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ertappe mich dabei, wie ich auf das wärmer werdende Bier in meiner Hand starre. Den Bruchteil einer Sekunde lang scheint mir die Erinnerung wirklicher als dieser Augenblick.

      Ein riesiger SUV fährt jetzt auf den Parkplatz des Cortijos. Ein älterer Mann steigt umständlich aus, geht um den Wagen herum und hält einer etwas jüngeren Frau die Tür auf. Der Mann trägt eine grüne Kappe und auch sonst ist alles, was er trägt, grün. Nur die Stiefel glänzen braun und teuer. Die Frau ist ähnlich gekleidet. Ihr fliegt der Rock um die Beine. Sie versucht, ihn würdevoll unten zu halten. Beide sehen aus, als seien sie der Zeitschrift „Town & Country“ entsprungen. Sie gehen an mir vorbei und nicken. Ich nicke zurück. Das Bier schmeckt lasch. Ich trinke es in einem langen Schluck aus und beschließe, mir noch eins zu holen.

      Einmal hat Claudia mir gesagt, dass es nichts Schöneres gibt als den ersten Schluck Bier. Wir haben dann gleich eine Liste über wunderbare Nebensächlichkeiten aufgestellt. Ich glaube, wir kannten uns noch nicht lange, es muss also irgendwo in Hamburg gewesen sein. Ich weiß es nicht mehr. Und die Liste? Regen gehörte dazu. Regen, der an einem dunklen Herbsttag gegen ein Fenster prasselt.

      Mit nackten Füßen an einem sehr heißen Tag über kühle Fliesen laufen.

      Der Geruch von Zuhause. Der Augenblick, wo man die Tür öffnet, vielleicht nachdem man ein paar Tage nicht da gewesen ist. Es riecht nach Leere, die einen Willkommen heißt. Nach Staub und Nacht und Stille und irgendwie nach einem selbst. Claudia hörte gar nicht mehr auf, mir solche Glücksmomente zu beschreiben.

      Wo waren wir nur gewesen?

      Mein drittes Bier perlt ganz vorzüglich.

      Ich denke an Rodrigo, der jetzt irgendwie mein Freund ist.

      Claudia und ich haben ihn und seine französische Frau Natalie in McAllen kennengelernt. Sie besuchten unsere Galerie, in der Claudia einige Bilder von sich ausstellte. Ich war damals sehr stolz. Die Bilder waren wirklich beeindruckend, keine Großformate, handlich, und sie verkauften sich gut. Besonders die Rentner aus New Jersey oder Cleveland, die hier überwinterten, fanden Gefallen daran. Claudia hatte eine Phase. Sie sammelte Navajo-Schmuck, den wir in Arizona aufstöberten, besonders die silbernen Ketten mit den Türkis-Einlagen. Die malte sie dann ganz in der amerikanischen Tradition des Fotorealismus ab und ließ sie aus einem eher verwaschenen Aquarellhintergrund hervorstechen. Ganz so, als hätte Georgia O‘Keefe eine superklare Einsicht gehabt, sagte Claudia.

      Sie waren wirklich ein auffallendes Paar. Er groß gewachsen, elegant. Und dunkel war nicht nur seine Hautfarbe, sondern seine Ausstrahlung. Claudia mochte das natürlich sofort. Natalie war wunderhübsch, selbstbewusst, mit einem dieser makellos-ovalen Gesichter und einem Mund, der dafür geschaffen war, Worte wie tutu, fou oder ennui auszusprechen. Sie interessierten sich sofort für Claudias Arbeit. Besonders Natalie betrachtete die Bilder eingehend. Nicht in dieser blasierten Art sogenannter Kenner. Sie sagte auch nicht: Die sind aber hübsch. Sie traf Claudias Nerv. Sie mochte wirklich, was sie da sah.

      „Sie ist eine der wenigen, die sich selbst vollkommen aus meinem Werk herausgehalten hat“, sagte Claudia später zu mir. „Verstehst du das?“

      Vielleicht verstehe ich es jetzt. Vielleicht gelingt es mir auch langsam, mich ohne den Filter meiner eigenen Befindlichkeit einzulassen. Claudia war da schon weiter und Natalie offensichtlich auch. Und Rodrigo? Was war mein erster Eindruck?

      Ich glaube, ich wollte vom ersten Augenblick an von ihm anerkannt werden. Er sagte nicht viel. Ich umso mehr, und ich ertappte mich in den ersten Wochen unserer Bekanntschaft dabei, wie ich mich manchmal in Argumentationen verrannte und vergeblich auf ein Zeichen von ihm wartete, auf ein Nicken, eine Aufmunterung. Vergebens. Sein seltenes Lächeln galt nur Natalie. Und Claudia. Es war immer so, als wären die beiden Wasser und er eine vertrocknete Topfblume.

