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Seltsame Geschichten. Edar Allan Poe
Читать онлайн.Название Seltsame Geschichten
Год выпуска 0
isbn 9783754181140
Автор произведения Edar Allan Poe
Жанр Языкознание
Издательство Bookwire
»Offen gestanden, weil mich Ihr unverkennbarer Zweifel an meiner geistigen Gesundheit ärgerte. Ich beschloß deshalb, Sie auf meine Art ein wenig durch eine kleine Mystifizierung zu bestrafen. Deshalb schwang ich den Käfer, und ließ ihn auch deshalb durch den Schädel fallen. Ihre Bemerkung über sein großes Gewicht hatte mich auf die letztere Idee gebracht.«
»Nun ja, ich verstehe. Und jetzt gibt es nur noch eins, was mir rätselhaft ist. Was sollen wir über die beiden Skelette denken, die wir in der Höhlung gefunden haben?«
»Das ist eine Frage, die ich ebensowenig beantworten kann wie Sie. Doch scheint mir nur eine wahrscheinliche Erklärung möglich, obgleich ich nicht gern an eine solche Grausamkeit, wie man sie danach annehmen müßte, glauben will. Es ist klar, daß Kidd – wenn Kidd, woran ich nicht zweifle, den Schatz vergraben hat – bei seiner Arbeit Hilfe gehabt haben muß. Aber als diese Arbeit vorbei war, hat er es vielleicht für klug gehalten, alle Zeugen davon zu beseitigen. Vielleicht genügten ein paar Schläge mit einer Hacke, während die Gehilfen in der Grube arbeiteten, vielleicht waren auch ein Dutzend nötig – wer kann das wissen?«
Eine Geschichte aus dem Felsengebirge
Es war im Herbst des Jahres 1827, als ich mich in der Nähe von Charlottesville in Virginien aufhielt und dort zufällig die Bekanntschaft eines Mr. Augustus Bedloe machte. Der junge Mann war in jeder Beziehung merkwürdig und erregte aufs tiefste mein Interesse und meine Neugier. Sowohl sein physisches wie sein seelisches Wesen erschien mir vollständig rätselhaft. Auch über seine Familie war nichts Bestimmtes zu erfahren, und woher er stammte, habe ich nie herausgebracht. Selbst an seinem Alter – ich habe ihn zwar hier einen jungen Mann genannt – gab es etwas, was mich in nicht geringem Maße unsicher machte. Gewiß schien er jung zu sein und betonte oftmals seine Jugend, aber es gab Augenblicke, in denen ich ihn ohne Zaudern für einen Hundertjährigen gehalten hätte. Das Eigentümlichste an ihm aber war seine äußere Gestalt. Er war ungewöhnlich groß und schlank, ging sehr vornübergeneigt und hatte außerordentlich lange und magere Gliedmaßen. Seine Stirn war breit und niedrig, sein Gesicht völlig blutleer. Er hatte einen großen, beweglichen Mund und so unregelmäßige, wenn auch kerngesunde Zähne, wie ich sie nie an einem Menschengebiß gesehen habe. Trotzdem aber waren seine Züge, wenn er lächelte, durchaus nicht so unangenehm, wie man etwa erwartet hätte, aber sie zeigten nie eine Abwechslung. Immer lag eine tiefe Melancholie, eine unveränderliche, unzerstörbare Schwermut darin. Seine unnatürlich großen und runden Augen glichen denen einer Katze, und auch seine Pupillen reagierten auf jede Verstärkung oder Verminderung des Lichtes genau wie bei den katzenartigen Tieren durch Zusammenziehen oder Ausdehnung. In Augenblicken der Erregung wurden die Augäpfel in fast unbegreiflichem Maße glänzend. Sie schienen dann leuchtende Strahlen auszusenden, und zwar war es kein zurückgeworfenes, sondern ein Eigenlicht, wie es eine Kerze oder die Sonne hat. Unter gewöhnlichen Umständen aber waren sie so völlig trüb und verschleiert und sahen so stumpf aus, daß sie an die Augen eines längst begrabenen Leichnams erinnerten.
Diese persönlichen Eigentümlichkeiten schienen ihm viel Verdruß zu bereiten, und er pflegte immer wieder, sie halb erklärend, halb entschuldigend, darauf anzuspielen, was mich, als ich es zum erstenmal hörte, sehr peinlich berührte. Ich gewöhnte mich aber bald daran, und es störte mich schließlich nicht mehr. Seine Absicht war offenbar, wenn er das auch nicht direkt aussprach, durch seine Worte den Anschein zu erwecken, er habe nicht immer so ausgesehen, sondern erst infolge häufiger nervöser Anfälle seine frühere ungewöhnliche Schönheit verloren. Seit vielen Jahren befand er sich in der Pflege eines Arztes namens Templeton, eines alten Herrn von vielleicht siebzig Jahren, den er zuerst in Saratoga kennen gelernt hatte. Seine Behandlung hatte ihm sehr geholfen, wenigstens glaubte er das, und da Bedloe wohlhabend war, so hatte er mit Dr. Templeton abgemacht, daß dieser gegen eine sehr reichliche jährliche Entschädigung seine ganze Zeit und ärztliche Erfahrung ausschließlich der Pflege des Kranken widmete.
