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Das Gegenteil der Wirklichkeit. Marcel Karrasch
Читать онлайн.Название Das Gegenteil der Wirklichkeit
Год выпуска 0
isbn 9783754178584
Автор произведения Marcel Karrasch
Жанр Языкознание
Издательство Bookwire
Metzger war fast zeitgleich mit der Warenanlieferung vor Ort. Da er ohne eigenes Auto unterwegs war, nahm er das Angebot des Großhändlers, den Einkauf zur Villa zu transportieren, dankend an. Er selbst fuhr aber mit den Öffentlichen, um nicht wegen der Zwischenstationen warten und in dem muffig riechenden Lieferwagen mitfahren zu müssen. Das Haus war für eine Großstadt eindrucksvoll und in einer stillen Seitenstraße des Museumsviertel gelegen; Mauer, Eingang mit Überwachungskamera und der üblichen Wartezeremonie nach dem Klingeln inklusive. Sie wurden von der Dame des Hauses eingelassen. Frau Landweil war eine attraktive Mitdreißigerin mit blondierten Haaren, dem Antlitz von Geld und der Gewissheit, dass ihr äußerer Zustand exakt wie heute noch mindestens 10 Jahre erhalten bleiben wird, wenn auch unter Zuhilfenahme der modernen Fitness-, Ernährungs- und Schönheitsindustrie. Metzger stand darauf.
Während er sich die Räumlichkeiten zeigen lies, klingelte es ein weiteres Mal. „Das wird meine Assistentin sein“, warf Randolf Metzger ein und Frau Landweil zeigte sich überrascht, und mutmaßte wohl, dass ihr Gatte wohl gleich zwei Personen geplant hatte und mal wieder sein Budget erheblich überschreiten würde. Ihre etwas spitze Bemerkung: „so, darüber bin ich gar nicht informiert worden“, bestätigte seine Einschätzung. Klarer Fall von: das Geld kommt zwar nicht aus meiner Familie, aber mein lieber Mann schmeißt es mit vollen Händen raus. Damit die Stimmung nicht von vornherein zu kippen drohte, konterte Metzger fast ein wenig zu lässig: „Rebecca von Siebenreif geht auf meinen Deckel und wird den Rahmen des Budgets nicht belasten.“ Ob das die Stimmung nun rettete, war nicht zu klären. Mit Sicherheit jedoch hinterließ das „von“ im Namen der „Assistentin“ eine gute Stimmung. Die Eitelkeit der Menschen zu stimulieren, hat ja bisher selten geschadet, dachte Randolf, und war mit sich bis jetzt sichtlich zufrieden.
Nach einer kurzen Vorstellung setzten sie den kleinen Rundgang durch die Villa nun als Dreier und das recht flott fort. Eigentlich sollten Sie auf dem schnellsten Weg zur Küche und vorher noch durch das Esszimmer geleitet werden. Der schnellste Weg war offensichtlich durch die Bibliothek und dies verschaffte zumindest für zwei der drei Personen ein besonderes „Aha-Erlebnis“. Sowohl Rebeccas als auch Metzgers Blick blieb kurz an einem außerordentlichen Bild hängen: ein Impressionist voller Leuchtkraft, nur das Motiv verstörte sie ein wenig. Noch als sie in Küche und Esszimmer in alles Wesentliche eingeführt wurden, hing es ihnen nach, was ihre Konzentration ein wenig störte.
Kaum waren sie unter sich, platzte es zeitgleich aus ihnen heraus: „Hast Du das Bild gesehen?“ Metzger antwortete als Erster: „Ja, sicher, aber irgendetwas stimmt daran nicht. Das Bild von Max Liebermann, das im Frankfurter Städel hängt, zeigt ein Waisenhaus und zwar für Mädchen!“ Rebecca nickte zustimmend und fügte gleich noch ein paar Details hinzu, die das Gesamtwerk des Malers und dessen Wert betrafen.
Es klingelte erneut. Wahrscheinlich wurde das Geschirr angeliefert.
23
Die Zeit im Café hatte Frank Landweils guter Stimmung keinen Abbruch getan, au contraire. Am späten Vormittag verabschiedete er sich mit einem langen Handschlag und einem üppigen Trinkgeld. Er holte seinen neu erstandenen Anzug ab und entschied sich am Ende der Straße doch wieder für das Taxi und gegen die öffentlichen Verkehrsmittel. Als er im Café saß, war ihm eingefallen, dass er etwas Pflege und eine Dusche durchaus gebrauchen könnte.
Er ließ sich zur Villa Steinfeld kutschieren und harrte eine Zeit lang vor dem protzigen mit Säulen dekorierten Eingang aus, bevor er klingelte. Sophie öffnete nach wenigen Augenblicken die Tür und strahlte ihn an, bevor sie ihm in die Arme fiel. Er fragte sich jedes Mal aufs Neue, wie sein Bruder es geschafft hatte, eine Frau vom Format von Sophie für sich zu gewinnen. Sie war eine rundum hochattraktive Persönlichkeit, der man ihre fast vierzig nicht ansah. Doch nicht nur äußerlich thronte sie über seinem Bruder. Wie immer lag zwischen ihnen nach wenigen Minuten Small-Talk eine gewisse Spannung in der Luft, die eindeutig erotischer Natur war. Sie hatte ihm schon immer etwas zu gut gefallen, was auch seinem Bruder nicht unbemerkt geblieben war. Ihr letzter großer Streit ging offiziell auch um eine Nichtigkeit, ausschlaggebend war aber ein gemeinsamer Abend gewesen, an dem Sophie ihm im Spaß offensichtliche Offerten machte, die er nicht ganz klar abgelehnt hatte.
