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hatte schon gefrühstückt, als Kersten an diesem Samstag nur unfreiwillig aus den Federn kam. Jegliche Bestrebungen für ein alltagstaugliches Konzept auf Augenhöhe verliefen an diesem Samstag morgen regelrecht ins Leere. Zu sehr war sie damit beschäftigt, die Sorgen und Nöte ihres Mannes zu verstehen, der sich um eine Aussprache drückte. Aber noch nie hatte sie Kersten in so einem jämmerlichen und erbärmlichen Zustand gesehen, wie das an diesem Tag der Fall war. Es musste etwas Schreckliches passiert sein, anders konnte sie sich das nicht erklären.

      Die Verwunderung über den Kreditausfall der Bank und den einhergehenden illegalen Transfers an Domizilgesellschaften mit Sitz in Singapur und auf den Bahamas beschäftigten Kersten so sehr, dass er darüber hinaus völlig vergaß, dass Charlotte Geburtstag hatte. Wie immer an so einem bemerkenswerten Tag, brachte er ihr einen bunt geschmückten Blumenstrauß und ein liebevolles Präsent mit. Aber durch die Turbolenzen der vergangenen Tage verlor er jegliche Kontrolle über sich selbst und das Zugehörigkeitsgefühl zur Fürsorglichkeit. Es war ihm offensichtlich peinlich genug, nun ohne Geschenk und einem Blumenstrauß dazustehen. Unter einem Vorwand schlich er sich daher unbemerkt aus dem Haus und kaufte bei einem Blumenhändler um die Ecke einen großen roten Rosenstrauß, deren markante Blütenkelche sich noch in einem unverkennbaren naturbelassenen Zustand befanden. Die aufkommende Freude darüber, dass Kersten doch noch an sie gedacht hatte, löste die angespannte Stimmungslage auf. Charlotte steckte die Rosen in eine mit Wasser befüllte Vase aus Bleikristall und stellte sie auf den Wohnzimmertisch. Während sich Kersten für seine Nachlässigkeit kurz entschuldigte, war man sich rasch einig darüber, den Tag über im Palmengarten Frankfurts zu verbringen. Von der üppigen Blumenvielfalt und der Pflanzenpracht im Botanischen Garten war besonders Charlotte angetan, denn sie war überwältigt von dieser naturwüchsigen Vegetation, die anderenorts als eine Oase der Stille in der pulsierenden Großstadt galt. Gedanklich dachte sie in dem Augenblick daran, wann sie das letzte Mal mit Kersten verreist war.

      >>Wie wäre es wieder einmal, mit einem Urlaub in einem exotischem Land?<<.

      >>Darüber sprechen wir erst dann, wenn wir die laufenden Kreditzahlungen für das Appartement getilgt haben<<, entgegnete Kersten lapidar.

      >>Aber du kannst es dir doch leisten, bei deinem Gehalt. Außerdem kann ich von meinen Ersparnissen noch was drauflegen<<.

      >>Charlotte, es ist mir nicht einerlei dir sagen zu müssen, dass die Bank derzeit in großen Schwierigkeiten steckt<<.

      >>Wieso?<<, wollte Charlotte wissen.

      >>Liebling, ich möchte und darf dir das eigentlich nicht erzählen<<.

      >>Das verstehe ich nicht, und was für Schwierigkeiten sind das?<<.

      >>Hör zu, die Bank akquirierte Aktienanleihen in Höhe eines fast neunstelligen Euro Betrages, die aber heute nur noch ein Bruchteil dessen an Wert besitzen, was ursprünglich der Fall war. Diese Aktienanleihen waren in ihrem Gesamtpaket nicht ausreichend gedeckt. Somit kam es zu einem Kreditausfall, weshalb die Bank momentan in erheblichen Schwierigkeiten steckt<<.

      >>Heißt das nun, dass die Kunden in Zukunft um ihre Geldeinlagen bangen müssen?<<, fragte Charlotte.

      >>Das ist schwer zu beurteilen. Jedenfalls könnte es dazu kommen, dass die Spareinlagen der Sparer auf längerer Sicht nicht mehr ausreichend gedeckt sind<<.

      >>Und warum hast du vorher nichts dagegen unternommen?<<.

      >>Weil ich erst gestern davon erfahren habe<<.

      Charlotte war geschockt von den Äußerungen ihres Mannes, aber sie vertraute ihm weiterhin, weil er die Schuldfrage stellte.

      Der Rundgang im Palmengarten erreichte seinen Höhepunkt mit dem Besuch der Tropenhäuser. In den Gewächshäusern erlebten beide die farbenfrohe Flora aus den verschiedensten Klimazonen der Erde. Von der üppigen tropischen und subtropischen Pflanzenvielfalt war insbesondere Charlotte beeindruckt.

      Noch am selben Abend fand die fröhliche Geburtstagsfeier von Charlotte in einem großen amerikanischen Steakhouse im Frankfurter Westend statt. Die geladenen Gäste erfreuten sich an Trank und Speisen, deren Feierlichkeiten noch bis spät in die Nacht andauerten. Kersten konnte es sich nicht verkneifen, fortlaufend alkoholische Getränke zu konsumieren.

