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      Sie lachte wild auf und sagte zu ihrer alten Nachbarin: »Die sind gut! Vierzig Franken! Weiter nichts! Zwei Napoleond'or! Wo soll ich die denn hernehmen? Nein, was diese Bauern dumm sind!«

      Indessen ging sie auf die Treppe, an eine Luke, und las den Brief noch einmal über.

      Dann eilte sie die Treppe hinunter und lief springend, tanzend und immerzu lachend die Straße entlang.

      Ein Bekannter begegnete ihr und fragte sie: »Was ist Ihnen denn passirt, daß Sie so vergnügt sind?«

      Sie antwortete: »Ich lache über einen dummen Brief, den mir Leute vom Lande geschrieben haben. Denken Sie, die Schafsköpfe von Bauern wollen vierzig Franken von mir haben!«

      Als sie über den Platz ging, sah sie eine große Menschenmenge um einen auffallenden Reklamewagen, auf dem ein roth gekleideter Mann stand und eine Rede hielt. Es war ein Quacksalber, der dem Publikum Gebisse, Opiate, Pulver und Elixire zum Kauf anbot.

      Fantine mischte sich unter die Menge und lachte wie die Andern über den Redner, der, um dem Pöbel sowohl, wie den Gebildeten unter seinen Zuhörern gerecht zu werden, kunstvoll die kanaillösesten Ausdrücke mit großartig wissenschaftlichem Quatsch durch einander mengte. Der Zahnausreißer bemerkte sie bald mit seinen geübten Augen und rief ihr zu: »Sie da, Sie hübsche Kleine, wenn Sie mir Ihre zwei obern Schneidezähne verkaufen wollen, gebe ich Ihnen einen Napoleond'or für jeden.«

      »Pfui, wie abscheulich!« rief Fantine.

      »Zwei Napoleond'or!« brummte eine zahnlose Alte neben ihr. »Hat die ein Glück!«

      Fantine lief davon und hielt sich beide Ohren zu, um nicht die heisre Stimme des Quacksalbers zu hören, der ihr nachschrie: »Ueberlegen Sie Sich die Sache, schöne Kleine! Zwei Napoleond'or sind nicht zu verachten. Wenn Ihnen mein Vorschlag zusagt, so kommen Sie heute Abend in die Herberge zum silbernen Schiff.«

      Fantine rannte nach Hause und erzählte wüthend ihrer Nachbarin, was ihr passirt war. – »Was sagen Sie dazu? Ist so was nicht scheußlich? Wie kann blos die Obrigkeit solche Leute im Lande herumziehen lassen? Meine Vorderzähne ausziehen! Wie würde ich dann aussehen? Haare wachsen wieder, aber Zähne –! Solch ein Scheusal von Mensch! Da würde ich mich lieber fünf Stock hoch aus einem Fenster kopfüber auf das Pflaster stürzen. Heute Abend, sagte er, würde er in der Herberge zum silbernen Schiff zu treffen sein.«

      »Wieviel hat er Ihnen denn geboten?« fragte Margarete.

      »Zwei Napoleond'or.«

      »Das macht vierzig Franken.«

      »Jawohl, vierzig Franken.«

      Sie wurde nachdenklich, und machte sich an ihre Arbeit. Nach Verlauf einer Viertelstunde, stand sie auf und las den Brief der Thénardiers noch einmal auf der Treppe.

      Als sie zurückkam, fragte sie Margarete, die neben ihr arbeitete:

      »Was ist denn das, ein Frieselfieber? Wissen Sie's?«

      »O ja! Eine Krankheit.«

      »Da braucht man viel Arznei?«

      »Gehörig viel!«

      »Wo kommt denn das her?«

      »Es ist eine Krankheit, die man so unversehens kriegt.«

      »Das kriegen also die Kinder?«

      »Besonders die Kinder!«

      »Kann ein Kranker daran sterben?«

      »O, ganz gut!« meinte Margarete.

      Fantine stand auf und las den Brief noch einmal auf der Treppe.

      Am Abend ging sie aus dem Hause und lenkte ihre Schritte der Pariser Straße zu, wo die Herbergen liegen.

      Und als am nächsten Morgen Margarete vor Tagesanbruch – denn sie arbeiteten immer zusammen, um ein Talglicht zu ersparen – sich in Fantinens Zimmer einfand, saß Fantine bleich und halb erfroren auf ihrem Bett. Sie hatte sich nicht schlafen gelegt. Ihre Haube war auf ihre Kniee herabgefallen. Das Licht hatte die ganze Nacht gebrannt, und es war nur noch ein Stümpfchen davon übrig.

      Margarete blieb halb versteinert vor Schrecken über die großartige Verschwendung und rief.

