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dahinter eine Frau oder ein Mann verbarg. Anja erinnerte sich an den Abschiedsbrief des vermissten Studenten. Darin hatte er ebenfalls einen Todesengel namens Nemesis erwähnt.

      Anja las die E-Mail.

      Hallo, Laura,

      Freut mich, dass du den Weg zu uns gefunden hast und bereit bist, dich der »Suicide-Challenge« zu stellen. Ich verspreche dir, du wirst es nicht bereuen.

      Ich heiße Nemesis und bin dein Todesengel. Als Erstes werde ich dir die Regeln erklären. Anschließend begleite ich dich durch die gesamte Challenge, indem ich dir die Aufgaben stelle, die du zu bewältigen hast. Außerdem bin ich für die nächsten 24 Stunden dein Ansprechpartner und werde dir all deine Fragen beantworten, sofern ich dazu in der Lage bin.

      Hier nun die Regeln, die strikt zu befolgen sind:

      1. Die »Suicide-Challenge« besteht aus 24 Aufgaben, die innerhalb von ebenso vielen Stunden erfolgreich absolviert werden müssen.

      2. Du darfst keiner Menschenseele etwas davon erzählen. Nicht einmal deiner besten Freundin oder deinen Eltern.

      3. Du musst jede Aufgabe, die ich dir stellen werde, sorgfältig und wortgetreu erfüllen!

      4. Sobald du eine Aufgabe erfolgreich absolviert und abgeschlossen hast, sendest du mir eine Nachricht mit einem Beweisfoto.

      5. Nach jeder erfolgreich bestandenen Aufgabe erfolgt zur jeweils vollen Stunde die nächste, bis schließlich alle erfüllt wurden.

      6. Am Ende der Challenge geht dein Todeswunsch in Erfüllung, und du wirst sterben! Damit hast du die Suicide-Challenge erfolgreich bewältigt. Dann wird auch dein Foto in die »Suicidal Hall of Fame« aufgenommen.

      Du kannst mir dafür gern ein Foto von dir mailen. Wenn nicht, ist das auch nicht tragisch. Dann nehme ich einfach ein Foto aus der Zeitung. Beispielsweise, wenn du vermisst wirst und nach dir gesucht wird. Oder aus deiner Todesanzeige.

      Das war’s auch schon für den Anfang.

      Bist du bereit?

      Anja verfasste sofort eine Antwort.

      Hallo Nemesis,

      herzlichen Dank für die freundlichen Worte und deine Hilfe. Tut mir echt leid, aber ich weiß noch gar nicht, ob ich überhaupt schon bereit bin zu sterben. Ich habe Angst! Was, wenn ich mittendrin aussteigen und die Challenge abbrechen will. Geht das?

      Anja schickte die Nachricht ab. Während sie auf eine Antwort wartete, öffnete sie die Akte des vermissten Fernfahrers Stefan Greinwald, der an Lungenkrebs litt und als Erster verschwunden war.

      Doch sie kam mit dem Aktenstudium nicht weit, denn als sie nach einer Minute zum ersten Mal aufblickte, hatte sie bereits eine Antwort von Nemesis bekommen.

      Du kannst jetzt nicht mehr aufhören und die »Suicide-Challenge« abbrechen, denn die hat bereits mit deiner Anmeldung begonnen. Von nun an gibt es weder einen Ausstieg noch einen Weg zurück.

      Anja lächelte grimmig. Genauso hatte sie sich das vorgestellt. Die Betreiber des Clubs der toten Gesichter bedienten sich haargenau derselben Mittel wie andere Selbstmordclubs oder -spiele auch. Offensichtlich kopierten sie nur das Vorgehen ihrer Vorgänger. Der einzige Unterschied bestand darin, dass sich andere derartige Seiten ausschließlich an Jugendliche richteten, die natürlich leichter zu beeinflussen waren, und nicht an Erwachsene. Doch die Ruhmeshalle des Clubs bewies, dass der Masche mit der Suicide-Challenge auch Erwachsene auf den Leim gingen. Vermutlich, weil sie extrem verzweifelt waren und sich den Tod wünschten.

      Grundsätzlich war Anja der Ansicht, dass jeder Erwachsene das Recht hatte, über das eigene Leben und den eigenen Körper zu bestimmen. Aus diesem Grund konnte er sich gegebenenfalls selbst das Leben nehmen, wenn er sich für diesen Weg entschlossen hatte. Auch in ihrem Leben hatte es eine Phase gegeben, in der sie immer wieder mit dem Tod geliebäugelt hatte, den sie in Gestalt einer Packung Schlaftabletten im Spiegelschrank ihres Badezimmers aufbewahrt hatte. Doch im Laufe ihrer Ermittlungen im Fall des Apokalypse-Killers hatte sie diese latente Todessehnsucht erfolgreich überwunden.

