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Wir denken an..... Heinrich Jordis-Lohausen
Читать онлайн.Название Wir denken an....
Год выпуска 0
isbn 9783753190594
Автор произведения Heinrich Jordis-Lohausen
Жанр Документальная литература
Серия Wir denken an ....
Издательство Bookwire
So sehr war auch in seiner Haltung Andacht und Anmut zu einem geworden, so sehr seine Gebärde in Schönheit erlöst bis in den Fall seiner Haare und die Schatten seiner Gewänder. Und wen immer seine Entrückung an die ekstatisch verträumten Madonnen des Botticelli gemahnt und an die naiven Seligkeiten Filippo Lippis, er ist von anderen Sternen entsandt wie jene und sein Anderssein wird zum Verkünder einer sich wandelnden Zeit.
Ihm folgt zu gleicher Botschaft die „Madonna in der Felsengrotte“, das erste ganz aus Leonardos Hand stammende und von ihm selbst vollendete Gemälde. Zum ersten Mal wird hier eine Mutter Gottes ohne andere Abzeichen ihrer Hoheit dargestellt als der bezaubernde Würde weiblicher Anmut. Jahrhunderte lang hatten Künstler Puppen gemalt, deren Köpfen und Händen sie wohl Sinn und Ausdruck verliehen, hinter deren erstarrten Gewändern sich jedoch niemals lebende Körper bewegten, war ihnen alles Gemalte doch nur Sinnbild, Erinnerung, Gleichnis, niemals aber wie für Leonardo Erfahrung.
Erst mit ihm wird, vorübergehend, Malen Erkenntnis, werden jene Tausend von Skizzen, die über und über mit Randbemerkungen versehen seine wenigen Hauptwerke vorbereiten und ergänzen, zu Tagebüchern eines Menschenkenners und Gelehrten, der hinter jeder Gewandung den nackten Körper sah und hinter diesem das geheimnisvolle Gefüge der Muskeln, Knochen und Adern.
Leonardo hat eigenhändig an dreißig Leichen seziert und die im Anschluss daran verfertigten Skizzen – so eine des menschlichen Blutkreislaufes – sind Wunder an Klarheit.
„Ein Dichter“, bemerkt Leonardo, „kann mit der Feder nicht sagen, was ein Maler mit dem Pinsel vermag“. Dichten heißt andeuten. Das Angedeutete ausgestalten müssen Schauspieler, Leser und Zuhörer. Jeder tut das auf seine Weise und jeder in anderen Bildern. Keiner sieht je, was der Dichter ursprünglich sah und insofern missverstehen ihn eigentlich alle. Die einzig unmissverständliche Sprache aber, die der mathematischen Zeichen, versagt vor der Fülle des Lebens.
Darum – und obgleich seine linkshändig in Spiegelschrift niedergelegten Aufzeichnungen gesammelt ein zwanzigbändiges Werk umfasst haben würden, wollte Leonardo, was immer er schrieb, nur als Ergänzung des Gezeichneten aufgefasst wissen. Nie wünschte er, als Literat bezeichnet zu werden.
Aber auch nie ausschließlich als Maler. Als Leonardo den Sforza dann zum ersten Mal seine Dienste anträgt, ist plötzlich von ganz anderen Dingen die Rede.
„So vermag ich“, schreibt er da, „Brücken anzufertigen, die bequem zu befördern, dem Feind nach Belieben zu folgen oder zu entfliehen gestatten und wieder andere, die feuersicher und in der Schlacht unverletzbar, ebenso leicht aufzuschlagen, als wieder abzubauen sind. Andererseits verfüge ich über Vorrichtungen, die Brücken des Feindes in Brand zu stecken und zu vernichten...“
Folgt eine lange Aufzählung seiner vielseitigen Fertigkeiten im Artilleriewesen, Minen- und Belagerungskrieg, Festungs- und Kriegsschiffbau; zuletzt die Ankündigung nach oben gedeckter, gepanzerter, mit Geschützen versehener Wagen, „welche den stärksten Feind in die Flucht schlagen, indessen ihnen das eigene Fußvolk gefahrlos zu folgen vermag“.
Obzwar nur ein Bruchteil dieser Entwürfe jemals zu seinen Lebzeiten zur Ausführung kam, war sein Ansehen als Kriegsingenieur doch bald nicht minder begründet als sein Ruf als Wasserbaumeister etwa oder als Anatom.
Und der gleiche Mann, der im Stabe Cesare Borgias an dessen Kriegszügen teilnahm, der die Lombardei entwässerte, der den Florentinern um Pisa zu schlagen, die Umleitung des Arno vorschlug oder als Naturforscher die zeichnerische Anatomie für Menschen und Tiere erfand, war als Architekt maßgebend am Ausbau der Mailänder Domkuppel beteiligt, entwarf als Bildhauer die Reiterstatue Lodovico Sforzas und arbeitete als Maler im Kloster Santa Maria delle Grazie am Letzten Abendmahl.
