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Tag.

      Arthur bekam bei dem Gedanken weiche Knie, bald auf das endlose, weite Meer zu fahren. Wie froh war er, dass Sean bei ihm war!

      Nach einer ganzen Weile, als alles verstaut und die Matrosen an Bord waren, hörte Sean endlich:

      „Leinen los, Ankertrosse hieven!“

      Die Fahrt ging los.

      Elf

      - 1692 -

      Helle Sonnenstrahlen spiegelten sich im Wasser und die flachen Wellen brachen sich glitzernd an der Bordwand. Das Schiff schaukelte leicht auf der dunkelblauen Nordsee. Sean stand an der Reling und blinzelte in die Sonne. Das wunderschöne Wetter brachte leider mit sich, dass es wenig bis keinen Wind gab. Und somit kamen sie nur sehr langsam vorwärts. Doch Sean ließ sich von den griesgrämigen Matrosen nicht die gute Laune verderben.

      Er schaute zu den Segeln, die schlaff an den Masten hingen. Schon elf Tage waren sie unterwegs und er fand es herrlich! Zuerst wehte viel Wind und sie kamen flott voran. Sean liebte es, wenn sich die Segel blähten und das Schiff Fahrt aufnahm. Das flatternde Geräusch des Segeltuchs und das Knarren des Schiffes erzeugten in ihm ein unbeschreibliches Glücksgefühl.

      Arthur hatte mit dem Geschaukel hingegen große Mühe. Er konnte seinen Mageninhalt nicht lange bei sich behalten. Jedes Mal, wenn er sich über die Reling gebeugt und widerwillig sein Erbrochenes den Wellen überlassen hatte, dachte er, es wird besser. Aber dann kam die nächste große Welle und er hing wieder über der Reling, die ihn als Einzige vor dem Meer schützte.

      Sean machte der Seegang nichts aus. Er stand fröhlich an der Reling, schaute aufs Meer und fühlte den Wind und die Gischt in seinem Gesicht. Er hatte zu seiner Freude schon Delfine beobachten können. Ihn faszinierte, wie anmutig diese Tiere durch die Wellen glitten.

      Da er sonst nichts zu tun hatte, dachte Sean viel nach. Vor allem darüber, was er zurückgelassen hatte. Oder besser: die er zurückgelassen hatte. Keine Sekunde bereute er die Entscheidung, fortzugehen. Hier auf dem Schiff fühlte er sich frei und zum ersten Mal er selbst. Aber doch fehlten ihm die Bewohner von Dunnottar Castle. Verärgert schüttelte er den Kopf. Es bringt nichts, darüber nachzudenken. Da sah er ein paar Seehunde auf einem Felsen im Meer und schon fiel ihm wieder das Wappen seiner Familie ein. Und die Sage, die ihm seine liebe Großmutter so oft erzählt hatte:

       „Hoch oben im Norden und im Osten, seit Anbeginn der Zeit und unbekannt den Sterblichen, liegt das Reich der Meerelfen. Sie leben in Höhlen unter den Wellen und gräulich-silbern schimmert ihre Haut. Von Ferne gesehen denkt man, es seien Robben.

      Nachts lauschen sie dem Singen der Meerjungfrauen auf den Steinen und tags schwimmen sie mit silbernen Lachsen durch die Wellen. An Land können die Meerelfen menschliche Gestalt annehmen. Sie reiten dann auf mächtigen schwarzen Rössern, die sie aus der Brandung geformt haben.

      Vor langer Zeit nun lebte ein Fischer an der Nordostspitze Schottlands. Anfangs fing er Lachs und Kabeljau, dann aber verdiente er sein Geld mit dem Robbenfang und machte ein gutes Geschäft mit dem Anfertigen von Winterkleidung aus ihren Fellen.

      Eines Abends kam ein Fremder auf einem schwarzen Ross zu seiner Hütte. Dieser wollte, dass er mit zu dessen Herrn nach Osten käme. Kurz darauf ritten beide auf dem Pferd des Fremden nach Osten. Bei einer Klippe sagte der Fremde, dass sie fast bei seinem Herrn angekommen wären. Der Fischer konnte aber kein Haus erkennen. Der Fremde nahm plötzlich den Fischer in die Arme und sprang mit ihm von der Klippe.

      Sie sanken in die Tiefe, wo es dunkler als die tiefste Nacht war. Da bemerkte der Fischer, dass sie die Gestalt von Robben angenommen hatten. Dann wurde es wieder heller und sie kamen in das Meerelfenreich. Sie schwammen zum weißen Palast des Königs. Dieser war eine alte graue Robbe, blutverschmiert und mit einem Messer neben sich.

