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Gewissenhaftigkeit durchzusetzen, wie ein Restaurator ein seltenes Meisterwerk zu erhalten sucht, in dem unbeirrbaren Glauben, etwas damit in der Gesellschaft zu bewirken. Das hatte sich bereits in der Stadt herumgesprochen.

      „Nun, Signora Della Porta, ich sagte es gäbe noch eine weitere Möglichkeit, die organisierte Kriminalität. Als Zivilrechtler glaube ich allerdings nicht, dass ein wütender Mandant ihn niedergestreckt hat. Also bliebe noch diese Spur.“

      Donna Leandra tauschte einen Blick mit ihrer Tochter.

      „Commissario, mein Mann war ein anständiger Mensch, er hat das Verbrechen bekämpft, so wie sie es tun, nur auf seine Weise. Er machte es zu seiner Mission, diesen paradiesischen Ort von dem Geschwür der organisierten Kriminalität zu befreien. Er ist ein Märtyrer, Commissario, der seine Aufrichtigkeit mit dem Leben bezahlt hat.“

      Caterina war kurz davor, die Geduld zu verlieren. Klar, wie konnte sie nur das Andenken dieses absolut ehrenwerten Mannes mit Dreck bewerfen!

      „Natürlich, Signora Della Porta. Bliebe noch das politische Motiv. Vielleicht war ihr Mann nicht bereit, Kompromisse einzugehen. Jetzt, wo er seinen persönlichen politischen Zenit erreicht hatte... Wir wissen beide, dass nicht das höchste Amt die wahre Macht besitzt, sondern man als Vorsitzender des Kommunalrats über mehr Einfluss verfügt als ein Bürgermeister.“

      Caterina tappte jetzt nervös mit der Fußspitze auf dem Boden. Sie wusste nun, dass Donna Leandra ohne Anwalt keinen Ton mehr dazu herausbrachte und wendete sich ab.

      Das war Tommys Stichwort, um einzugreifen.

      „Signora Della Porta, mit Schweigen kommen wir hier auch nicht weiter. Niemand wird ohne Grund so brutal umgebracht.“ Seine Stimme wurde eindringlich und laut.

      Sie presste die Lippen zusammen.

      „Also gut, dann fangen wir eben damit an, die gesamte Rubrik der Damen abzuarbeiten, das kann Monate dauern. Bis dahin ist der Täter über alle Berge. Aber wenn Sie nicht kooperieren wollen...“ Tommy, dessen Geduldsfaden ebenfalls zeriss, hob resigniert die Schulter.

      Hilfesuchend sah Donna Leandra zu ihrem Sohn, der bisher stumm in der hinteren Ecke des Büros gestanden hatte, mit erstaunlich klarem Blick und einer Glut darin. Er ergriff das Wort.

      „Ein Ehrenmord, natürlich.“ Er schüttelte den Kopf, wobei seine braunen Locken wie tosende Wellen in das kindliche Gesicht peitschten.

      „Das ist doch die beste Lösung für alle“, sagte er zynisch. „Der wahre Täter, sei es die Mafia oder sonst wer, hat das Hindernis aus dem Weg geräumt und wird noch nicht einmal verdächtigt. Die Polizei löst den Fall schnell, ohne die eh schon knappen Ressourcen für aufwendige Ermittlungen zu verschwenden. Sie, Commissario, meistern mit Bravour ihren Einstand, die Presse hat ein gefundenes Fressen für ihre Klatschspalten. Die Männer werden meinen Vater als feurigen Liebhaber feiern, die Frauen meine Mutter – die arme, betrogene Witwe - solidarisch bemitleiden und alle sind bedient. Perfekt!

      Es gibt nur ein Problem bei der ganzen Sache: Ihre Hybris! So werden Sie den Mörder nie finden. Ja, mein Vater war ein Mann seiner Zeit, seine Kontakte bezeugen die Existenz eines überspannten Egos. Ich lasse es auf gar keinen Fall zu, dass Sie ihn auf den Altar der Scheinheiligkeit opfern, um sich im leichten Triumph zu sonnen. Wer könnte ein Motiv haben? Hunderte. Gewerkschaften, Steuerhinterzieher, politische Gegner, Kriminelle, Verrückte und von mir aus auch gehörnte Ehemänner. Finden Sie die Wahrheit heraus, Commissario!“

      Caterina Calanca war nun klar, dass sie etwas wussten. Warum schwiegen sie dann?

      Stille breitete sich in Caterinas Büro aus. In diese brennende Lautlosigkeit wurde die Tür aufgestoßen und Ugo trat mit der Assistentin des Opfers ein, die er vom Rathaus hierher begleitet hatte. Bösartige Blicke zwischen ihr und der trauernden Witwe ließen darauf schließen, dass auch sie zum Harem des Ermordeten gehört hatte.

