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Die Kartause von Parma. Stendhal
Читать онлайн.Название Die Kartause von Parma
Год выпуска 0
isbn 9783754174517
Автор произведения Stendhal
Жанр Языкознание
Издательство Bookwire
Du kennst,« fuhr er im Flüsterton fort, indem er ganz nahe an die Gräfin herantrat und sie flammenden Auges ansah, »du kennst den jungen Kastanienbaum, den meine Mutter in dem Winter, da ich geboren wurde, mit eigenen Händen gepflanzt hat, am Rand der großen Quelle in unserem Walde, zwei Meilen von hier. Ich wollte nichts unternehmen, ehe ich ihn nicht besucht hatte. Der Frühling ist noch im Rückstand, sagte ich bei mir. Gerade darum! Wenn mein Baum schon Blätter hat, soll mir das ein Zeichen sein! Auch ich soll aus dem Winterschlaf aufwachen, in dem ich in diesem öden, kalten Schloß hinsieche. Findest du nicht, daß diese altersschwarzen Mauern, einst Mittel und heute Sinnbilder der Gewalt, ein wahres Abbild des traurigen Winters sind? Sie sind für mich, was der Winter für meinen Baum ist.
Wirst du es glauben, Gina? Gestern abend, um halb acht Uhr, kam ich zu meinem Kastanienbaum. Er hatte Blätter, schöne kleine Blätter, ja schon ziemlich kräftige. Ich küßte sie behutsam und grub die Erde rund um den lieben Baum ehrfurchtsvoll um. Dann ging ich, von frischer Leidenschaft erhoben, über die Berge nach Menaggio; ich mußte mir einen Paß nach der Schweiz verschaffen. Die Zeit verstrich im Fluge. Es war bereits ein Uhr nachts, als ich an Vasis Tür anlangte. Ich hatte gedacht, ich müßte lange klopfen, um ihn wach zu kriegen; aber er war noch auf mit drei Freunden. Ehe ich Worte fand, rief er mir entgegen: ›Du willst zu Napoleon!‹ und flog mir um den Hals. Auch die anderen umarmten mich freudig. ›Warum bin ich verheiratet!‹ sagte der eine.«
Die Gräfin war nachdenklich geworden; sie meinte, ein paar Einwände vorbringen Zu sollen. Mit der geringsten Welterfahrung hätte Fabrizzio merken müssen, daß seine Tante selber nicht an die guten Ratschläge glaubte, die sie ihm in aller Eile zu geben versuchte. Für den Mangel an Erfahrung besaß er Entschlossenheit. Er hörte gar nicht auf die trefflichen Lehren. Schließlich bestürmte ihn die Gräfin, er möge wenigstens seine Mutter in seinen Plan einweihen.
»Sie wird es meinen Schwestern sagen, und diese Frauenzimmer werden mich ungewollt verraten!« rief Fabrizzio in gewisser Heldengröße.
»Sprich doch mit etwas mehr Achtung«, entgegnete die Gräfin, unter Tränen lächelnd, »von dem Geschlecht, das einst dein Glück bilden wird, denn den Männern wirst du allezeit mißfallen. Du bist zu feurig für die prosaischen Seelen.«
Die Marchesa zerfloß in Tränen, als sie den absonderlichen Plan ihres Sohnes erfuhr. Sie hatte kein Verständnis für Heldentum und tat alles mögliche, um ihn zurückzuhalten. Als sie überzeugt war, daß ihn nichts auf der Welt zu hemmen vermochte, höchstens Kerkermauern, händigte sie ihm das wenige Geld aus, das sie besaß. Da fiel ihr ein, daß ihr der Marchese tags zuvor acht oder zehn Brillanten anvertraut hatte, die in Mailand gefaßt werden sollten. Sie waren etwa zehntausend Franken wert. Als die Gräfin diese Diamanten in den Rock unseres Helden einnähte, kamen Fabrizzios Schwestern hinzu. Er gab den armen Damen die armseligen Goldstücke zurück. Seine Schwestern waren von seinem Vorhaben dermaßen begeistert, sie umarmten ihn mit so ungestümer Freude, daß er die noch nicht eingenähten Diamanten in die Hand nahm und Hals über Kopf abreisen wollte.
»Ihr werdet mich, ohne daß ihr es wollt, verraten!« sagte er zu seinen Schwestern. »Da ich so viel Schätze besitze, ist es unnötig, Sachen einzupacken. Ich bekomme überall das Nötige.« Damit umarmte er diese Menschen, die ihm so lieb und wert waren, und reiste unverzüglich ab, ohne sein Zimmer noch einmal zu betreten. Er ging, so schnell er konnte, immer in Furcht, er werde von Berittenen verfolgt. So kam er noch am nämlichen Abend in Lugano an. Nun war er, Gott sei Dank, in einer Schweizer Stadt und nicht mehr auf der einsamen Landstraße und in Angst, in die Gewalt von Gendarmen zu geraten, die im Sold seines Vaters standen. Von dort aus schrieb er an ihn einen schönen Brief – eine kindliche Schwäche –, der den Zorn des Marchese nur schürte.
