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Massage und dann unterschreibt sie.“

      Ich konnte diesem massivem Idioten des ausgehenden 20sten Jahrhunderts nicht mehr reden hören, verließ ebenfalls den Raum und ließ Manfred einfach allein am Tisch zurück. Ich stand einen Moment im Flur vor der Badezimmertür, da hörte ich genau von dort Geräusche, auch die Klospülung vernahm ich, vielleicht musste sie sich schon übergeben. Frau Perlheimer. Wer sonst. Ich zog einen Stift und ein Blatt Papier aus meinem Jackett und begann zu schreiben. Ich schrieb: „Frau Perlheimer, ich bin´s, unterschreiben Sie diesem Kerl bloß nichts!“

      Ich schob den Zettel unter der Tür ins Badezimmer durch. Und wartete. Ich riskierte einen kleinen Blick, am Wandvorsprung vorbei, hinüber zum Esstisch, doch Manfred drehte nur gelangweilt an seiner schimmernden Scheibe. Gut so. Dann sah ich, wie der Zettel unter der Tür wieder zurückkam. Darauf stand: „Sind Sie der Nette, der mit mir Kaffee trank?“ Ich schrieb: „Ja das bin ich! Sie haben was zum Schreiben im Badezimmer?“ Und retour zu Frau Perlheimer und etwas später wieder zurück zu mir. „Ich schreibe doch mit meinem Kajalstift! Ich werde natürlich nichts unterschreiben, nicht bei diesem ungehobelten Kerl!“ Unsere stille Postkommunikation nahm ihren Lauf und kam in Fahrt. „Gut so! Was machen wir jetzt? Schreiben Sie auf der Rückseite bitte weiter. Und betätigen Sie bitte noch einmal die Spülung, nur zur Sicherheit!“ Frau Perlheimer spülte kräftig durch, was aber auch den Nachteil hatte, dass ich Manfred nicht mehr hörte. Er hätte sich womöglich auf leisen Sohlen annähern können. Sei auf der Hut Ronny, und komm zu Potte, verdammt. Der Zettel kam zurück. Auf der Rückseite stand: „Gehen Sie in die Küche, nehmen Sie den Besenstiel und erschlagen Sie bitte den Kerl, nein, nur Spaß, sagen Sie ihm, mir ist schlecht geworden, was ja auch stimmt, und verschwinden Sie beide dann bitte. Ich bleibe hier drin!“ Meine letzte Antwort war – es gab kaum noch Platz auf dem Stück Papier –: „So machen wir das, machen Sie es gut Frau Perlheimer.“

      Ich ging zurück zu Manfred, der mittlerweile nervös um den Esstisch kreiste.

      „Mann, wo bist du denn gewesen und wo in aller Welt ist diese Frau? Ich brauch meinen ersten Auftrag. Jetzt! Hier!“

      „Manfred, das wird wohl nichts, der Frau Perlheimer geht es schlecht, sie ist im Badezimmer und hat sich wohl auch schon übergeben, was Schlechtes gegessen vermutlich. Konnte es auf dem Weg zur Gästetoilette hören.“

      „Scheiße Mann, der Tag geht nicht gut los, las uns abhauen, nicht das die Oma uns noch dafür noch verantwortlich macht, dass sie kotzen muss.“

      Als wir am Badezimmer vorbei zur Haustür gingen, rief ich noch ein „Alles Gute Frau Perlheimer“ gegen die Tür, hinter der sie möglicherweise schon ihren Kajalstift für seinen eigentlichen Zweck nutzte und sich die Augen machte.

      Auf der Fahrt zum nächsten Kunden sprachen Manfred und ich zum ersten Mal übers Geschäft. Über sein Geschäft. Er war merklich in Rage, auch äußerst nervös und vergaß sogar sein Verdeck zu öffnen und sich seine Skibrille aufzusetzen.

      „Luschke, ich brauch ab jetzt verdammt noch mal Aufträge, so was darf uns heute nicht noch mal passieren. Aber denk dran, du hast die Fresse zu halten, klar? Kaportzke dreht mir den Hals um, wenn ich nichts an Land ziehe, kapiert?“

      „Alles kapiert und ich halte schön meine Fresse, kein Problem.“

      „Mann Luschke, das ist hier reines Rein-Raus-Geschäft. Rein, Auftrag, raus, so muss die Chose laufen, für alles andere haben wir keine Zeit. Du kennst doch Rein-Raus, oder?“

      „Natürlich Manfred, wie du schon sagt: Rein-Raus.“

      Soweit zum geschäftlichen Teil unserer Unterhaltung. Wie ich im Laufe des Tages feststellen durfte, gab es eine gewisse kleine mathematische Wahrscheinlichkeit. Die Wahrscheinlichkeit, wie viel Besuche nötig waren, um einen Auftrag zu bekommen, rein theoretisch wohlgemerkt. Das war allerdings noch nicht alles. Erschwerend war, dass auf einen tatsächlichen Besuch, immer zwei bis drei folgten, die gar keine waren. Wir standen vor verschlossenen Türen und die Leute ließen einfach den Termin platzen. Manfred wusste dies, ein Umstand, der ihm mehr und mehr zusetzte. Der Druck auf Manfred wurde mit jeder Stunde immer größer, mit der logischen Folge, dass seine Nervosität ins Unermessliche zu steigen schien. Nur, auf der anderen Seite, schon nach unserem ersten Besuch bei Frau Perlheimer hatte ich ausgesprochen großes Verständnis dafür, wenn die Leute vor uns Reißaus nahmen. Ich konnte es ihnen nicht verübeln. Sie hatten sicherlich eine Vorahnung, dass nicht irgendwer, sondern eine schräge, einfach gestrickte Wanderheuschrecke zusammen mit einem gewissen Ronny Luschke als stumme Begleitperson, vor ihren Türen aufkreuzen würden, um sodann zum Schlüsselbund zu hechten und so schnell es ging aus ihren Wohnungen zu laufen.