Auf Sophies Nachfrage, warum er so früh schon da war und erstmal duschen müsste, antwortete Frank Landweil halbherzig und argumentierte mit gelungen Projekten, die ihn früher nach Frankfurt fahren ließen beziehungsweise spät in Zürich los, je nach dem. Als er frisch geduscht und mit den teuersten Pflegeprodukten seines Bruders aufgefrischt in die Bibliothek der Villa lief, merkte er erst, dass der Koch bereits da war. Er hatte eine Frau bei sich, die für eine Assistenz eines Koches eindeutig zu wohlhabend und elegant schien. So etwas sah man den Menschen an, wenn man aus ähnlich elitären Kreisen stammte. Frank Landweil vermied jedoch ein gezwungenes Gespräch mit ihnen und lief weiter in Richtung Ausgang. Sophie sprach dort gerade mit Lieferanten, die anscheinend Geschirr brachten. Er sagte ihr, dass er sich nochmal die Beine vertreten wolle und sie bat ihn, den Hund mitzunehmen. Dass er Kleidung seines Bruders trug, erwähnte sie nicht. Ihm war sein neuer Anzug schlichtweg zu schade gewesen für einen Spaziergang und nach einem Pflegeprogramm wieder in seine getragene Kleidung steigen, mochte er nicht. Und so fand sich Frank Landweil wenig später samt des Rhodesian Ridgebacks „König Louis“ am Mainufer wieder. Der Name des Hundes war eine Idee seines Bruders gewesen, die er heute noch sehr amüsant findet. Er stand mit dieser Meinung allein da in der Familie. Sogar seine Mutter, ihres Zeichens bekennende Hundeliebhaberin, nannte ihn einfach Louis.
Landweil ließ seinen Blick eher ziellos über die Skyline schweifen, sodass er fast in eine Joggerin gelaufen wäre. „Franky?“, rief es von einer Gruppe herüber, die um eine kleine Musikbox herum saß. So viel Pech kann man nicht haben, dachte er in diesem Moment. Julius Steltzer saß mit ähnlich alternativ gekleideten Männern und Frauen auf einer Wiese und schien nichts zu tun zu haben an einem Werktag am frühen Nachmittag. Er überlegte sich eine kurze Zeit, wie er um das Gespräch herumkam und entschied sich dafür, ihm schlichtweg den Mittelfinger zu zeigen. Die Blicke der Gruppe waren unbezahlbar, ein entrüstetes „Chill mal Alter!“, drang noch zu seinen Ohren, doch er wurde schon von der Euphoriewelle gepackt und beflügelt den Main entlang getragen.
Sein Spaziergang dauerte fast zwei Stunden und als er zurückkam, war die große Tafel im Speisezimmer bereits festlich eingedeckt, und aus der Küche hörte er ein reges Treiben. Er ließ König Louis von der Leine und suchte Sophie. Ein Hausmädchen, das am Abend wohl bedienen sollte, richtete ihm jedoch aus, dass Frau Landweil noch einmal weg musste und er sich nehmen solle, was er brauche. Er brauchte einen Drink. In der Bibliothek goss sich einen 30 Jahre alten Scotch ein und ließ sich in einen Sessel fallen. Er hatte mittlerweile große Lust auf den Abend.
24
Mit Déjà-vu wird eine Erfahrung bezeichnet, die sich in dem Gefühl äußert, eine neue Situation schon einmal erlebt, gesehen, aber nicht geträumt zu haben. In Metzgers Fall war es die kurze und distanzierte Begegnung mit dem Bruder des Gastgebers, den er glaubte schon einmal oder sogar mehrmals gesehen zu haben. Ein kleiner Sturm raste durch seinen Kopf, der die Kategorien Angst, Bedrohung, Enttarnung, Schuld, Vergessen, gehörnte Ehemänner oder Geschäftspartner mit falschen Namensangaben durchforstete.
Er passte nicht direkt in eine der Kategorien. Er war sich sicher, ihn schon gesehen, aber nicht wirklich Kontakt gehabt zu haben. Eine oder mehrere flüchtige Begegnungen also, zufällig oder nicht. Aber wer glaubte bei seiner Vergangenheit schon an Zufälle.
Rebecca war schon fleißig dabei, das Esszimmer dem Motto der Speisenfolge entsprechend vorzubereiten. Früher nannte man es eindecken, heute erwartete man Tischkultur. Also mehr als nur Teller und Besteck. Da er kein Freund der Molekularküche war, wurde komplett auf Reagenzgläsern ähnelnde Behältnisse