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war so einmalig abstoßend, dass sie sich nicht im Stande sah, ihm zu folgen. Das war keine Frage von mangelndem Vertrauen. Sie konnte einfach nicht. Ganz davon abgesehen war nirgends ein Eingang in Sicht.

      »Oh nein«, hauchte Kory plötzlich und Leén fuhr zusammen und sah sich panisch in alle Richtungen um. Waren sie nun doch entdeckt worden? Sie suchte nach weiteren dieser teerartigen Wesen, die sich auf keine Gestalt festzulegen vermochten. Fast glaubte sie, bereits die dunklen Schwaden zu sehen, die sie umgaben.

      »Was ist?«, quietschte Leén, als sie keine direkte weitere Bedrohung erkennen konnte, und fragte sich, ob die Prinzessin vielleicht noch später als Leén gemerkt hatte, wohin ihr Weg sie führen würde.

      »In einer Übersetzung einer Nietali-Schrift habe ich gelesen, dass …« Sie brach ab, als Machairi ihr ins Wort fiel.

      »Die Übersetzung ist schlecht«, knurrte der Schatten. »Hätte dein Großvater nicht beschlossen, dass die Königsfamilie kein Nietali mehr lernt, hättest du das Original gelesen und wüsstest das selbst.« Der Kommentar war erstaunlich scharf, wenn man bedachte, dass Kory nichts dafür konnte. Außerdem drängte sich die Frage auf, was Nietali sein konnte. Offenbar handelte es sich um eine Sprache oder eine Schrift, aber Leén hatte noch nie davon gehört.

      »Woher weißt du das?«, fragte die Prinzessin und obwohl sie noch immer kaum Stimme hatte, klang sie nun eher skeptisch als angsterfüllt. Dass die Prinzessin von Cecilia Zugriff auf alte Schriften und Bücher hatte, konnte Leén sich vorstellen. Sie wusste sogar, dass Machairi in die Bibliotheken von Kefa eingebrochen war, um etwas über eine Person zu recherchieren. Vielleicht war er dabei auf den gleichen Text gestoßen – wobei sie auch nicht verstand, weshalb mit der Erwähnung der Sprache sofort klar war, um welchen Text es sich handelte. Woher er dann wusste, dass die Übersetzung fehlerhaft war, oder auch nur, dass der König erlassen hatte, diese Sprache nicht zu unterrichten, war dagegen unklar. Trotzdem wäre das nicht ihre erste Frage gewesen. Sie wollte viel lieber wissen, was denn überhaupt dort gestanden hatte, was die Prinzessin so erschreckt hatte.

      »Ich habe das Original gelesen.« Er war hier wirklich gesprächiger. Vielleicht wollte er sie so dazu bringen, möglichst schnell keine weiteren Fragen mehr zu stellen. Eines seiner sagenumwobenen Messer tauchte in seiner Hand auf. Er stieß es direkt in den glatten Stein. Die Frage, die eines der beiden Mädchen zweifellos als nächstes gestellt hätte, blieb ihnen im Hals stecken und sie sahen zu, wie er das Messer ruckartig nach unten zog. Wie eine so kleine Klinge in solch massiven Stein schneiden konnte, war nicht mit den Regeln einer Welt, wie sie sie kannten, erklärbar. Doch dies war schließlich nicht mehr ihr Pyria. Dies war die Unterwelt und in der Unterwelt hinterließ Machairis Messer einen Schnitt im Stein, der ebenso gut in einer Zeltplane hätte sein können. Er klaffte auf wie eine Fleischwunde und dahinter lag völlige Dunkelheit. Es erinnerte Leén an den Riss in der Felswand am Vortag, nur dass dieser tatsächlich bedrohlich war und wohl leider nicht nur von harmlosen kleinen Spinnen bewohnt wurde. Obwohl sie keine Spinnen mochte, hätte sie eine ganze Horde davon in diesem Moment vorgezogen. »Alles ist eine Lüge«, sagte der Schatten und Leén fragte sich, ob das eine Erinnerung oder eine Erklärung war.

      Fragen konnte sie nicht, denn er griff Leén und Kory je an einem Handgelenk, wie er es schon vor ihrem Sturz in die Unterwelt getan hatte, und zog sie durch den Schnitt, bevor sie ihren Unwillen auch nur äußern konnten.

      Dunkelheit umfing sie und für einen schrecklichen Augenblick fürchtete Leén, dass sie wieder fallen würden. Doch dann gewöhnten ihre Augen sich langsam an die Lichtverhältnisse (wenn man sie denn so nennen konnte) und sie konnte Umrisse erkennen. Machairi zog sie eine Treppe hinab und es war kaum möglich, die nächste Stufe zu erkennen. Sie spürte jemanden hinter sich. Das musste bedeuten, dass er Kory nicht mehr an einem Arm durch die Finsternis zog, sondern sie allein laufen durfte. Vielleicht fürchtete er, dass Leén der Dunkelheit erliegen würde, wenn er sie losließ. Tatsächlich fühlte sie die drückende Schwärze hier stärker gegen ihr naturgegebenes Licht drücken, aber wie vermutet war dieser Ort zu düster, als dass ihr Licht sich hervorgewagt hätte. Sie versuchte, gar nicht erst an die Frage zu denken, ob die Treppe erschienen war, weil er ein Loch in die Wand geschnitten hatte, oder ob er genau gewusst hatte, wo er schneiden musste, um perfekt auf die Treppe zu treffen. Endlos führten die Stufen hinab. Die Wände waren nah und Leén spürte, dass sie zu zittern begonnen hatte. Alles hier war beklemmend. Es war eng in ihrer Brust und ihr Hals war wie zugeschnürt, während sie verzweifelt versuchte, ihren Körper am Zittern zu hindern und das Klappern ihrer Zähne zu unterdrücken.