Fabrizzio mietete sich ein Pferd und ritt über den Sankt Gotthard. Seine Reise ging rasch vonstatten. In Pontarlier betrat er französischen Boden. Der Kaiser war bereits in Paris. Dort begannen Fabrizzios Leiden. Er war mit dem festen Vorsatz von Hause weggegangen, den Kaiser zu sprechen, aber es war ihm nie eingefallen, daß dies seine Schwierigkeiten hatte. In Mailand hatte er den Fürsten Eugen zehnmal am Tage gesehen und hätte ihn oft ansprechen können. In Paris ging er jeden Vormittag in den Tuilerieenhof, wenn Napoleon Truppenschau abhielt, aber niemals konnte er an den Kaiser herankommen.
Unser Held wähnte, alle Franzosen müßten von der Riesengefahr, in der ihr Vaterland schwebte, so tief ergriffen sein wie er. An der Tafel des Gasthofes, wo er abgestiegen war, machte er durchaus kein Hehl aus seinen Plänen und seiner Verehrung. Er lernte ein paar freundliche, liebenswürdige junge Leute kennen, die noch viel begeisterter waren als er und die ihm nach wenigen Tagen sein Geld stahlen. Glücklicherweise hatte er aus reiner Bescheidenheit nichts von den Diamanten erwähnt, die ihm seine Mutter mitgegeben. Am Morgen nach einem Gelage, als er sich völlig ausgeplündert fand, kaufte er sich zwei schöne Pferde, übernahm den Reitknecht des Pferdehändlers, einen ausgedienten Soldaten, als Diener und machte sich, voller Verachtung gegen die prahlerischen jungen Pariser, auf den Weg zur Armee. Von dieser wußte er weiter nichts, als daß sie sich in der Gegend von Maubeuge sammele. Kaum an der Grenze angekommen, fand er es lächerlich, sich in einem Wirtshause gütlich zu tun und sich am gemütlichen Kaminfeuer zu wärmen, während die Soldaten draußen biwakierten. Trotz allen Einwänden seines Reitknechtes, eines Burschen mit recht gesundem Menschenverstand, eilte er törichterweise hinaus zu den Biwaks im Grenzzipfel an der Straße nach Belgien. Als er sich dem ersten längs der Straße gelagerten Bataillon näherte, sahen die Soldaten den jungen Zivilisten, dessen Tracht durchaus nichts Soldatisches verriet, schon mit etwas scheelen Blicken an. Die Nacht brach herein, kalter Wind blies. Fabrizzio trat zu einem Wachtfeuer und bat um Gastfreundschaft für Geld. Die Soldaten blickten sich an. Besonders das Angebot machte sie stutzig; doch räumten sie ihm gutmütig einen Platz am Feuer ein. Sein Reitknecht baute ihm ein Schutzdach. Aber nach einer Stunde kam der Stabsfeldwebel in das Biwak geritten. Die Soldaten machten ihm Meldung von dem Fremdling mit dem kauderwelschen Französisch. Der Feldwebel nahm Fabrizzio vor; und da dieser ihm seine Begeisterung für den Kaiser in arg verdächtigem Überschwang bekannte, ersuchte ihn der Unteroffizier, ihn zum Obersten zu begleiten, der sich in einer nahe gelegenen Scheune untergebracht hatte. Da näherte sich der Reitknecht mit den beiden Gäulen, die dem Feldwebel so gewaltig in die Augen stachen, daß er sich bewogen fühlte, auch den Diener ins Gebet zu nehmen. Dieser, als alter Soldat, durchschaute gleich den Kriegsplan seines Verhörers, redete von Protektionen, die sein junger Herr hätte, und fügte zuversichtlich hinzu, seine schönen Pferde werde man ihm nicht klauen. Sofort winkte der Feldwebel einen Soldaten herbei, der den Reitknecht beim Kragen faßte; ein anderer Soldat bekam die Pferde in Obhut, und Fabrizzio erhielt den barschen Befehl, ihm ohne Widerrede zu folgen.
Nachdem der Feldwebel Fabrizzio eine gute Wegstunde lang hatte laufen lassen, in einer Dunkelheit, die der Schimmer der Lagerfeuer ringsumher noch tiefer erscheinen ließ, übergab er ihn einem Gendarmerieoffizier, der ihn mit ernster Miene nach seinem Ausweis fragte. Fabrizzio zeigte seinen Paß vor, der ihn als einen mit seiner Ware hausierenden Barometerhändler