      Der Sonntag morgen begann mit einem Kater, denn weder Kersten, noch Charlotte wollten an diesem trüben Vormittag irgendetwas gemeinsam unternehmen. Während Charlotte in der Küche das Frühstücksmenü bereitstellte, organisierte Kersten seine Datensätze, die er von dem Zentralrechner der Bank auf einen USB - Stick zog. Die quälende Ungewissheit über die Richtigkeit des Datenbestandes beschäftigten ihn den ganzen Vormittag. Seine Gedanken kreisten über die schwerwiegenden Folgen, bis hin zu einem Zahlungsausfall, der die Bank vor eine noch nie dagewesene Katastrophe stellen würde. Aus Angst selbst von dieser unbegreiflichen Misere in Mitleidenschaft gezogen zu werden, versteckte er den USB - Stick hinter einem Bücherregal im Wandschrank.

      Nach einem ausgedehnten Spaziergang am Flussufer des Mains besuchten beide am Abend noch eine Aufführung von Goethes Drama Faust “Mephisto” in der Alten Oper Frankfurts.

      Kapitel 4

      Das Polizeipräsidium in Frankfurt am Main in der Adickesallee ist ein modernes, mehrstöckiges Gebäude mit einer von außen sichtbaren Glasfassade zur Straßenseite, hinter deren Mauern schon so mancher Verbrecher ein Geständnis abgelegt hat, sofern die Beweislast wasserdicht schien. Auch Inspektor Kunert arbeitet hier in der Sonderabteilung für Raub- und Morddelikte. Er selbst leitet diese Abteilung, seitdem sein Vorgänger Oberinspektor Haller in den einstweiligen Ruhestand verabschiedet worden ist.

      Anhand der oft akribischen Kleinarbeit zu der Spurensicherung am Tatort, den Tathergang und dem Rechtsmedizinischen Gutachten setzten sich so einzelne Puzzle Teilchen zusammen, die für die Beweisführung unabdingbar an Bedeutung erlangen. Die Kommunikation zwischen den einzelnen Institutionen und den Abteilungen im Präsidium verläuft oft reibungslos und kommunikativ, denn schließlich ist man ja aufeinander angewiesen. Mitunter gab es aber auch sogenannte spezifische Fälle, wo entweder die Beweisbarkeit hauchdünn ist oder der Hergang zum Straftatbestand völlig in den Sanden verlief. Ein solch schwieriger Fall erfordert vielmals Fingerspitzengefühl, eine zielgerichtete Ermessensentscheidung und weitreichende Sachkenntnis, denn zuweilen sah man sich an der Grenze der Machbarkeit. Die Verhandlungen in solchen Musterprozessen kamen daher oft nur schleppend voran, wobei man sich hierbei zu einem Teil auf Indizien stützte. Auch wenn dies nur von Zeit zu Zeit vorkam, so war man sich über den Stellenwert jener juristischen Hürden durchaus bewusst. Inspektor Kunert mutmaßte ganz und gar im Hinblick auf die ungelösten Fälle, präzisere Aufklärungskampagnen mit Hilfe von großangelegten und weitreichender Öffentlichkeitsfahndung stetig zu forcieren. Denn niemand in seiner Abteilung hatte schon so lange Erfahrung und ein geschultes Auge, was die Verbrechensbekämpfung anbelangt. Auf der Dienststelle erhielt Kommissar Kunert gerade deswegen zahlreiche Auszeichnungen, denen er aber keine weitere Bedeutung beimaß.

      Besondere Aufmerksamkeit erregte oftmals die Öffentlichkeitsarbeit, die dann von der Presse zur Schau gestellt wurde. Dabei ging es vor allem um Leitartikel zu Hinweisen aus der Bevölkerung, aber vornehmlich auch um die gute Arbeit der Polizei, die an der Verbrechensaufklärung maßgeblich beteiligt ist. Gerade diese Pressekampagne war es, die dem Polizeipräsidium in der Bevölkerung einen guten Ruf verschaffte. Jeder sollte sich sicher fühlen, vor Verbrechen jeglicher Art. Man legte also viel Wert darauf, dass die Öffentlichkeitsarbeit zu einem Meilenstein an Erfolg führte.

      Disziplin, Motivation und eine Portion an Menschenkenntnissen, verbunden mit kriminalistischem Feingefühl entsprachen den Tugenden, den Inspektor Kunert von seinen Mitarbeitern stets erwartete. Mit den ständig wechselnden Arbeitszeiten und oft zahlreichen Überstunden kamen jedoch die wenigsten seiner Kollegen zurecht. Häufig hörte man im Nachhinein das Klagelied der Polizeigewerkschaft, die stets darum bemüht war, Überstunden möglichst zu vermeiden. Jedoch hatte der Interessenausgleich immer oberste Priorität, weil man wusste was auf dem Spiel stand.

      Inspektor

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