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Gurt. Das war die Aufseherin.

      »Sie wollen die Maslowa?« fragte sie, mit dem wachthabenden Aufseher an die Thür einer der am Korridor liegenden Zellen herantretend.

      Der Aufseher öffnete rasselnd das Schloß und rief, indem er die Thür der Zelle, aus welcher ihm eine noch übelriechendere Luft entgegenflutete, aufsperrte:

      »Maslowa, vor Gericht!« Dann machte er die Thür wieder zu und wartete.

      Sogar auf dem Gefängnishof spürte man den frischen, belebenden Odem der Felder, den der Wind in die Stadt geweht hatte. Aber im Korridor war eine deprimierende, typhöse Luft, von Teer und Fäulnis gesättigt, die jeden Neuankommenden sofort mit Betrübnis und Trauer erfüllte. Auch die Aufseherin, die eben vom Hofe kam, spürte dieses, obgleich sie an schlechte Luft gewöhnt war. Sie fühlte sich plötzlich, als sie in den Korridor ein trat, müde und schläfrig.

      In der Zelle hörte man Hasten und Gehen, weibliche Stimmen und das Auftreten nackter Füße.

      »Nun, schneller, Maslowa, rühr’ dich!« — schrie der Oberaufseher zur Thür hinein.

      Zwei Minuten später trat aus der Zelle ein junges, mittelgroßes Weib, mit sehr vollem Busen, in einem grauen, über eine weiße Nachtjacke und weißen Unterrock angezogenen Schlafrock. Sie drehte sich rasch um und stellte sich neben den Aufseher.

      An den Füßen hatte sie leinene Strümpfe und darüber die Gefängnispantoffeln, um den Kopf hatte sie ein weißes Tuch, unter welchem sie, offen bar nicht ohne Absicht, einige Löckchen des krausen, schwarzen Haares hervorscheinen ließ. Das ganze Gesicht des jungen Weibes zeigte jene besondere Blässe, welche Leuten, die sehr lange nicht an der frischen Luft waren, eigen ist, und die an die farblosen Kellerschößlinge der Kartoffeln erinnert. Ebenso blaß waren auch die zwar nicht großen, aber etwas breiten Hände und der weiße, volle Hals, der unter dem weiten Schlafrockkragen hervorsah. Bei der matten Blässe des Gesichts fielen die tief schwarzen, glänzenden, von etwas geschwollenen Lidern umrandeten Augen besonders auf. Sie waren sehr lebhaft und das eine schielte ein wenig. Das junge Weib hielt sich aufrecht, indem sie die volle Brust herausdrückte. Mit einwenig zurückgeworfenem Kopf sah sie dem Aufseher gerade in die Augen und blieb stehen, bereit, alles, was man von ihr verlangen würde, zu erfüllen. Der Aufseher wollte bereits die Thür verschließen, als sich aus der Zelle das bleiche, strenge und faltige Gesicht einer barhäuptigen, alten Frau herausstreckte. Die Alte wollte der Maslowa etwas sagen, aber der Aufseher warf ihr die Thür vor der Nase zu und der Kopf verschwand. In der Zelle erscholl das Gelächter einer Frauenstimme. Auch die Maslowa lächelte und wandte sich zu dem kleinen, in der Thür befindlichem Gitterfenster. Die Alte drückte sich von innen an das Fensterchen und sagte mit heiserer Stimme:

      »Vor allem: red’ nicht zuviel. Und bleib bei dem Einen und damit basta.«

      »Ach, wenn’s nur ein Ende nähme, schlimmer kann’s nicht werden«, sagte die Maslowa.

      »Natürlich, eins und nicht zwei«, sagte der Oberaufseher, überzeugt von der Trefflichkeit seines Vorgesetztenwitzes. — »Na, marsch, mir nach!«

      Das durch das Fensterchen blitzende Auge der Alten verschwand und die Maslowa folgte in der Mitte des Korridors mit kleinen Schritten dem Oberaufseher. Sie stiegen eine steinerne Treppe hinunter und gingen an den Zellen der Männerabteilung vorüber, in der es noch viel übler roch und lärmender war. Hinter all den Guckfensterchen heraus schauten ihnen Augen nach. Als sie in das Bureau traten, standen dort schon zwei Eskorte Soldaten mit Gewehren. Ein Schreiber gab einem der Soldaten das von Tabakrauch durchdrungene Begleitschreiben und sagte, auf die Gefangene weisend: »Nimm sie in Empfang.« Der Soldat, ein Bauer aus dem Gouvernement Nishnij-Nowgorod, mit einem roten, pockennarbigen Gesicht, steckte das Papier hinter den Ärmelaufschlag und blinzelte, die Arrestantin anlächelnd, seinem Kameraden, einem Tschuwaschen mit starken Backenknochen, zu. Die Soldaten gingen mit der Gefangenen die Treppe hinunter und schritten dem Haupthaus gang zu.

      In dem Hauptthor öffnete sich ein Pförtchen. Die Soldaten und die Gefangene traten über die Schwelle des Pförtchens in den Hof, verließen das Areal des Gefängnisses und marschierten durch die Stadt, in der Mitte der gepflasterten Straßen.