Jahrelang verfolgte er in freier Natur alle Phasen des Vogelflugs und jahrelang errechnete er in einsamer Kammer, die mathematischen Grundlagen seines Lieblingstraumes: einer menschlichen Flugvorrichtung.
Und wieder der gleiche Mann, der Henkern und Folterknechten bei ihrer Arbeit zusah, um alle Höllen des Diesseits mit dem Zeichenstift festzuhalten, aß aus Liebe zu seinen Mitgeschöpfen weder Fisch noch Fleisch, kaufte, sooft er konnte, auf dem Markt alle Singvögel frei und ließ sie fliegen aus reiner Freude, ihnen Leben und Freiheit zu schenken.
Man erzählt, Leonardo habe auf der Suche nach den tieferen Quellen seines Wesens oft stundenlang in völliger Geistesabwesenheit dagesessen, seine Augen unverwandt auf einen Haufen glimmender Asche gerichtet. Dann sei er aufgestanden und mit einer Fülle neuer Einfälle an die Arbeit gegangen.
Man weiß, dass er, in seine Entwürfe vertieft, oft tagelang nicht zu sprechen war, dass er als Sechziger, getrieben von einem unüberwindlichen Drang nach Weite und Abgeschiedenheit, allein und fern allen Freunden, den – wie man damals meinte – höchsten Gipfel der Alpen, den Monte Rosa erstieg.
„Ein Maler“ – schreibt Leonardo – „muss einsam sein. Denn nur, wenn er einsam ist, ist er auch ganz er selbst… er muss mit sich allein sprechen und sich das Größte und Schönste, das er finden kann, zur Betrachtung auswählen. Dabei muss er verfahren wie der Spiegel, der die Farben aller Dinge annimmt, die vor ihm stehen. Und wenn er so verfährt, geht er vor wie die Natur…. So nur wird er Natur und bar aller menschlicher Nichtigkeit.“.
Und doch – nur wer sich so weit von der Welt abwenden kann, kann sich ihr auch ganz zuwenden, und manche der Fürsten, die ihn beriefen, zogen ihn an ihren Hof weniger ob seiner Kenntnisse, als wegen seiner bestrickenden Liebenswürdigkeit und seiner Fähigkeit zu unterhalten.
Er diente der Reihe nach den Medici, den Sforza und den Königen von Frankreich. Aber ihn dürstete weder nach Ehren noch Gütern.
Einsamkeit war ihm Atemholen und Besinnen, Geselligkeit Austeilen und Verschwenden.
So schuf der Weltmann Leonardo das „Abendmahl“. Ohne weltlichen Sinn für Schauspiel und Bühne wären dessen Gestalten nicht denkbar, nicht in der musikalischen Bewegtheit ihrer Köper, nicht im wundervollen Zusammenspiel ihrer Mienen und Hände. Weder Castagno, noch Ghirlandaio, noch Raffael oder Andrea del Sarto, die alle das Gleiche versuchten, ist annähernd Gleiches gelungen. All das aber wäre nie mehr geworden als bloß wohlausgewogene Oberfläche, hätte nicht ein anderer als der gewiegte Weltmann die tiefe Erdenbefangenheit der Jünger Christi Ausdruck verleihen wollen und ihre Bedrängnis sinnbildhaft in den engen Vordergrund eines sie freudlos umschließenden Raums gestellt, weitab und wie ausgestoßen von der seligen Grenzenlosigkeit einer abendfernen Landschaft hinter den weit zurückliegenden Fenstern.
Der allein auf diesem Bilde beides verbindet, jene Ahnung von Ewigkeit und alle Vergänglichkeit und allen Schmerz einer flüchtigen Stunde – ist der Gottessohn in der Mitte. Sein Haupt allein umfließt horizontale Weite. Er allein ist dem Draußen verbunden.
Die Jünger aber sind ganz Nähe, ganz „hier“ und diesseits und gefangen in der Beklommenheit der sie umschnürenden Enge. Draußen aber verrinnt der Tag in Licht und Unendlichkeit.
Leonardo hat dreizehn Jahre an diesem Bild gearbeitet und es ist eines der wenigen, die er selber vollendet hat. Sonst überließ er, wusste er erst den Weg, das Fertigmalen seinen Schülern.
Jedes Tun war ihm ein Experimentieren und jedes Werk ein Versuch – gab es auf Erden doch weder Endgültigkeit noch Vollendung.
Doch gab es eins, warum Leonardo noch rang, die zur Ewigkeit eingefangene, zur Zeitlosigkeit erstarrte Nähe eines Augenblicks. Der Finger des Pan auf Baum, Tier- oder Menschengestalt. Die Griechen hatten es gekonnt. In Stein. Aber in Farben?
Schließlich nach vierjähriger Arbeit gelang Leonardo auch das – gelang das umstrittenste Frauenporträt des Abendlands, ein Antlitz, das leidenschaftlich missdeutet, zum Inbegriff sphinxhafter Unergründlichkeit werden sollte. Obgleich, was vor