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Seltsame Geschichten. Edar Allan Poe
Читать онлайн.Название Seltsame Geschichten
Год выпуска 0
isbn 9783754181140
Автор произведения Edar Allan Poe
Жанр Языкознание
Издательство Bookwire
»Sie meinen den Papierfetzen«, sagte ich.
»Nein, er sah zwar wie Papier aus, und zuerst hielt ich ihn auch dafür, aber als ich begann, darauf zu zeichnen, entdeckte ich sofort, daß er ein Stück sehr dünnen Pergaments war. Sie erinnern sich, daß er ganz schmutzig war. Nun wohl, gerade als ich dabei war, ihn zu zerknittern, fiel mein Blick auf die Zeichnung, die Sie betrachtet hatten, und Sie können sich mein Erstaunen vorstellen, als ich tatsächlich die Figur eines Totenkopfs gerade an der Stelle sah, wo ich glaubte, den Käfer hingezeichnet zu haben. Einen Augenblick war ich zu erstaunt, um richtig zu denken. Ich wußte, daß meine Zeichnung in den Einzelheiten ganz anders gewesen, obgleich es eine gewisse Ähnlichkeit im Umriß gab. Ich nahm dann eine Kerze und setzte mich in das andere Ende des Zimmers, wo ich begann, das Pergament genauer zu untersuchen. Als ich es umwandte, sah ich auf der Rückseite meine eigene Zeichnung genau so, wie ich sie gemacht hatte. Mein erster Gedanke war ein einfaches Erstaunen über die merkwürdige Ähnlichkeit im Umriß – über den seltsamen Zufall, daß mir ganz unbewußt, genau unter meiner Zeichnung des Käfers, sich an der auf der anderen Seite des Pergaments ein Totenkopf befunden hatte, und daß dieser Totenkopf nicht nur in der Form, sondern auch in der Größe genau meiner Zeichnung glich. Wie gesagt, die Einzigartigkeit dieses Zusammentreffens verwirrte mich eine Zeitlang vollständig. Das ist häufig so bei solchen Zufällen. Das Gehirn müht sich, irgend eine Verbindung zu finden, eine Verknüpfung von Ursache und Wirkung herzustellen, und wenn es das nicht kann, entsteht eine Art vorübergehender Lähmung. Als ich mich aber von dieser Verblüffung erholt hatte, dämmerte in mir nach und nach eine Überzeugung, die mir noch erstaunlicher schien als das Zusammentreffen. Ich begann mich genau und bestimmt zu erinnern, daß sich auf dem Pergament keine Zeichnung befunden hatte, als ich die Skizze des Käfers anfertigte. Ich wurde mir dessen völlig gewiß, denn ich erinnerte mich, daß ich das Blatt von einer Seite auf die andere gewendet hatte, um die reinste Stelle zu suchen. Wäre der Schädel dagewesen, ich hätte ihn sicherlich bemerkt. Hier gab es in jedem Fall ein Geheimnis, das ich mir nicht erklären konnte. Aber schon damals, in diesem ersten Augenblick, schien ganz schwach in der entlegensten und geheimsten Kammer meiner Seele glühwürmchenhaft eine Ahnung von jener Wahrheit aufzuglimmen, die das Abenteuer der gestrigen Nacht zu einem so großartigen Ergebnis führte. Ich erhob mich plötzlich, verschloß das Pergament sorgfältig und verschob alles weitere Nachdenken, bis ich allein war.
Als Sie gegangen waren, und Jupiter fest schlief, unterzog ich die Sache einer mehr methodischen Untersuchung. Zunächst betrachtete ich die Art, wie das Pergament in meinen Besitz gekommen war. Der Fleck, wo ich den Käfer entdeckt hatte, lag eine Meile östlich von der Insel an der Festlandsküste und nur ein wenig über der Hochwasserlinie. Als ich das Tier anfaßte, biß es mich heftig, was mich veranlaßte, es fallen zu lassen. Jupiter, auf den das Insekt hingeflohen war, suchte, bevor er es anfaßte, mit seiner gewohnten Vorsicht nach einem Blatt oder dergleichen, um es damit zu packen. Es war in diesem Augenblick, daß seine Augen und auch die meinen auf den Pergamentfetzen fielen, den ich damals für Papier hielt. Es lag halb begraben im Sand und ragte mit einer Ecke heraus. Nahe bei der Fundstätte bemerkte ich die Überreste eines Schiffskörpers, die von einer Pinasse zu stammen schienen. Das Wrack hatte wohl schon eine sehr lange Zeit dort gelegen, denn die Form der Bootsrippen war kaum noch zu erkennen.
Nun wohl, Jupiter nahm das Pergament auf, wickelte den Käfer hinein und überreichte ihn mir. Kurz darauf kehrten wir heim und trafen unterwegs den Leutnant G. Ich zeigte ihm das Insekt, und er bat mich, es mit zum Fort nehmen zu dürfen. Da ich zustimmte, steckte er es in seine Westentasche, und zwar ohne das Pergament, in das es gewickelt gewesen, und das ich während seiner Betrachtung in der Hand gehalten hatte. Vielleicht fürchtete er, ich möchte meine Zustimmung zurücknehmen, und hielt es für das beste, möglichst schnell das Tier einzustecken – Sie wissen ja, wie begeistert er an allem hängt, was mit der Naturforschung zusammenhängt. Ich selbst aber muß zur gleichen Zeit, ohne es zu wissen, das Pergament in meine Tasche gesteckt haben.