      Auf der vierten Karte – die Personen hinter den Karten Nummer zwei und drei waren ausgeflogen – las ich: „Frau Judith Krämer, Mitte Dreißig, Mutter von zwei Kindern“. Vermutlich hatte sich die Judith gesagt, lieber warte ich den ganzen Morgen im Auto vor dem Kindergarten, als dass ich mich mit diesem Typen an einen Tisch setze. Mit diesem vierten Kärtchen hatten wir wieder Glück, wobei sich unser Glück nur auf die Anwesenheit von Judith Krämer bezog. Judith war von attraktiver, schlanker Gestalt mit herbem Kurzhaarschnitt und hatte einen cleveren Trick, uns während unserer Besuchszeit bei ihr zu umgehen. Judith Krämer ließ uns geschickt ins Leere laufen. Sie kochte und sie tat dies unentwegt. Während wir am Küchentisch saßen und Manfred ständig versuchte, mit ihrem Hinterkopf Kontakt aufzunehmen, fuchtelte sie mit den Töpfen und Pfannen hin und her, dass einem schwindelig wurde. Als ich dachte, das Gericht wäre fertig zubereitet, kochte sie einfach weiter. Etwas Neues. Jetzt sollte gedünsteter Fisch mit gedünstetem Gemüse folgen. Und wenn uns das nicht in die Knie zwingen würde, käme noch ein Wackel-Pudding mit Vanillesoße hinterher. Alles nur, um geschickt ihr Desinteresse und uns dabei ihr Hinterteil zu zeigen.

      Ihre Taktik ging vollends auf. Als sie begann den Brokkoli zu putzen, drehte sie sich kurz zu uns um und fragte mit einem Augenaufschlag, der mir wunderbar gespielte Naivität zeigte: „Was haben Sie gesagt? Ich glaube, ich habe kaum etwas mitbekommen, von dem, was Sie erzählten. Also, was wollen Sie?“ Manfred blickte kurz zu mir rüber: „Komm Luschke, las uns hier abhauen, hier läuft nichts.“ Wir hatten Judith eine geschlagene halbe Stunde bei ihrer Koch-Show zugesehen, was bitte schön hätte da laufen sollen? Hatte Manfred noch auf eine Stripshow gewartet? Er hatte sich abblitzen lassen, hatte Judith nichts entgegenzusetzen, sammelte letztendlich seine kleinen Scheiben, leere Auftragsformulare und bunte Prospekte vom Tisch wieder ein und stampfte mit abfälligen Bemerkungen aus der Wohnung. Ich hinterher, nicht ohne noch ein Kompliment für Judiths Kochkünste zu hinterlassen.

      Es wurde Mittag und ich hungrig. Manfred durstig. Wir fuhren einen Schnellimbiss an, verdrückten ein paar Currywürste im Stehen und Manfred orderte danach für sich noch ein Bier. Ein Bier sollte ihn runterbringen, dachte und hoffte ich. Im Auto kramte er dann nach Kaugummi, fand nichts und so stieg er wieder aus und ging zurück zum Imbiss. Was er für sich mitbrachte, waren, neben Kaugummistreifen, eine Dose Cola und zwei kleine Fläschchen Wodka. Das Kaugummi schmiss er in das Handschuhfach. Er nahm ein paar Schlucke aus der Cola-Dose und füllte sie dann mit Wodka auf. Er trank wieder dreimal kräftig, füllte wieder nach und atmete tief mehrmals durch. Wie ein komplett Erschöpfter. Wie eine erschöpfte Wanderheuschrecke, die ermattet am Wegesrand den anderen Heuschrecken nur noch nachschauen kann.

      „Okay, Luschke, der Nachmittag wird´s rausreißen, jetzt gebe ich alles!“

      „Nur Manfred, wenn meine Berechnungen stimmen, wären jetzt wieder mindestens zwei Leerfahrten dran, was ich natürlich nicht hoffe. Ganz im Gegenteil, auch ich wünsche mir nichts mehr, als ein paar Aufträge auf unserer Nachmittagstour.“

      Die Heuschrecken mussten ganz nebenbei für Kaportzke immer auch ein Tagesprotokoll schreiben. Während wir noch vor dem Imbiss parkten, begann Manfred zu schreiben. Ein Schluck Cola-Wodka, ein Blick in den Himmel, dann eine Notiz. Hinter jedem Namen unserer Tagestour musste etwas stehen und Manfred schrieb hinter jedem einen ganz speziellen Kommentar: „Bin nah dran“, auch dort, wo wir niemanden antrafen. Ich hatte meine Zweifel, ob ein Kaportzke sich mit einem lapidaren „Bin nah dran“ zufriedengeben würde, aber das war nicht mein Bier. Manfreds Bier. Bei Betrachtung unseres bisherigen Besuchsrhythmus waren

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