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viel unbarmherzigeres und repressiveres Regime die Macht. Die siegreichen Kommunisten, die neuen Herren in Peking, hatten eines mit ihren Vorgängern gemein: Die tiefe Überzeugung, daß Tibet ein wesentlicher Bestandteil Chinas sei. Sie besaßen jedoch weniger Skrupel und ein bedrohlicheres und fanatischeres menschliches Kraftpotential, um den jahrhundertealten Traum Pekings zu verwirklichen: die gewaltsame Vereinigung Tibets mit dem Mutterland.

      Der dynamischen Persönlichkeit von Thubten Gyatso, dem 13. Dalai Lama, gelang es trotz allem, die Souveränität Tibets zu bewahren. Er war entschlossen, sich China vom Leib zu halten und reichte den Kagyüs und den anderen Linien eine Hand zur Zusammenarbeit. So wurde der 15. Karmapa nach jahrhundertelangem Ausschluß als Partner und Freund in Lhasa willkommen geheißen. Zum Wohle der nationalen Einheit wurden die harten Gesetze, die auf rivalisierende Schulen abzielten, gelockert. Auch Shamarpa profitierte vom neuen politischen Klima. Wenn auch der niederträchtige Bann gegen seine Wiedergeburt nicht aufgehoben wurde, wurde er doch während der Amtsdauer des 13. Dalai Lamas an der Seite Karmapas toleriert. Diese Nachsicht wurde aber nicht von allen gebilligt. Die ultrakonservativen Fraktionen, die die drei riesigen Gelug-Klöster von Lhasa vertraten, fanden es nicht weise, die anderen Linien als gleichwertig zu behandeln und unterliefen permanent die Bemühungen des Dalai Lamas, eine gemeinsame nationale Front sicherzustellen.

      Während der auf den Tod Thubten Gyatsos im Jahre 1933 folgende Regentschaft und bevor Tenzin Gyatso, der 14. Dalai Lama, erwachsen wurde, fehlte dem Land eine starke Hand, um die Kräfte in den Griff zu bekommen, die Tibet in die moderne Welt zogen. Es wurden keinerlei politische Reformen durchgeführt. Das Land, schwach und militärisch unfähig, versuchte nicht einmal, eine einigermaßen moderne Truppe auf die Beine zu stellen, ebensowenig suchte es nach internationalen Sicherheitsgarantien. Blinder Glaube an die Dharmapalas, die buddhistischen Transformationen alter Götter Indiens und Tibets, die durch rituelle Anrufung dem heiligen Königreich in Zeiten der Gefahr beistehen sollten, wurden als ausreichender Schutz gegen einen Aggressor angesehen. Der kommunistisch-chinesische Aufmarsch in den späteren Vierziger Jahren an der östlichen Grenze bereitete der zentraltibetischen Regierung nur wenig Sorge und die Zeichen der sich anbahnenden Tragödie wurden weitgehend ignoriert. Statt dessen war die sektiererische Herrschaft in Lhasa wieder einmal damit beschäftigt, den drei anderen buddhistischen Schulen ihre Oberherrschaft aufzuzwingen.

      Zu allem Unglück kam noch hinzu, daß diese Himalaya-Theokratie außerhalb des sino-mongolisch-indischen Dreiecks praktisch unbekannt war. Die freien Weltmächte hatten wenig Lust, sich mit China wegen irgendeiner entlegenen und verlassenen Gegend anzulegen. Dieser Mangel an Entschlossenheit kam Peking zugute und machte Tibet zu einer viel zu leichten Beute. Aber selbst wenn die tibetische Regierung in einer Anstrengung in letzter Minute ihre kleinlichen Rivalitäten abgeschüttelt und einen nationalen Widerstand organisiert hätten, wäre sie mit Sicherheit kein ernstzunehmender Gegner für die Volksbefreiungsarmee gewesen. Die bloße Größe des Angreifers wäre schon überwältigend gewesen. In typisch tibetischer Manier zeigte sich jedoch kein Erwachen des Volkes, und in seinen letzten Jahren erlebte das Land statt eines Aufrufs zu den Waffen vielmehr nur endlose Fehden und schließlich Verrat.

      Als die kommunistischen Chinesen im Oktober 1950 Osttibet angriffen und anschließend das restliche Königreich infiltrierten und übernahmen, waren die Tibeter nicht auf der Hut. Unfähig oder nicht willens eine gemeinsame Front gegen den Angreifer zu errichten, blieb die tibetische Regierung auffallend passiv. Die einzig kampfbereiten - die Khampas - brauchten Waffen, die ihnen die herrschenden Kräfte nicht zu Verfügung stellten. Statt dessen wurden die Waffenlager in Chamdo, im Osten des Landes, auf Befehl des Regierungsbeamten und Verräters Ngabö in die Luft gejagt. Ohne den sich schnell nähernden chinesischen Truppen Widerstand entgegenzusetzen, sorgte Ngabö dafür, daß die Widerstandskämpfer im Osten ohne Waffen blieben. Von Lhasa im Stich gelassen, seiner militärischen Führung beraubt und ohne eine fähige Kampftruppe, fiel Kham in nur wenigen Wochen den Kommunisten in die Hände.

