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Les Misérables / Die Elenden. Victor Hugo
Читать онлайн.Название Les Misérables / Die Elenden
Год выпуска 0
isbn 9783754173206
Автор произведения Victor Hugo
Жанр Языкознание
Издательство Bookwire
Also, wie sehr er auch sein Hirn zermarterte, immer starrte ihm die fürchterliche Frage entgegen, ob er im Himmel bleiben und zu den Teufeln herabsinken oder ob er in die Hölle zurückkehren und ein Engel werden wolle.
Was thun, großer Gott! Was thun?
Der Sturm in seinem Innern, aus dem er sich mit so großer Schwierigkeit gerettet hatte, raste von Neuem los. Seine Begriffe fingen an sich zu verwirren. Sein Hirn wurde dumpf und arbeitete maschinenmäßig, ein Zustand, der bei verzweifelter Gemüthsstimmung einzutreten pflegt. Der Name Romainville nebst zwei Versen eines Liedes, das er ehedem hatte singen hören, tauchte jetzt fortwährend in seinem Gehirn auf. So heißt ein Gehölz bei Paris, wo junge Liebespaare im Monat April Flieder pflücken.
Auch körperlich fühlte er sich jetzt schwach und schwankte beim Gehen, wie ein kleines Kind, das seine ersten Schritte allein macht.
Ab und zu versuchte er wohl gegen seine Ermattung anzukämpfen und die Herrschaft über seine Gedanken wiederzugewinnen. Zum letzten Male und um zu einem endgiltigen Entschlusse zu gelangen, stellte er sich die Frage, die sein Hirn abgemattet hatte: Soll ich mich ausliefern oder schweigen? Er konnte aber zu keiner Klarheit gelangen. Die Ergebnisse seines mühevollen Nachdenkens verloren alle scharfen Umrisse und verflogen in das Nichts, Nur so viel wurde ihm klar: Wie er sich auch entscheiden würde, ein Theil seines Ichs mußte nothgedrungen und unabwendbarer Weise sterben; in ein Grab stieg er immer, ob er sich nach rechts oder nach links wandte; es war mit seinem Glück oder mit seiner Tugend zu Ende,
Ach! die Unschlüssigkeit war wieder da. Er war nicht weiter, als zu Anfang,
So qualvoll rang der Unglückliche mit seinen Zweifeln. Achtzehnhundert Jahre vor ihm hatte in derselben Weise, das geheimnisvolle Wesen, in dem sich alle Tugenden und alle Leiden der Menschheit konzentrirten, umrauscht von den Oelbäumen Gethsemanes lange den Kelch von sich gewiesen, auf dessen Grund sein Auge die dichte Finsterniß der Hölle und das heitere Licht des Himmels schaute.
IV. Die Form, die Seelenqualen während des Schlafes annehmen
Drei Uhr hatte es so eben geschlagen und fünf Stunden lang wandelte er nun schon, fast ununterbrochen, in dem Zimmer auf und nieder, als er endlich auf seinen Stuhl sank und einschlief.
Da hatte er einen Traum, der wie die meisten Träume mit der gegenwärtigen Lage nur eine ganz lose, aber beängstigende Beziehung hatte, aber er machte Eindruck auf ihn, so daß er ihn niederschrieb. Diese Erzählung ist unter seinen andern Papieren aufgefunden worden, und wir halten es der Mühe wert, ihn hier wörtlich wiederzugeben.
Wie man auch über diesen Traum denken möge, – die Geschichte dieser Nacht würde unvollständig bleiben, wollten wir ihn mit Stillschweigen übergehen. Es ist ein düstres Erlebnis eines kranken Gemüths.
Auf dem Umschlag, in dem sich das betreffende Papier befindet, lesen wir die Worte: Der Traum, den ich in jener Nacht gehabt habe.
Die Erzählung lautet folgendermaßen:
»Ich war auf einem großen Felde, einer Einöde, in der kein Gras wuchs. Es sah weder aus, ob Tag, noch ob Nacht wäre.
Ich machte einen Spaziergang mit meinem Bruder, dem Bruder meiner Kindheit, an den ich – wohl bemerkt – nie denke, und auf den ich mich nicht mehr recht besinnen kann.
Wir plauderten und begegneten Leuten. Wir sprachen von einer Frau, die in dem Hause nebenan wohnte und bei offnem Fenster zu arbeiten pflegte. Während des Gesprächs fror uns, weil das Fenster offen stand.
