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die persönliche Freiheit nur so weit reichte, wie es der direkte Vorgesetzte oder der Abt erlaubte.

      Die bevorzugte Methode offizieller Bestrafung war die Auspeitschung, um die etwas widerspenstigen Individuen in Schach zu halten. Folter in ihrer grausamsten und unmenschlichsten Form war an der Tagesordnung. Von den Vertretern der Ching Dynastie zur Zeit des 5. Dalai Lamas nach Tibet gebracht, kam sie dort sofort zur Anwendung, als drei Minister des Dalai Lamas verhaftet wurden und man sie öffentlich zerstückelte. Obwohl die Folter durch den 13. Dalai Lama geächtet wurde, blieb sie trotz seines Verbotes weiterhin erhalten, bis 1959 die Kommunisten ihre eigene unmenschlichen Art der Unterdrückung einführten. Die grausamen Fotos von Männern mit abgehackten Gliedern, Zeugen einer brutalen Routine im alten Tibet, waren also nicht einfach nur kommunistische Propaganda.

      Die Erziehung und der Zugang zur Informationen waren die alleinige Domäne der Klöster, wodurch einem großen Teil der Bevölkerung nicht einmal die einfachste Bildung ermöglicht wurde. Für die meisten Tibeter bedeuteten die höchsten Belehrungen über die Natur aller Dinge - die Essenz des Buddhismus - lediglich einen oberflächlichen Glauben an oft sehr einfache Grundsätze, geprägt durch Angst und karmische Vergeltung oder einfach nur durch blindes Vertrauen in ihre Rinpoches. Obwohl ihr Vertrauen in ein System, das in seiner Essenz und Ganzheit so völlig positiv ist, ihnen ein grundsätzlich befriedigendes und glückliches Leben ermöglichte, muß man jedoch - der historischen Wahrheit zuliebe - eingestehen, daß der größte Teil der Tibeter eine rückständige, ungebildete und abergläubische Existenz führte. Die damaligen Werte erweisen sich in der heutigen Welt als weitgehend belanglos.

      Weshalb Tibet damals dennoch so außergewöhnlich war, war die Tatsache, daß es dem Land gelang, die kompletten Belehrungen Buddhas in einer lebendigen und ununterbrochenen Übertragung zu bewahren. Diese beinhalteten sowohl die höchsten Erklärungen über die absolute Natur der Wirklichkeit, als auch die entsprechenden Methoden, um sie zu erkennen. Und während der Durchschnitts-Tibeter sich eher um seine Alltagsgeschäfte kümmerten, ohne viel an die höchste Wahrheit zu denken - solche tiefgründigen Angelegenheiten überließen sie eher ihren Lamas und den Institutionen - praktizierte eine kleine Anzahl von Menschen die vorhandenen, einzigartigen Techniken und erzielten so höchste Resultate. Von ein paar Millionen Tibetern gelang es einer Handvoll ehrwürdiger Lamas und Yogis, Generation für Generation, das höchste Potential des menschlichen Geistes zu erreichen.

      Diese Übertragung lebendiger Erleuchtung ist somit Tibets wichtigster Beitrag zur kollektiven menschlichen Weisheit, während die sozialen und politischen Bedingungen, unter denen die Suche nach Erleuchtung stattfand, Tibet völlig von der heutigen modernen Gesellschaft unterscheidet.

      Die folgende Geschichte muß man also unter diesen speziellen Voraussetzungen sehen. Die Fäden dieser Verschwörung sind tief mit den tibetischen Annalen verwoben und führen uns 200 Jahre zurück nach Lhasa. Als Hauptakteure treten hohe Tulkus und Lamas auf, die plötzlich durch den unberechenbaren Lauf der Geschichte in die moderne Welt versetzt wurden. Sie bilden den Kern des alten Feudalsystems und sind dennoch gezwungen, oder zwingen sich selbst, sich in der modernen Welt zu behaupten. Ihr unerwartetes Eintreten in das 20. Jahrhundert - ungeachtet ihrer Verwirklichung - führt unweigerlich zu einem Konflikt. All die feinen Zutaten für diesen Konflikt brodeln bereits und können jederzeit explodieren: Die unvereinbaren Gegensätze zwischen dem autokratischen Tibet und dem demokratischen Westen. Der Nachdruck, den der Buddhismus auf Logik, Vernunft und klares Denken legt, und der blinde Glaube, daß alle Lamas allwissend sind und kaum den allgemein menschlichen Bedingungen unterliegen. Die heilige Verehrung, die Tibet von vielen im Westen entgegengebracht wird und die Leidenschaft der Tibeter für politische Intrigen. Was dieses explosive Gemisch entzünden könnte ist ein Hauch von persönlicher Abneigung, Feindseligkeit und letztlich Haß - die Würze in einem trockenen geschichtlichen Prozeß.