      Droschkenkutscher, Krämer, Köchinnen, Arbeiter und Beamte blieben stehen und betrachteten neugierig die Gefangene. Einige schüttelten die Köpfe und dachten: »Dazu also führt ein schlechter Lebenswandel, ein anderer, als der unserige.« Die Kinder schauten voll Entsetzen auf die Räuberin und beruhigten sich nur damit, daß hinter ihr her die Soldaten gingen und sie jetzt niemand mehr was anthun könnte. Ein Bauer vom Lande, der seine Kohlen verkauft hatte und eben aus einem Theehaus herauskam, trat auf sie zu, bekreuzigte sich und reichte ihr einen Kopeken. Die Gefangene errötete, neigte den Kopf und murmelte etwas.

      Sie fühlte die auf sie gerichteten Blicke und suchte unbemerkt, ohne den Kopf zu wenden, zu denen, die sie ansahen, hinüberzuschielen. Das Aufsehen, das sie erregte, freute sie. Auch an der, im Vergleich zu der Gefängnisatmosphäre, reinen Frühlingsluft empfand sie Freude, aber das Auftreten auf die Steine mit den des Gehens entwöhnten, mit plumpen Pantoffeln beschuhten Füßen that ihr weh und sie sah auf den Weg und bemühte sich, vorsichtig aufzutreten. Als sie an einer Mehlhandlung vorbeiging, vor welcher Tauben sorglos mit ihren wiegenden Schrittchen umherspazierten, streifte die Gefangene beinahe mit dem Fuß eine blaugraue Taube. Der Vogel flatterte auf, flog mit bebendem Flügelschlag hart am Ohre der Arrestantin vorbei und überschauerte sie mit Wind. Sie lächelte. Dann aber kam ihr ihre jetzige Lage in den Sinn und sie seufzte tief auf.

      Zweites Kapitel

      Die Geschichte der Arrestantin Maslowa war eine sehr gewöhnliche Geschichte. Die Maslowa war die Tochter einer unverheirateten Viehmagd, die mit ihrer Mutter auf dem Lande bei zwei Gutsbesitzerinnen, zwei Fräulein, lebte. Dieses unverehelichte Weib kam jedes Jahr nieder, das Kind wurde getauft, dann aber, wie das so häufig auf dem Lande zu geschehen pflegt, nährte die Mutter das unerwünschte, lästige und an der Arbeit behindernde Kind nicht mehr genügend, sodaß es bald vor Hunger zu sterben pflegte.

      So starben fünf Kinder. Sie wurden alle getauft, nicht mehr genährt und starben. Das sechste Kind, das sie von einem vagabundierenden Zigeuner hatte, war ein Mädchen, und sein Schicksal wäre wohl dasselbe gewesen, wie das seiner Geschwister. Aber es geschah, daß das eine der alten Fräulein in den Viehhof kam, um den Viehmägden, wegen der nach der Kuh riechenden Sahne einen Verweis zu erteilen. Auf dem Viehhofe lag gerade die Wöchnerin mit dem hübschen, gesunden Kinde. Das alte Fräulein äußerte ihren Unwillen sowohl bezüglich der Sahne, als auch darüber, daß man eine Wöchnerin in den Viehhof gelassen hatte, und sie wollte schon gehen, als sie das Kind erblickte und von einer momentanen Rührung erfaßt, sich erbot, das Kind zur Taufe zu halten. Das Fräulein hielt dann auch das Kind zur Taufe und gab später, aus Mitleid für ihr Patenkind, der Mutter Milch und Geld. Und so blieb das Mädchen am Leben und wurde von den alten Fräulein mit Recht die »Gerettete« genannt.

      Das Kind war drei Jahr alt, als die Mutter erkrankte und starb. Seiner Großmutter, der Viehmagd, war es zur Last, und so nahmen es die alten Fräulein zu sich. Das schwarzäugige Mädchen wurde ungewöhnlich lebhaft und nett, und die alten Fräulein hatten ihre Freude an ihm.

      Von den beiden Fräulein hatte die jüngere und gutmütigere, Sofja Iwanowna, das Kind zur Taufe gehalten, es später geputzt und lesen gelehrt, um aus ihm eine Ziehtochter zu machen. Das ältere, strengere Fräulein, Marja Iwanowna, sagte, daß man aus dem Mädchen eine Arbeiterin, ein tüchtiges Stubenmädchen machen müsse, und war daher dem Mädchen gegenüber anspruchsvoll, strafte und schlug es sogar zuweilen bei übler Laune. So wuchs denn das Kind unter diesen beiden Einflüssen halb als Stubenmädchen, halb als Ziehkind heran. Es wurde daher auch weder Katharine, noch Käthchen genannt, sondern mit einem mittleren Namen — Käthe oder Katjuscha. Katjuscha nähte, räumte die Zimmer auf, putzte mit Kreide die Metallverkleidungen der Heiligenbilder, röstete, mahlte und servierte den Kaffee, besorgte die kleine Wäsche, und saß bis weilen mit den Fräulein und las ihnen vor.

      Es fehlte ihr nicht an Freiern,

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