      Der Fischer erkannte darin sein Messer. Er hatte kurz zuvor eine Robbe verletzt und es war in ihrem Rücken stecken geblieben. Da erschrak der Fischer. Er bat den König um Vergebung und Gnade. Der Fremde, der der Sohn des Königs war, meinte, es könnte ihm keiner seiner Heiler helfen. Er bat den Fischer, seine Hand auf die Wunde zu legen. Dieser tat es und sie heilte schnell wie von Zauberhand.

      Alle Robben kamen und jubelten. Sie bereiteten sofort ein Fest für ihren gesundeten König vor. Der Fischer musste einen Schwur leisten, dass er nie mehr Robben jagte. Sonst würde er sterben, sagte ihm der Sohn des Königs. Wenn er jedoch den Schwur hielt, bekäme er immer fette Beute in sein Netz.

      Der Fischer schwamm wieder an die Küste und bekam von dem Königssohn einen Beutel voll Perlen. Daraus machte er eine Kette für seine Frau und die beiden mussten nie wieder Hunger leiden.“

      Sean erinnerte sich traurig daran, wie seine Großmutter ihn sacht zugedeckt und ihm einen Kuss gegeben hatte. Er hatte sich bei ihr geborgen gefühlt, und das vermisste er.

      „So ein Quatsch! Ich bin doch kein kleiner Junge mehr!“, sagte Sean laut, was er eigentlich nur denken wollte.

      „Was hast du gesagt?“, fragte ihn ein langer Kerl mit Backenbart und schaute ihn gereizt an.

      „Ich, äh… nichts“, erwiderte Sean schüchtern. Er hatte großen Respekt vor den Seeleuten, die eher rau waren und nicht so vornehm wie seine Eltern.

      „Dann halt den Mund, wenn du nichts zu sagen hast!“

      Die Stimmung unter den Matrosen war seit der Flaute sehr angespannt, sie wollten endlich vorankommen.

      Da gesellte sich Arthur zu Sean, der beste Laune hatte, weil das Schiff nicht schaukelte. Arthur stellte sich neben seinen Freund und spielte gedankenversunken mit dem Band um seinen Hals und dem daran befindlichen Stein. Plötzlich sagte er:

      „Es war ein Geschenk von meinem Onkel Aidan, dem toten Bruder meines Vaters.“

      Sean blickte überrascht zu ihm. Er hatte ihren Streit von damals nicht vergessen.

      „Wie ist er gestorben?“, fragte er vorsichtig.

      Vor sechs Jahren bekamen wir die Nachricht, dass er ertrunken ist.“

      Sean nickte traurig. „Weißt du mehr über deinen Onkel?“

      „Meine Großmutter hat mir ein paar Mal von ihm erzählt als ich klein war, aber ich erinnere mich nicht so gut daran. Aidan war schon weggegangen, bevor ich auf die Welt kam. Ich glaube, er wollte Priester werden. Mir ist es schleierhaft, wie man so etwas überhaupt freiwillig tun kann. Mann, bin ich froh, dass sich dieses Thema für mich erledigt hat.“

      Er lächelte Sean an und erzählte weiter: „Soweit ich weiß, hat er uns danach nie mehr besucht. Nur einmal, da war ich acht oder so, habe ich einen Mann beim hinteren Burgtor getroffen, der behauptete, der Bruder von Tevin Burton zu sein. Seltsam, als ich mich vorstellte wurde er rührselig und erzählte mir eine Menge Zeug. Dass er verfolgt würde und fliehen müsse und so etwas. Ich war völlig überrumpelt. Mir war die ganze Situation nicht geheuer und ich wollte mich dringend verabschieden, da zog er auf einmal dieses Lederband mit dem Stein aus der Tasche und gab es mir. Dann ist er Hals über Kopf durch das Tor gehuscht und war verschwunden. Ich stand da mit dem Stein und wusste nicht, was ich tun sollte.“

      „Hast du es deinen Eltern erzählt?“, wollte Sean wissen.

      „Erst wollte ich, aber dann dachte ich, ich müsste den Stein abgeben und habe ihn erst einmal eine Weile versteckt. Als ich später danach gefragt wurde, log ich, dass ich ihn gefunden hätte.“

      „Warum hast du mir nichts erzählt?“, fragte Sean vorsichtig und schaute Arthur mitfühlend an.

      „Keine Ahnung. Irgendwie war das immer mein kleines Geheimnis. Jedes Mal, wenn ich den Stein anschaue, muss ich an diesen verstörten Mann denken, der gesagt hat, dass er mein Onkel sei. Ich frage mich häufig, warum er ihn gerade mir gegeben hat. Seit die Todesnachricht kam, habe ich ein schrecklich schlechtes Gewissen, weil ich meinen Eltern nichts von der Begegnung erzählt habe. Der Stein ist wie ein Fluch für mich geworden, aber ich kann mich nicht überwinden, ihn fortzuwerfen. Eine seltsame Sache.“

      Sean

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