      Die Hintermänner des Clubs der toten Gesichter richteten sich aber nicht nur an Erwachsene. Auch Kinder und Jugendliche konnten auf die Webseite gelangen und sie lesen. Und sie konnten sich sogar problemlos anmelden, denn auch Anja hatte sich bei ihrer Anmeldung als fünfzehnjähriges Mädchen ausgegeben. Und dennoch hatte sich der Todesengel Nemesis bei ihr gemeldet, damit sie die Challenge durchführte. Sie war daher fest entschlossen, diesen Leuten das Handwerk zu legen. Doch dazu musste sie unbedingt herausfinden, wer hinter diesem Internetauftritt steckte und wer sich hinter ihrem Todesengel verbarg.

      Sie schrieb eine kurze E-Mail an Nemesis.

      Was, wenn ich trotzdem aussteigen will?

      Die Antwort kam weniger als zwei Minuten später.

      Ich habe dir doch schon mitgeteilt, dass du nicht aussteigen kannst. Dein Weg ist von nun an vorgezeichnet und führt ohne Umwege in den Tod. Das wolltest du doch! Deshalb hast du dich doch in unserem Club angemeldet! Glaub mir, jeder hat ein bisschen Muffensausen, wenn der Tod endlich greifbar nahe ist. Das ist völlig normal und sollte dich daher auch nicht beunruhigen.

      Vertrau mir!

      Vertraust du mir?

      Anja antwortete:

      Ich weiß nicht, ob ich dir vertrauen kann. Ich kenne dich doch gar nicht! Wer bist du eigentlich? Wenn ich wüsste, mit wem ich es zu tun habe, würde es mir vermutlich leichter fallen. Erzähl mir bitte etwas von dir.

      Nemesis schrieb nahezu postwendend zurück.

      Tut mir leid, aber ich darf dir nichts über mich erzählen, so gerne ich’s auch täte. Es verstößt gegen die Regeln, wenn ein Todesengel gegenüber einem Teilnehmer der Challenge seine wahre Identität oder Informationen über sich preisgibt.

      Du musst mir einfach blind vertrauen! Schließlich wollen wir doch beide dasselbe: deinen Tod.

      Also lass uns nicht länger zögern, sondern endlich anfangen. Die Zeit läuft!

      Bist du jetzt bereit?

      Anja schüttelte den Kopf.

      »So einfach mache ich es dir nicht, Schätzchen!«, murmelte sie.

      Wäre schön gewesen, wenn Nemesis ihr etwas über sich selbst verraten hätte. Allerdings hatte Anja nicht ernsthaft damit gerechnet.

      Sie überlegte kurz und verfasste dann eine Antwort-Mail.

      Ich weiß nicht, ob ich bereit bin. Als ich mich angemeldet habe, habe ich nicht erwartet, dass es sofort losgeht. Können wir es nicht noch etwas verschieben?

      Nemesis’ Reaktion erfolgte innerhalb kürzester Zeit.

      Anja hatte das Gefühl, dass ihr Todesengel allmählich wütend wurde. Aber genau das hatte sie beabsichtigt. Sie wollte ihn aus der Reserve locken. Womöglich machte er in seiner Wut einen Fehler und verriet mehr, als er ursprünglich wollte, sodass Anja endlich einen Anhaltspunkt für ihre Ermittlungen in die Hand bekam.

      Ich habe dir doch schon mitgeteilt, dass es kein Zurück mehr gibt. Das hättest du dir überlegen sollen, bevor du dich angemeldet hast.

      Zweifel und Ängste sind normal, aber die musst du jetzt überwinden und hinter dir lassen. Und genau dafür ist die Challenge da.

      Du willst doch sterben, sonst hättest du nicht die Seite unseres Clubs besucht und dich angemeldet.

      Und meine Aufgabe ist es, dir dabei zu helfen, dich umzubringen.

      Mit der Anmeldung hast du in gewissem Sinne einen unkündbaren Vertrag mit uns abgeschlossen. Ziel dieses Vertrages ist dein Tod. Und der wird hundertprozentig spätestens in 23 Stunden und 34 Minuten eintreten, ob nun mit deiner Hilfe oder auch ohne dein Zutun.

      Endlich

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