      „Ispettore, bitte bringen Sie die Dame in den Befragungsraum, ich komme sobald ich hier fertig bin“, sagte Caterina scharf, und Ugo schaute peinlich berührt. Schon wieder ein Patzer.

      Das war der Moment in dem Donna Leandra die Fassung verlor, aufstand, auf ihren Sohn zuging und ihn auf die Wange küsste, gleich drei-, vier-, fünfmal. Sohn und Mutter verließen zusammen das Büro. Als die Tür ins Schloss fiel, schmetterte Caterina den Kugelschreiber auf den Boden. „Das lief ja wirklich beschissen!“

      Der Verhörraum, in dem die Assistentin des getöteten Politikers wartete, lag am anderen Ende des Gangs, den Caterina und Tommy entlangschritten.

      „Solche Leute führen sich immer noch auf als wären sie feudale Großgrundbesitzer“, sagte Tommy und zwinkerte Caterina zu. Ihre wütenden Schritte wurden von einem Beamten der Spurensicherung gebremst.

      „Commissario, uns ist etwas aufgefallen. In dem Handy war auch die Nummer der Bellacqua. Wir fanden es seltsam, da sie doch erst vor zwei Tagen Selbstmord beging. Vielleicht besteht ein Zusammenhang.“

      „Danke, gute Arbeit“, antwortete Caterina. „Findet bitte heraus, ob es auffällige Anrufe oder Nachrichten in letzter Zeit gab. Aber nicht nur von ihr. Auch von anderen Personen. Ruft den Staatsanwalt an, vielleicht wurde er überwacht.“

      Kaltes Neonlicht durchflutete den zehn Quadratmeter kleinen Verhörraum, im Kommissariat „Aquarium“ genannt, welcher spärlich mit einem Tisch, zwei Stühlen, schalldichten Wänden und einer Kamera ausgestattet war. Zusammengekauert saß auf einem der Stühle gegenüber der grauen Wand die adrette Assistentin des Della Porta in ihrem blauen Kostüm, die Hände übereinandergelegt, die von nervösen roten Flecken überzogen waren.

      Aber aus der zarten, mädchenhaften Frau war auch nicht viel herauszubekommen. Mit dem eingebrannten Schock in den Augen stammelte sie von einer Maske voller Blut, deren Anblick sie nicht länger ertragen konnte und sich deshalb im Büro des Chefs verbarrikadiert hatte, bis Ispettore Ugo Grillo gekommen war und sie aufforderte ins Präsidium für eine Zeugenaussage zu kommen.

      Nichts von „delikaten“ Unterlagen, die sie in Sicherheit gebracht hatte. Mit gefalteten Händen saß sie da, wie eine Klosterschülerin, bereit, ihre Pflicht zu tun, bereit, die Fragen der Kommissarin zu beantworten. Was wusste die schon.

      „Hatte sich Amerigo Della Porta in letzter Zeit verändert, war er nervös, besorgt, fühlte er sich verfolgt, bedroht oder Ähnliches?“

      Die Assistentin starrte auf den leeren Tisch, Tränen lösten die schwarze Tusche von den Wimpern.

      „Aber nein, er war wie immer. Voller Elan und Lebensfreude.“

      „Ihnen ist also nichts aufgefallen. Irgendwelche seltsamen Anrufe, Briefe, Nachrichten?“

      Sie schüttelte stumm den Kopf und strich sich mit der linken Hand die langen Haare hinters Ohr.

      „Wie war es, für ihn zu arbeiten? Schon erstaunlich, so jung, gerade mal zweiundzwanzig Jahre, kaum Erfahrung und gleich den ersten Job in so einer Position. Ich dachte immer als Assistentin eines Spitzenpolitikers bräuchte man eine gewisse, na ja, Erfahrung.“

      „Nun –“ Sie räusperte sich in ihre Faust, die sie vor den Mund hielt. „Ich gebe zu, dass alles sehr schnell ging, aber Onorevole Della Porta förderte junge Talente.“

      Ihre Stimme hatte einen piepsigen Unterton, der immer stärker hervorstechen schien, je unangenehmer ihr die Fragen wurden. Dabei wuchsen ihre Rehaugen zu großen unschuldigen Kugeln heran. Caterina schmunzelte.

      „Hatten Sie eine Affäre mit Amerigo Della Porta?“ Als sie das theatralisch entsetzte Gesicht der Assistentin sah, fügte sie hinzu: „Entschuldigen Sie, aber ich muss Ihnen diese Frage stellen.“

      „Ich finde das sind genug Fragen, Commissario. Mit Ihrer Erlaubnis, würde ich gerne gehen.”

      „Natürlich. Aber hatten Sie eine Affäre oder nicht?”

      Die Lippen der Assistentin zuckten nervös, sie erblasste. „Ich bin verlobt Commissario.”

      Als ob das ein Hindernis wäre, dachte Caterina.

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