      Die Treppe nahm ein so abruptes Ende, dass Leén viel zu fest auf den Boden trat. Kurz knickte ihr Knie ein und sie stolperte, weil Machairi ihren Arm noch immer festhielt. Der Raum hatte sich geöffnet, sodass die Wände nicht länger in Reichweite waren, und man konnte etwas mehr erkennen. Die Gewölbe, die sich vor ihnen erstreckten, glichen schon viel mehr dem, was sie sich unter der Unterwelt vorgestellt hatte. Der kalte Stein bildete lange dunkle Gänge, die sich teilten und in gähnende Unendlichkeit zu erstrecken schienen, und Leén ahnte, dass es leicht war, hier verloren zu gehen. Sie mussten sich unter dem Palast befinden und wenn sie an die Größe der Stadt und der Festung dachte, würde sich dieses Labyrinth schier endlos ziehen.

      Nach einer Leidensgenossin suchend traf ihr Blick automatisch Kory. Sie war auf Machairis anderer Seite. Er hielt auch ihr Handgelenk weiter fest und ihre helle Haut war selbst in den wesentlich dunkleren Graustufen dieses Ganges bleich. Ihre Blicke trafen sich und blanke Angst stand der Prinzessin ins Gesicht geschrieben. Leider fühlte sich Leén davon nicht nur bestätigt, sondern angestachelt. Sie fühlte es also auch. Hier fühlte sie sich direkt beobachtet und bedroht und das Einzige, was zumindest einen Hauch von Sicherheit versprach, war ausgerechnet Machairis Nähe. Während sie die Angst fast wie einen Griff zu fühlen glaubte, die sich wie eine kalte Hand in ihren Nacken legte und die Kälte durch ihren ganzen Körper jagte, rückte sie näher an ihn und griff mit der freien Hand ganz freiwillig nach seinem Arm.

      Schweigend gingen sie weiter und sie starrte in die Finsternis vor sich, jeden Moment ein Ungetüm erwartend, das ihnen entgegenspringen würde, während sie die Finger in den schwarzen Stoff von Machairis Ärmel grub und sich auf Korys fast unhörbare Schritte hinter ihr konzentrierte, um sich irgendwie zu beruhigen. Sie versuchte, sich zu sagen, dass er auch in der Unterwelt unschlagbar mit einem Messer war und sie bei ihm so sicher war, wie sie eben sein konnte. Langsam löste Machairi den Griff um ihr Handgelenk und ihr vor Angst rasendes Herz geriet ins Flattern, als sich das weiche Leder des Handschuhs stattdessen richtig um ihre Hand schloss.

      Das beruhigte sie so lange, bis sie Korys Blick auf Machairis anderer Seite begegnete, die noch immer nur am Handgelenk gehalten wurde und sie peinlich berührt hoffte, dass die Prinzessin nichts von der Hand des Schattens in ihrer mitbekam. Die siedend heiße Erkenntnis traf sie einen winzigen Augenblick später: Die Gestalt hinter ihr konnte nicht Kory sein.

      Feen

      Die Welt, die sich um ihn herum erhob, war wie aus tausenden kleinen Kristallen geschaffen. Als Gwyn die Augen wieder aufschlug und sich zwischen Blumen und hohen Gräsern aufsetzte, fiel sein Blick auf diese glitzernden Gebilde, die in den Bäumen hingen. Sonnenstrahlen des ersten Tageslichts tasteten sich durch das Blätterdach und trafen auf die milchigen Konstrukte. Wie kleine Pavillons oder kunstvolle Gebäude sahen sie aus, mit glitzernden Säulen und Details, die so winzig waren, dass der beste Bildhauer sie nicht hätte kreieren können. Zehn dieser kleinen Verschnörkelungen hätten problemlos auf dem Nagel von Gwyns kleinem Finger Platz gefunden, hätte er den Frevel begangen, sie abzubrechen. Die Gebilde selbst waren alle winzig genug, dass Gwyn sie in beiden Händen hätte tragen können. Das größte glich in seinen Maßen in etwa seinem Oberkörper. Sie glitzerten in allen Farben des Regenbogens und warfen ein Lichtspiel zwischen die Bäume, in denen sie hingen wie besonders schöne Bienenstöcke.

      Noch faszinierender als die Nester waren jedoch die Wesen, die sie bewohnten. Aus allen Ecken schielten sie hervor, beäugten ihn stumm, wie er völlig baff in ihrer Mitte saß und ihre kleinen Gesichter betrachtete. Sie trugen ein menschliches Antlitz und doch

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