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hatte, die Treue zu wahren, ja die Unverschämtheit besaß, sich offen als Anhänger des gleichen Rechts für alle zu bekennen, was der Marchese schändliches Jakobinertum nannte. Der Graf hatte sich geweigert, in österreichische Dienste zu treten. Man beutete diesen Trotz aus, und ein paar Monate nach der Ermordung Prinas setzten die nämlichen Persönlichkeiten, die Prinas Mörder gedungen hatten, die Verhaftung des Generals Pietranera durch. Darauf ließ sich die Gräfin, seine Gemahlin, einen Paß ausfertigen und bestellte Postpferde, um nach Wien zu fahren und dem Kaiser die Wahrheit zu sagen. Die Mörder Prinas bekamen es mit der Angst zu tun, und einer von ihnen, ein Vetter der Gräfin Pietranera, überbrachte ihr mitternachts, eine Stunde vor ihrer Abfahrt nach Wien, die Order zur Freilassung ihres Mannes. Anderntags ließ der österreichische General den Grafen Pietranera zu sich bitten, empfing ihn mit größter Achtung und versicherte ihm, seine Pensionsangelegenheit werde binnen kurzem auf das beste geregelt. Der brave General Bubna, ein Mann von Geist und Herz, war wegen Prinas Ermordung und der Verhaftung des Grafen sichtlich in starker Verlegenheit.

      Nachdem diese Gefahr durch die Entschlossenheit der Gräfin abgewendet war, lebte das Ehepaar schlecht und recht von dem Ruhegehalt, das dank der Fürsprache des Generals Bubna nicht auf sich warten ließ.

      Zum Glück traf es sich nach fünf oder sechs Jahren, daß die Gräfin eine große Freundschaft zu einem sehr reichen jungen Manne faßte, der auch Busenfreund des Grafen war und es sich nicht nehmen ließ, ihnen das schönste englische Vollblutgespann, das es damals in Mailand gab, seine Loge in der Scala und sein Landschloß zur Verfügung zu stellen. Aber der Graf ließ sich im Vollgefühl seiner Tapferkeit und seiner edlen Gesinnung, leicht hinreißen und führte dann gern absonderliche Reden. Als er eines Tages mit jungen Leuten auf der Jagd war, begann einer von ihnen, der unter anderen Fahnen als er gedient hatte, Witze über die Tapferkeit der Soldaten der Zisalpinischen Republik zu machen. Der Graf gab ihm eine Ohrfeige. Es kam sofort zu einem Zweikampf, und da der Graf unter allen diesen jungen Menschen keinen auf seiner Seite hatte, so fiel er. Man munkelte allerlei über diese Art von Zweikampf, und die Beteiligten entschlossen sich zur Abreise nach der Schweiz.

      Jener lächerliche Mut, den man Gottergebenheit nennt, der Mut eines Toren, der sich hängen läßt, ohne ein Wort zu sagen, war nicht Sache der Gräfin. Wütend über ihres Gatten Tod, hätte sie es am liebsten gesehen, wenn Limercati, jener reiche junge Mann, ihr Vertrauter, gleichfalls auf den Einfall geraten wäre, nach der Schweiz zu fahren und den Mörder des Grafen Pietranera zu erschießen oder wenigstens zu ohrfeigen.

      Limercati fand dieses Ansinnen reichlich lachhaft, und die Gräfin bemerkte, daß ihre Verachtung ihre Liebe ertötet hatte. Sie verdoppelte ihre Aufmerksamkeiten gegen Limercati. Sie wollte seine Leidenschaft schüren, ihn dann sitzen lassen und der Verzweiflung preisgeben. Um diesen Racheplan einem Franzosen verständlich zu machen, muß ich sagen, daß man in Mailand, das freilich sehr fern von Paris liegt, aus Liebe noch in Verzweiflung gerät. Die Gräfin, die in ihren Trauerkleidern alle Nebenbuhlerinnen bei weitem hinter sich ließ, tat schön mit den jungen Herren, die auf der Straße schlenderten, und einer von ihnen, der Graf Nani, der schon immer gesagt hatte, er fände Limercati zu schwerfällig, zu steif für eine so begabte Frau, verliebte sich toll in die Gräfin. Sie schrieb an Limercati:

      ›Wollen Sie sich einmal als geistreicher Mann betätigen? Bilden Sie sich ein, Sie hätten mich nie gekannt!

      Ich bin, vielleicht nicht ohne Mißachtung, Ihre untertänigste Gina Pietranera.‹

      Als Limercati dieses Briefchen gelesen, reiste er nach einem seiner Schlösser ab. Seine Liebe wuchs ins Grenzenlose; er wurde toll und sprach von Selbstmord, etwas Ungebräuchlichem in einem Lande, wo man an den Teufel glaubt. Gleich am ersten Morgen schrieb er der Gräfin und bot ihr die Ehe und seine Zweihunderttausend Lire Rente an. Sie schickte ihm seinen Brief unerbrochen durch den Reitknecht des Grafen Nani zurück. Darauf verbrachte Limercati drei Jahre auf seinen Gütern. Alle acht Wochen kehrte er nach Mailand zurück, hatte aber nie den Mut, dort zu bleiben, und langweilte seine Freunde mit seiner leidenschaftlichen Liebe zur Gräfin und mit umständlicher Aufzählung aller einst bei ihr genossenen Gunstbezeigungen. Anfangs pflegte er hinzuzufügen, daß sie sich mit dem Grafen zugrunde richte und daß dieses Verhältnis sie entehre.