Auf dem Felde wuchsen keine Bäume.
Da sahen wir einen Mann, der an uns vorbeikam. Er war ganz nackt, aschfarben und ritt auf einem erdfahlen Rosse. Er hatte keine Haare und man konnte seinen Schädel so wie die Adern darauf sehen. In der Hand hielt er eine Ruthe, die biegsam war wie eine Weinranke und schwer wie Eisen. Er ritt vorüber und sprach nicht zu uns.
Da sagte mein Bruder: »Wir wollen durch den Hohlweg gehen.«
In dem Hohlweg sah man keinen Strauch, kein Moos. Alles war erdfarben, sogar der Himmel. Als ich einige Schritte gegangen war, bekam ich keine Antwort mehr, wenn ich sprach. Da bemerkte ich, daß mein Bruder nicht mehr bei mir war.
Ich ging in ein Dorf, das ich sah. Ich dachte mir, es müßte Romainville sein. (Warum Romainville?) Diese Parenthese ist von Jean Valjeans Hand.
Die erste Straße war menschenleer. Ich kam in die zweite. Da stand dicht an der, von der ersten und dieser Straße gebildeten Ecke ein Mann an die Mauer gelehnt. Diesen Mann fragte ich: Was ist das für ein Ort? Wo bin ich? Aber er antwortete nicht.
Da sah ich eine offene Hausthür und ging hinein.
Das erste Zimmer war leer. Ich trat in das zweite. Hinter der Thür dieses Zimmers stand ein Mann an die Wand gelehnt. Diesen Mann fragte ich: Wem gehört dieses Haus? Wo bin ich? Er antwortete nicht.
Das Haus hatte einen Garten. Ich ging aus dem Hause hinaus und in den Garten hinein. Hinter dem ersten Baum stand ein Mann. Diesen fragte ich: Was ist das für ein Garten? Wo bin ich? Er antwortete nicht.
Ich irrte in dem Dorf herum und bemerkte, daß es eine Stadt war. Alle Straßen waren menschenleer, alle Thüren standen offen. Kein lebendes Wesen ging auf der Straße, in den Zimmern, in den Gärten. Aber hinter jeder Straßenecke, hinter jeder Thür, hinter jedem Baum stand ein Mann, der still schwieg. Man sah immer nur je einen. Diese Leute sahen mich an, wenn ich an ihnen vorüberging.
Nun ging ich zur Stadt hinaus und marschirte querfeldein.
Nach einer Weile wendete ich mich um und erblickte eine große Menge Menschen, die hinter mir gingen. Ich erkannte in ihnen die Leute, die ich in der Stadt gesehen hatte. Sie hatten sonderbare Gesichter. Es hatte nicht den Anschein, als beeilten sie sich und dennoch kamen sie rascher vorwärts, als ich. Sie machten kein Geräusch beim Gehen. Im Nu holte mich diese Menschenmenge ein und umringte mich. Die Gesichter dieser Leute waren erdfahl.
Da sprach der erste, den ich in der Stadt gesehen und gefragt hatte, zu mir: Wo gehst Du hin? Weißt Du nicht, daß Du schon lange tot bist?
Ich that den Mund auf, ihm zu antworten und bemerkte, daß Niemand mehr da war.«
Er wachte auf. Ihm war eisig kalt. Der Morgenwind bewegte die Fensterflügel, die offen geblieben waren. Das Kaminfeuer war ausgegangen, das Stearinlicht dem Erlöschen nahe. Noch herrschte finstere Nacht.
Er stand auf und trat an das Fenster. Auch jetzt noch stand kein Stern am Himmel.
Von seinem Fenster aus konnte man den Hof und die Straße überblicken. Plötzlich veranlaßte ihn ein scharfes und knappes Geräusch, das sich unten vernehmen ließ, die Augen niederzusenken.
Er sah unter sich zwei rothe Sterne, deren Strahlen in der Dunkelheit seltsam hin und her zuckten.
Da sein Gehirn noch halb von Traumnebeln umfangen war, kam er auf den sonderbaren Einfall: »Es stehen keine Sterne am Himmel, dafür sind aber jetzt welche auf der Erde.«
Indessen kehrte jetzt sein Bewußtsein völlig zurück, er sah wieder hin und bemerkte, daß die beiden Sterne die Laternen eines Wagens waren. Bei der Helle, die sie um sich verbreiteten, konnte er die Form des Gefährts erkennen. Es war ein Tilbury,