      Was für eine Rolle ich da spielte, ist mir unklar geblieben. Vielleicht waren Natalie und Rodrigo genau das, was ich brauchte. Vielleicht waren sie sogar der geeignete Nährboden für meine Verzweiflung. Vielleicht möchte ich das auch gar nicht mehr so genau wissen.

      Abends sitzen wir bei Paco in der Pizzeria. Draußen tobt der Levante unvermindert weiter, und die Tische auf der Terrasse werden wohl trotz Windschutz schwer zu besetzen sein. Es ist noch früh.

      „Ich war heute in diesem Restaurant, weißt du, in Cabo Roche, und habe dort ein paar Bierchen getrunken.“

      „So, so“, sagte Adriana.

      „Ich bin vom Leuchtturm aus dorthin gelaufen.“

      „Wirklich? Wie lang hat das denn gedauert?“

      „Fast eine Stunde. War etwas anstrengend, bei dem Wind.“

      Wir schweigen eine Weile. Ich halte mein Weinglas gegen das letzte Licht des Tages. Ein Barolo. Rubinrot. Ölig. Ich kippe das Glas ein wenig, lasse den Wein kreisen. Atme den Duft ein. Trüffel. Sandelholz. Ein Hauch Himbeere. Mir ist bewusst, dass mich Adriana mit einem spöttischen Zug um den Mund unverwandt anschaut. Ich weiß auch, dass sie meine Darstellung einer Weinprobe nur bedingt lustig findet. Aber ich stecke fest. Mir ist nicht ganz klar, was ich ihr eigentlich erzählen will. Oder genauer: Ich möchte nicht unmittelbar mit meinen Gedanken und Gefühlen herausplatzen. Also nehme ich einen kleinen Schluck Wein, lasse ihn über die Zunge laufen. Ziehe geräuschvoll Luft über den Gaumen. Lege den Kopf nach hinten, schließe die Augen und konzentriere mich auf den Abgang.

      Adriana applaudiert.

      „Toll“, sagt sie.

      „Ja, nicht wahr“, sage ich.

      „Überzeugend.“

      „Auch das Schlürfen?“

      „Ganz besonders das Schlürfen. Es unterstreicht elegant deine offensichtliche Weinkompetenz.“

      „Ich würde also in einer Runde arroganter Arschlöcher nicht unangenehm auffallen?“

      „Im Gegenteil“, sagt sie und lacht.

      Das ist Adriana. Wir können spielen. Und keinen Augenblick zweifle ich daran, dass sie mich durchschaut.

      „Ich habe viel nachgedacht bei dem Spaziergang“, sage ich.

      „Ich weiß“, sagt sie.

      Das Restaurant ist halb voll. Es riecht, wie es beim Italiener riecht. Nach Brot, Tomate, nach Oregano und Ofen. Das ist überall so.

      Paco kommt an unseren Tisch, um die Bestellung aufzunehmen. Er strahlt Energie und gute Laune aus. Aber ich kenne ihn.

      „Wie läuft es?“

      „Ihr seht es ja selbst“, sagt er. „Die Saison wird immer kürzer. Es sind nur noch sechs gute Wochen. Mitte Juli bis Ende August. Früher war der September sicher, und jetzt? Ein paar übrig gebliebene Madrileños. Dann Rentner, für die eine Pizza ein exotisches Gericht ist, von dem man besser die Finger lässt. Und dann noch dieser verdammte Wind.“

      Uns fällt keine geeignete Antwort ein.

      „Aber egal. Was wollt ihr essen?“, fragt Paco

      „Was auch immer du willst“, sagt Adriana.

      „Wie wäre das als Vorspeise: eine mit Zwiebeln in Olivenöl kurz angebratene Pancetta auf lauwarmem Chicorée und reduziertem Balsamico.“

      „Mmhh“, sagt Adriana.

      „Und als Hauptspeise?“, frage ich.

      „Ich habe wunderbar frischen Seeteufel in einer Kapern- und Senfsauce, auf meiner selbst gemachten Tagliatelle.“

      „Wir möchten zwei Pizza Salami“, sage ich.

      „Im Ernst?“

      „Hör nicht auf ihn“, sagt Adriana. „Er ist ein Idiot.“

      Pacos „El Viandante“ liegt direkt an der Einfahrt zum Dorf. Die Straße führt über eine schlichte Betonbrücke und durchquert nach etwa fünfzig Metern eine Art kleine Plaza, von der sternförmig Gassen und Fußgängerwege

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