Dr. Templeton war in seiner Jugend viel in der Welt herumgekommen und in Paris ein begeisterter Anhänger der Lehre Mesmers geworden. Durch magnetische Behandlung gelang es ihm, die heftigen Schmerzen seines Patienten zu mildern und ihm durch diesen Erfolg ein großes Vertrauen gerade zu dieser Heilweise einzuflößen. Der Doktor bemühte sich natürlich wie alle Enthusiasten, seinen Schüler zu einem ebenso fanatischen Anhänger zu bekehren, und brachte es auch so weit, daß der Kranke sich allen möglichen Experimenten unterwarf. Ihre häufige Wiederholung führte zu einem Resultat, das zwar heute zu häufig geworden ist, um besonderes Aufsehen zu erregen, das aber zu der Zeit, über die ich schreibe, in Amerika fast ganz unbekannt war. Ich meine nämlich, daß sich zwischen Dr. Templeton und Bedloe nach und nach ein auffallend starker magnetischer Rapport gebildet hatte. Ich kann nicht bestimmt behaupten, daß dieser Rapport über die einfache Kraft zum Einschläfern hinausging, jedenfalls war sie aber sehr groß geworden. Die ersten Versuche zu magnetischen Einschläferungen waren dem Mesmeristen völlig mißlungen, erst die fünfte oder sechste Sitzung hatte zu einem Teilerfolg geführt. Aber bei der zwölften war der Triumph vollkommen gewesen, und von da ab unterlag der Wille des Patienten sehr schnell dem des Arztes, so daß, als ich zuerst mit den beiden bekannt wurde, der Schlaf durch den einfachen Willen des Hypnotiseurs eintrat, selbst wenn der Kranke nichts von seiner Anwesenheit wußte. Erst heute, im Jahre 1845, da ähnliche Wunder zu Tausenden berichtet werden, darf ich diese anscheinende Unmöglichkeit als wirkliche Tatsache berichten.
Bedloe hatte ein außerordentlich sensitives, erregbares und enthusiastisches Temperament. Seine Einbildungskraft war ungewöhnlich stark und schöpferisch und wurde noch gesteigert durch den regelmäßigen Gebrauch von Morphium, das er in großen Mengen einnahm, bis er ohne dieses Reizmittel gar nicht mehr leben konnte. Er hatte es sich angewöhnt, jeden Morgen eine große Dosis nach dem Frühstück einzunehmen – oder vielmehr unmittelbar nach einer Tasse starken Kaffees, da er vormittags gar nichts aß. Er pflegte dann, allein oder nur von einem Hunde begleitet, einen langen Ausflug nach einer Kette wilder oder öder Hügel zu machen, die westlich und südlich von Charlottesville liegen und das Felsengebirge genannt werden.
An einem trüben, warmen und nebligen Tag gegen Ende November, also in der seltsamen Zwischenzeit, die man in Amerika den Indianersommer nennt, brach Mr. Bedloe wie gewöhnlich nach den Bergen auf. Die Tage vergingen, ohne daß er zurückkehrte.
Eines Abends gegen acht Uhr, da wir, sehr beunruhigt durch seine lange Abwesenheit, gerade beschlossen, nach ihm zu suchen, tauchte er plötzlich wieder auf. Sein Befinden war nicht schlechter als sonst, er schien sogar in einer ungewöhnlich guten Stimmung zu sein. Der Bericht aber, den er uns über seinen Ausflug und die Ursache zu seinem langen Ausbleiben gab, war ein ganz seltsamer.
»Sie erinnern sich«, sagte er, »daß es ungefähr neun Uhr war, als ich Charlottesville verließ. Ich wanderte sofort nach den Bergen und betrat gegen zehn Uhr eine Schlucht, die mir ganz unbekannt war. Mit großem Interesse folgte ich den Windungen dieses Engpasses. Das Landschaftsbild, das mich rings umgab, bot, wenn ich es auch nicht großartig nennen kann, doch einen unbeschreiblichen und für mich entzückenden Anblick öder Verlassenheit. Eine gänzlich unberührte Einsamkeit schien dort zu herrschen, und es überkam mich die Vorstellung, als ob der grüne Rasen und die grauen Felsen, über die ich ging, noch niemals von eines Menschen Fuß betreten worden seien. Der Eingang zur Schlucht war so völlig unzugänglich und nur durch eine Reihe von Zufällen auffindbar, daß es durchaus möglich erscheint, wenn ich mich für den ersten Wanderer – wenn ich mich wirklich für den ersten und einzigen Wanderer halte, der jemals in seine Tiefen eingedrungen ist.
Der dichte und eigentümliche Dunst oder Nebel, der den Indianersommer auszeichnet und der nun schwer über alle Gegenstände herabhing, schien zweifellos den unbestimmten Eindruck zu verstärken, den alles in mir erweckte. So dicht war dieser weiche Nebel, daß ich niemals mehr als zehn Meter von dem Weg vor mir erkennen konnte. Da dieser Weg sehr gewunden und die Sonne nicht mehr sichtbar war, verlor ich bald jedes Bewußtsein davon, in welcher Richtung ich marschierte. Dazu kam, daß das Morphium