      »Herr des Himmels! das Licht ist ja niedergebrannt! Was ist denn hier passirt?«

      Dann blickt sie Fantine an, die ihren kurzhaarigen Kopf ihr zugewendet hielt. Die Unglückliche sah zehn Jahre älter aus, als den Tag zuvor.

      »Herr, erbarme dich!« rief Margarete. »Was fehlt Ihnen, Fantine?«

      »Nichts. Im Gegenteil. Mir ist wohl zu Muthe. Meine Cosette wird nicht aus Mangel an Arznei an der abscheulichen Krankheit sterben.«

      Bei diesen Worten zeigte sie ihrer Freundin zwei Napoleond'or, die auf dem Tische lagen.

      »Gott des Erbarmens! Das ist ja ein ganzes Vermögen? Wo haben Sie denn die Goldstücke her?«

      »Ich habe sie bekommen,« antwortete Fantine.

      Bei diesen Worten lächelte sie, ein blutiges Lächeln. Denn die Mundwinkel waren mit röthlichem Speichel benetzt, und in ihrem Oberkiefer sah man eine schwarze Lücke.

      Die beiden Oberzähne waren ausgezogen.

      Sie schickte die vierzig Franken nach Montfermeil. Im Uebrigen aber war Cosette nicht krank, und die Thénardiers hatten den Kniff gebraucht, um sich Geld zu verschaffen.

      Alsdann warf Fantine ihren Spiegel zum Fenster hinaus. Aus ihrem Zimmerchen in einem zweiten Stock hatte sie sich schon längst in eine Dachstube geflüchtet, deren Fußboden mit der Decke in einem spitzen Winkel zusammengrenzte, und wo sie sich alle Augenblicke den Kopf stieß. Eine Bettstelle hatte sie nicht mehr, es war ihr nur ein großer Lumpen geblieben, den sie ihre Decke betitelte, ferner eine Matratze, die auf der bloßen Erde lag, und ein Stuhl, dessen Strohsitz entzwei war. In einer Ecke stand. noch ein Blumentopf, aber der Rosenstrauch darin war verdorrt. In einer andern Ecke sah man auch einen als Wasserbehälter benutzten Buttertopf, an dessen Innenfläche sich verschiedene Eisringe gebildet hatten. Hatte sie schon längst alle Scham verloren, so verlernte sie jetzt, auch auf ihr Aeußeres etwas zu geben und sank bald zur Schlumpe herab. Sie trug auf der Straße schmutzige Hauben, besserte aus Mangel an Zeit oder aus Gleichgiltigkeit ihre Wäsche nicht mehr aus, flickte ihr altes, abgenutztes Corset mit Kattunlappen, die bei jeder Bewegung wieder abrissen. Ihre Gläubiger bereiteten ihr öffentliche Auftritte und drangsalirten sie auf jede Weise. Sie lauerten ihr auf der Straße, auf der Treppe auf. Sie weinte und grübelte ganze Nächte hindurch. Ihre Augen glänzten grell und immer greller, und oben am linken Schulterblatt meldeten sich Schmerzen, die nicht weggehen wollten. Auch hustete sie immer stark. Sie arbeitete siebzehn Stunden jeden Tag, aber ein Unternehmer, der über billige Gefängnißarbeit verfügte, machte den andern Fabrikanten so starke Konkurrenz, daß der Arbeitslohn auf neun Sous herunterging. Neun Sous für siebzehn Stunden Arbeit! Nun peinigten sie ihre Gläubiger nur noch erbarmungsloser. Der Trödler namentlich, der ihr fast alle Möbel wieder abgenommen, zeterte fortwährend: »Wann wirst Du mich bezahlen. Du Kanaille, Du?« Was wollten sie denn eigentlich von ihr? So verängstigt wurde sie, daß sie in ihrem Wesen einem gehetzten Wild zu gleichen begann. Schließlich kündete ihr der schuftige Thénardier an, er habe in seiner Gutmüthigkeit nun wirklich zu lange gewartet, und sie müsse ihm umgehend hundert Franken schicken; sonst würde er Cosette, so schwach sie noch von ihrer Krankheit wäre, auf die Straße setzen und würde sich nicht daran kehren, was bei der Kälte aus ihr werden würde: seinetwegen könne sie krepiren, – »Hundert Franken!« dachte Fantine. »Wie macht man's denn, wenn man hundert Sous täglich verdienen will?«

      »Nun, dann muß ich das Einzige verkaufen, was mir noch übrig bleibt.«

      Und die Unglückliche warf sich der Prostitution in die Arme.

      XI. »Christus hat uns befreit.«

      Was lehrt uns Fantinens Lebensgeschichte? Wie die Gesellschaft sich

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