      In der Tat empfand die Gräfin für den Grafen Nani keinerlei Liebe, und das sagte sie ihm offen, als sie der Verzweiflung Limercatis ganz sicher war. Der Graf, ein Weltmann, bat sie, die ihm anvertraute betrübliche Wahrheit nicht etwa stadtbekannt werden zu lassen. »Wenn Sie die außerordentliche Nachsicht üben wollten,« fügte er hinzu, »mich auch fernerhin vor der Welt mit all den Vergünstigungen zu behandeln, die man einem erklärten Liebhaber zukommen läßt, so werde ich mich vielleicht darein schicken.«

      Nach ihrer heldenmütigen Erklärung mochte die Gräfin weder mehr die Pferde noch die Loge des Grafen Nani. Aber seit fünfzehn Jahren an den vornehmsten Lebenszuschnitt gewöhnt, stand sie nun dem schwierigen oder, besser gesagt, unlösbaren Rätsel gegenüber, mit einer Pension von fünfzehnhundert Lire in Mailand zu leben. Sie verließ ihren Palast, mietete zwei Zimmer in einem vierten Stock, entließ alle Dienstboten, ja selbst ihre Kammerjungfer, und nahm sich an deren Stelle eine arme, alte Aufwartefrau. In Wirklichkeit war dieses Opfer weniger heldenhaft und hart, als es scheint. In Mailand ist die Armut nichts Lächerliches und wird folglich nicht von ängstlichen Seelen als der Übel größtes angesehen. Einige Monate waren in dieser edlen Armut verflossen, während deren sie fortgesetzt von Limercati und sogar vom Grafen Nani, der sie ebenfalls heiraten wollte, durch Briefe bestürmt wurde, als der Marchese del Dongo, sonst ein abscheulicher Geizhals, auf den Gedanken kam, seine Feinde könnten am Ende ihre Freude am Elend seiner Schwester haben. Was, eine del Dongo sollte ihr Leben kümmerlich mit dem Gnadengeld fristen, das ihr der Wiener Hof, über den er so viel Anlaß zu klagen hatte, als Generalswitwe auszahlte?

      Er schrieb ihr also, seine Schwester fände im Schloß Grianta eine Wohnung und angemessene Aufnahme. Das bewegliche Gemüt der Gräfin griff den Gedanken an eine neue Lebensweise mit Begeisterung auf. Seit zwanzig Jahren hatte sie dieses ehrwürdige Schloß nicht betreten, das unter uralten Kastanien, die in den Zeiten der SforzaFranz Sforza, 1450 Herzog von Mailand. gepflanzt waren, majestätisch emporragte. ›Dort‹, sagte sie sich, ›werde ich Ruhe finden, und ist Ruhe in meinem Alter nicht Glück?‹ Da sie einunddreißig Jahre alt war, meinte sie, die Stunde ihres Abschieds von der großen Welt sei gekommen. ›Am Gestade jenes herrlichen Sees, wo meine Wiege stand, harrt meiner endlich ein friedsames, glückliches Leben.‹

      Ich weiß nicht, ob sie sich täuschte, aber so viel steht fest, daß diese leidenschaftliche Seele, die so leichten Herzens zweimal ein Riesenvermögen verschmäht hatte, das Glück ins Schloß Grianta brachte. Ihre beiden Nichten waren närrisch vor Freude. »Du hast mir die schönen Tage der Jugend wiedergebracht!« jubelte die Marchesa ihr zu und schloß sie in ihre Arme. »Am Tage vor deiner Ankunft war ich hundert Jahre alt.«

      Die Gräfin besuchte mit Fabrizzio alle bezaubernden Orte der Umgebung des Schlosses Grianta wieder, die von den Reisenden so gepriesen werden: die Villa Melzi auf dem anderen Seeufer, auf das man vom Schloß einen Ausblick hat, darüber den heiligen Hain der Sfondrata und das kecke Vorgebirge, das die beiden Arme des Sees scheidet, den wonnigen von Como und den tiefernsten von Lecco, erhabene und liebliche Landschaften, denen nur die berühmteste Gegend der Erde, der Golf von Neapel, gleicht, ohne sie zu übertreffen. Mit Entzücken lebte die Gräfin die Erinnerungen ihrer Kindheit wieder durch und verglich sie mit ihrem jetzigen Gemütszustand. ›Der Comer See‹, sagte sie sich, ›ist nicht wie der Genfer See von großen abgegrenzten und nach allen Regeln der Kunst bebauten Feldstücken umrahmt, die an Geld und Gelderwerb erinnern. Hier umgeben mich ringsum Hügel, von ungleicher Höhe, mit Baumgruppen bedeckt, die der Zufall gepflanzt, von Menschenhänden noch nicht verunziert und gezwungen, ihnen etwas einzubringen. Inmitten dieser wunderbar geformten Hügel, die in absonderlichen Hängen nach dem See abstürzen, kann ich alle Illusionen der Schilderungen Tassos und Ariosts bewahren. Alles ist edel und zärtlich, alles spricht von Liebe, nichts erinnert mich an die Häßlichkeiten der Zivilisation. Die auf halber Höhe verstreuten Dörfer sind hinter großen Bäumen versteckt, über deren Wipfel die gefälligen Linien ihrer Kirchtürme hervorlugen. Wenn hier und da ein bebautes Fleckchen von fünfzig Schritt im Geviert die Gruppen der Kastanien und wilden Kirschbäume unterbricht,

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