Sie erinnern sich ferner, daß ich an den Tisch ging, um eine Zeichnung des Käfers anzufertigen, und daß ich an dem gewohnten Platz kein Papier fand. Ich suchte in der Schublade, aber es war nichts da. Als ich meine Taschen durchfühlte, um vielleicht einen alten Brief zu finden, berührte meine Hand das Pergament. Ich erzähle Ihnen die Einzelheiten, durch die ich in seinen Besitz kam, so genau, weil die Umstände auf mich einen außerordentlich starken Eindruck machten.
Sie werden mich zweifellos für einen Phantasten halten – aber ich hatte schon begonnen, eine Art von innerer Verknüpfung zu bilden. Ich hatte zwei Glieder einer langen Kette miteinander verbunden. Ein Boot lag an der Seeküste, und nicht weit von dem Boot fand ich ein Pergament – nicht ein Papier – mit einem darauf gezeichneten Totenkopf. Sie fragen natürlich, wo denn hier die Verbindung stecke. Meine Antwort ist, daß der Schädel oder Totenkopf als wohlbekanntes Emblem der Piraten gilt. Die Flagge mit dem Totenkopf wird bei allen ihren Unternehmungen gehißt.
Ich sagte, der Fetzen sei Pergament und nicht Papier gewesen. Pergament ist fast unzerstörbar. Unwichtige Dinge schreibt man selten auf Pergament, denn zum gewöhnlichen Zeichnen oder Schreiben eignet es sich nicht so gut wie Papier. Ich kam durch diese Überlegung darauf, daß hinter dem Totenkopf etwas Besonderes, etwas von Bedeutung stecken müßte. Auch entging mir nicht die besondere Form des Pergaments, obgleich eine Ecke durch einen Zufall zerstört war, konnte man doch die ursprüngliche längliche Form erkennen. Es war gerade solch ein Blatt, wie man es für ein besonderes Dokument gewählt haben würde – für ein wichtiges Schriftstück, das sorgfältig aufgehoben werden sollte.«
»Aber«, unterbrach ich ihn, »Sie sagten doch, der Schädel sei nicht auf dem Pergament gewesen, als Sie den Käfer zeichneten. Wie wollen Sie eine Verbindung zwischen dem Boot und dem Schädel herstellen, wenn dieser, wie Sie selbst zugeben, erst nach Ihrer Zeichnung des Käfers, Gott weiß, auf welche Weise, entstanden ist?«
»Ja, hier kommen wir zu dem Kernpunkt des ganzen Geheimnisses, obgleich gerade dies zu lösen mir die wenigsten Schwierigkeiten machte. Meine Schritte waren sicher und konnten nur zu einem Ergebnis führen. Ich schloß also folgendermaßen: Als ich den Käfer zeichnete, war auf dem Pergament kein Schädel zu sehen. Als ich Ihnen dann die fertiggestellte Zeichnung überreichte, beobachtete ich Sie genau, bis Sie sie mir zurückgaben. Sie also hatten nicht die Zeichnung gemacht, und auch sonst kein Anwesender. Sie war also nicht durch eine menschliche Tätigkeit entstanden, und doch war sie da.
Bei diesem Punkte meines Nachdenkens versuchte ich mich genau an jede Einzelheit des damaligen Geschehens zu erinnern und erreichte das auch. Das Wetter war frostig – welch ein wunderbarer und glücklicher Zufall! – und im Kamin brannte ein Feuer. Ich war durch das Marschieren warm geworden und saß am Tisch. Sie aber hatten sich einen Stuhl dicht an den Kamin gerückt. Und nun kam gerade, als ich Ihnen das Pergament in die Hand gegeben hatte und Sie es betrachteten, der Neufundländer herein und sprang auf Ihre Schultern. Mit Ihrer linken Hand liebkosten sie ihn und drängten ihn zurück, während Sie Ihre Rechte, die das Pergament hielt, nachlässig zwischen den Knien herabsinken ließen, so daß es dicht an das Feuer kam. Einmal dachte ich sogar, es würde von den Flammen erfaßt werden und war gerade dabei, Sie zu warnen. Aber bevor ich sprechen konnte, hatten Sie es zurückgezogen und gaben sich daran, es zu betrachten. Wie ich mir alle diese Einzelheiten überlegte, zweifelte ich keinen Augenblick, daß der Schädel, den ich auf dem Pergament gezeichnet sah, nur durch Einwirkung von Hitze darauf sichtbar geworden sein konnte. Sie wissen natürlich, daß es chemische Präparate gibt und schon seit Urzeiten gegeben hat, mit denen man so auf Papier oder Pergament schreiben kann, daß die Buchstaben nur bei Einwirkung von Wärme sichtbar werden. Sehr gebräuchlich ist in aqua regia gelöster Kobalt, der mit vier Teilen Wasser verdünnt wird und eine grüne Tinte gibt. Löst man den Kobalt in Salpetersäure, so erhält man eine rote Tinte. Die Farben verschwinden, wenn sich das Material, auf dem sie geschrieben sind, abgekühlt hat, nach längerer oder kürzerer Zeit und werden wieder sichtbar, wenn man sie aufs neue der Hitze aussetzt.
Ich untersuchte nun den Totenkopf sorgfältigst. Seine Umrisse waren an der Seite nach dem Rand des Pergaments hin deutlicher als an der andern Seite. Es war klar, daß die Erwärmung unvollkommen oder ungleichartig gewirkt hatte. Ich zündete daher sofort ein Feuer an und setzte jede Stelle des Pergaments der