      KAPITEL 2

       Die Rivalen

      Vor zweihundert Jahren, in der Zeit der Regentschaft zwischen dem 7. und dem 8. Dalai Lama, hatte der mächtige Verwalter des Dalai-Thrones eine Verordnung erlassen, die den 10. Shamarpa aus Tibet verwies. Shamar Tulku wurde öffentlich beschuldigt, er habe Nepal zu einer Invasion seines Landes angestiftet. Alle ihm von den Manchu-Kaisern verliehenen Titel wurden widerrufen, und seine Kagyü-Klöster wurden von Regierungstruppen überfallen und zwangsweise zur Gelugpa-Tradition bekehrt. Shamarpas zeremonielle rote Krone wurde beschlagnahmt und vermutlich unter einem Gebäude in Lhasa vergraben. Es ging das Gerücht um, der 13. Dalai Lama habe sie über ein Jahrhundert später Nikolaus II, dem letzten russischen Zaren, zum Geschenk gemacht. Wie auch immer, bis heute hat ihr Eigentümer die Krone nicht wiedergesehen oder zurückerhalten. Schließlich wurde offiziell ein Erlaß herausgegeben, der Shamarpas Wiedergeburt ausdrücklich verbot - für westliche Gemüter eine recht bizarre Idee.

      Jahrhunderte lang hatte sich Shamarpa, der wichtigste Schüler der aufeinanderfolgenden Gyalwa Karmapas und der zweithöchste in der spirituellen Hierarchie der Kagyü-Linie, an der Seite seines Lehrers wiedergebären lassen. Als im Jahre 1638 der 5. Dalai Lama und die Gelug-Hierarchie die Macht übernahmen, wurde sowohl Shamar Tulku als auch Karmapa das Ziel offizieller Einschränkungen und auferlegter Schwierigkeiten. Hundert Jahre später erfuhr die Kagyü-Linie dank der beträchtlichen Aktivität des 8. Tai Situ, eines weiteren nahen Schülers Karmapas, eine Wiederbelebung im fernen Kham. Weit entfernt vom inquisitorischen Blick der Regierungsminister und unter dem Schutz eines lokalen Königs, blühte Situ Rinpoches Kloster Palpung im Osten des Landes auf. Shamarpa - ein Meister der Logik, sowie ein Bruder des damaligen Panchen Lama, des zweithöchsten in der Gelugpa-Hackordnung - war entschlossen, den Erfolg, den Tai Situ in Kham errungen hatte, in Zentraltibet zu wiederholen. Da er jedoch von seinem Hauptsitz Yangpa Chen aus, der nur eine Tagesreise von Lhasa entfernt war, agieren mußte, besaß er wenig Handlungsfreiheit. Um sein ehrgeiziges Ziel zu erreichen, tat er sich mit seinem Bruder zusammen. Der Panchen Lama, der selbst einen Groll gegen die Gelug-Politiker hatte, weil sie ihm den Thron Tibets verweigerten, war ein perfekter Verbündeter. Seit der chinesische Kaiser dem 5. Dalai Lama und seinem Königreich eine rotierende Monarchie aufgezwungen hatte, hatten die Panchen Lamas vergeblich darauf gewartet, die Zügel der Macht in die Hand zu bekommen. Die herrschenden Kräfte in der Hauptstadt beobachteten die neue Verbindung mit begründeter Besorgnis. Daß sich der zweithöchste Mann der Kagyüs mit einem Anwärter auf den Thron zusammentat, bedeutete eine direkte Herausforderung der Gelug-Herrschaft. Als dann die beiden Brüder Kontakt mit dem Raj in Indien aufnahmen und eine britische Delegation in Tashi Lhünpo, dem Hauptkloster des Panchen südlich von Lhasa, beherbergten, entschloß sich die Regierung zu handeln. Der Panchen Lama wurde mit einem Auftrag nach Peking versetzt, wo er auf mysteriöse Weise verstarb. Seines Bruders Schutz beraubt, floh Shamarpa nach Nepal und wurde sofort beschuldigt, ein Komplott gegen sein Land zu schmieden. Und obwohl er im Konflikt zwischen Nepal und Tibet vermittelte, waren seine Tage als berühmter Tulku gezählt. Als Kampf zwischen den beiden Himalaya-Staaten ausbrach, sah Tenpai Gönpo, ein einflußreicher Gelug-Minister, eine ideale Gelegenheit gekommen, um die Regierung und die „Gelbhut-Schule“ ein für alle mal von einem gefährlichen Rivalen zu befreien. Shamarpa wurde öffentlich für Tibets schmerzlichen Rückschlag in der militärischen Auseinandersetzung verantwortlich gemacht und zum Verräter erklärt. Bald darauf wurde es ihm offiziell untersagt sich wiedergebären zu lassen. Seine Klöster wurden übernommen und seine engsten Mitarbeiter gefoltert und getötet.

      Als Opfer einer politischen Intrige ließ sich Shamarpa in den folgenden zweihundert Jahren unter der schützenden Obhut Karmapas heimlich wiedergebären. Die Mantras, die gegen seine Wiedergeburt rezitiert wurden, hatten wenig Effekt. Die Anordnung jedoch, die ihn aus den Augen der Öffentlichkeit verbannte, wurde streng durchgesetzt. Die Zentralregierung, die ihre politische Vorherrschaft schützte, stellte sicher, daß kein Shamar-Tulku formell anerkannt wurde. „Schwarz wurde weiß, das Wirkliche unwirklich. Zu dieser Zeit war es nicht machbar, irgendeinen Shamarpa anzuerkennen oder zu inthronisieren. Alles wurde geheimgehalten. Die Inkarnationen erschienen, wurden aber nicht offenbart.“ So kommentierte der 16. Karmapa diese schwierige Zeit.

      *

      Ab dem Beginn des 20. Jahrhunderts brauten sich dunkle Wolken am Horizont Tibets zusammen. Nachdem die dekadente Manchu-Dynastie im Reich der Mitte von der Macht vertrieben worden war, und der

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