Römern entgegen. Keiner kann mehr werden – auch nicht durch sein Werk – als von Anfang in ihm war – und kein Baum seine Krone höher gegen den Himmel tragen, als sein Same Wurzeln in die Tiefe gesenkt hat. Und Michelangelo Buonarotti hing an seinen Wurzeln und seinem Stamm desto zäher, je älter er wurde – „Dass nur unsere Sippe, unsere Rasse erhalten bleibt, dass nur sie nicht stirbt!“ Fortleben in Kindern und Kindeskindern (die er niemals haben würde – sein nächster Nachkomme war ein Neffe) ist ihm wichtiger als Fortleben im Werk. Das ist da, dem Leben zu dienen, nicht umgekehrt, einem hochgemuten, gesteigerten Leben, über allen Niederungen der Gewohnheit und der Gewöhnlichkeit.

      Als Michelangelo mit kaum 13 Jahren gegen den Widerstand aller Verwandten seinen Willen durchsetzte, Künstler zu werden, geschah es einzig mit der bereits zitierten Begründung, dass „die Übung der Kunst eine Sache der Edlen sei und nicht der Plebejer...“ – und eine Sache derer, denen das Bewusstsein der eigenen Unzulänglichkeit zum unaufhörlichen Antrieb wird, das Äußerste zu vollbringen. Das Unzulängliche Michelangelos ist offenkundig: seine äußere Erscheinung war nahezu abstoßend, seine unbändige Kraftentfaltung geschlagen mit einer Hässlichkeit, die sich in Sehnsucht nach Schönheit verzehrte und der – ganz hellenisch (ganz wie den Richtern der Phryne) – jede greifbare, mit Händen und Augen tastbare Wohlgestalt als unmittelbarer Ausdruck göttlicher Begnadung erschien.

      Und doch war dieser Florentiner so ungriechisch wie Shakespeare etwa oder wie Beethoven. Und neben dem zeushaft überlegenen Leonardo und dem apollinisch zarten Raffael gemahnt seine vulkanisch eruptive Natur bloß an die Düsternis des unterirdischen, von Aphrodite immer von neuem betrogenen Hephaistos. Darum erscheint sein Leben als eine ununterbrochene Kette von Gewaltleistungen, gefolgt von Zusammenbrüchen. Doch immer schnitten diese tiefer in sein Wesen, als die vorangegangenen Aufschwünge. Und immer mehr wurde sein Weg, trotz wachsenden Ruhms und zunehmender Anerkennung, ein Weg in die

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