      Die tibetische Regierung wiederholte 1951 ihre katastrophale Darbietung aus dem Jahre 1950 und unterzeichnete im Mai unter der Führung des sechzehnjährigen 14. Dalai Lama den umstrittenen Siebzehn-Punkte-Plan, in dem Tibet formal die chinesische Oberhoheit akzeptierte, wenn dem Land auch eine lokale Autonomie zugestanden wurde. Als sich 1959 die Bevölkerung von Lhasa endlich gegen die chinesische Armee erhob, konnte sie mit ihrem Kampf nichts mehr von dem rückgängig machen, was die Politiker bereits auf dem Papier verschenkt hatten. Der verzweifelte Aufstand wurde brutal niedergeschlagen und Tibet verschwand von der politischen Weltkarte. Die Kommunisten hatten jetzt freie Hand, um den Völkermord an der tibetischen Nation zu beginnen. Der junge Dalai Lama und seine engsten Begleiter flohen im letzten Moment, als die Chinesen die Hauptstadt besetzten. Seine Flucht setzte einen Massenexodus von Mönchen und Lamas über den Himalaya in Gang. Jahre zuvor hatte schon der 16. Karmapa, mit mehr Voraussicht, seine Leute auf die Flucht vorbereitet und erreichte wie geplant mit seinen vier engsten Schülern und anderen Tulkus das Königreich Bhutan im Ost-Himalaya.

      Nachdem sie in Indien angekommen waren, befanden sich die Vertreter der vier Schulen plötzlich auf der gleichen Stufe. Die Macht der Gelugpas und die Vorherrschaft der zentraltibetischen Regierung hatten sich über Nacht verflüchtigt. Alte Fehden verblaßten im Vergleich zum Ausmaß der gegenwärtigen Katastrophe. Die vom Glück begünstigten Lamas, denen es gelungen war, die schwere Prüfung der chinesischen Invasion und die Qual einer Himalaya-Überquerung zu Fuß im Winter zu überleben, hatten nun die große Aufgabe, das, was sie von der Zerstörung Tibets hinübergerettet hatten, im Exil wieder aufzubauen. Beeinflußt durch die Freundschaft mit dem 16. Karmapa und weil er einsah, daß Zusammenarbeit nun lebenswichtig war, beschloß der 14. Dalai Lama den zweihundert Jahre alten Bann aufzuheben. Nach Jahrhunderten der Abwesenheit wurde Shamar Tulku wieder offiziell anerkannt, diesmal auf indischem Boden. Für einen Moment sah es so aus, als ob das Ausmaß des Desasters und der Status der verzweifelten Flüchtlinge in einem verarmten Land die Tibeter dazu zwingen würde, Vernunft anzunehmen und zusammenzuarbeiten.

      Wie sich später jedoch herausstellen sollte, war nicht einmal der totale Zusammenbruch des Landes Unglück genug, um die kollektive Tendenz der Nation zum Streit zu beugen. Kaum hatte sich der Staub nach der Katastrophe wieder gelegt, wurden die Fehden der alten Tage in ihrer alten Inbrunst wieder aufgenommen. Das alte Lhasa-Regime, verborgen hinter seinem neuen Namen als „Tibetische Exilregierung“ und von seinem neuen Sitz in Dharamsala im West-Himalaya aus regierend, führte die alte Tagesordnung der Feindschaft gegen die anderen buddhistischen Schulen weiter. Die Mitglieder dieser illustren Gesellschaft nahmen mit dem gleichen fehlgeleiteten Enthusiasmus die Vorurteile, Rivalitäten und Kämpfe der Vergangenheit wieder auf. Insbesondere die Khampas galten als ernsthafte Bedrohung des neuen Bestrebens der Gelugpa-Administration: alle Exiltibeter zu vertreten und zu kontrollieren.

      Gyalo Döndrup, der unverfrorene Bruder des Dalai Lama, beschloß, daß die beste Antwort auf Maos Invasion und die Zerstörung ihres Landes sei, Tibet und die tibetische Exil-Politik an die neuen kommunistischen Gegebenheiten anzupassen. Dreist schlug er vor, die alten buddhistischen Schulen und die ganze opulente religiöse Show abzuschaffen, und so die hohen Lamas auf den Boden der Realität zu bringen. „Keine Throne mehr, keine Rituale mehr und auch kein Goldbrokat“ soll er geäußert haben. Seine Worte pflanzten Ängste in die Herzen der Lamas. Als weitere Einzelheiten des ausgearbeiteten Planes bekannt wurden, war klar, daß ein Coup gegen drei der vier Schulen ausgeheckt wurde. Die neue religiöse Organisation, die die traditionellen Linien ablösen sollte, sollte von der Gelug-Hierarchie kontrolliert werden. Die besorgten Lamas eilten zu Karmapa und baten ihn um Hilfe.

      *

      Nachdem Karmapa von der Herrscherfamilie eingeladen worden war, sich in dem Königreich Sikkim im Ost-Himalaya niederzulassen, gründete er 1961 das Kloster Rumtek. Es wurde bald zu einem wichtigen Studienzentrum und nahm eine zu Dharamsala gleichwertige Stellung ein. Seine zwei engsten Schüler - der wieder eingesetzte Künzig Shamarpa und der Tai Situ - sowie der frisch eingebundene Jamgon Kongtrul und Goshir Gyaltsab wurden unter seiner direkten Führung in dem neuen Kloster und Institut ausgebildet.

      Obwohl sich Karmapa mit Bestimmtheit von tibetischer Politik fernhielt, zählte seine Stimme, was die Angelegenheiten dieser Region betrafen. Er wurde von verschiedenen Nationen des Himalaya hoch verehrt und für die Khampas war sein Wort

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