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Marschall?«

      »Der Marschall NeyMichel Ney (1769-1815), Fürst von der Moskwa, der populärste General Napoleons. Er führte bei Waterloo die Alte Garde. Nach dem Sturze Napoleons wurde er standrechtlich erschossen., du Schafskopf! Wo hast du denn bis jetzt gestanden?«

      Fabrizzio, sonst so empfindlich, dachte gar nicht daran, sich über die Beleidigung zu ärgern. In kindlicher Bewunderung starrte er den berühmten Fürsten von der Moskwa an, den Tapfersten der Tapferen.

      Plötzlich ritt alles wieder in starkem Galopp an. Ein paar Augenblicke später bemerkte Fabrizzio zwanzig Schritt vor sich auf einem umgeackerten Stück Feld eine eigentümliche Erscheinung. Der Grund der Ackerfurchen stand voll Wasser, und von der sehr feuchten Erde, die den Kamm der Furchen bildete, spritzten kleine schwarze Stückchen drei bis vier Schritt hoch, Fabrizzio beobachtete diesen sonderbaren Vorgang im Vorbeireiten, dann verloren sich seine Gedanken wieder in Träumereien über den Heldenruhm des Marschalls. Da vernahm er einen gellenden Schrei neben sich. Er kam von zwei Husaren, die, von Geschossen getroffen, stürzten, und als er sich nach ihnen umsah, lagen sie schon zwanzig Schritt hinter den Reitern. Etwas machte ihm einen grausigen Eindruck: Ein blutüberströmtes Pferd wälzte sich auf dem Acker und verwickelte sich mit den Beinen in seine eigenen Gedärme; es wollte den anderen nach. Das Blut rann in den Kot.

      ›Ah! Jetzt bin ich doch endlich im Feuer!‹ sagte sich Fabrizzio. ›Ich habe meine Feuertaufe erhalten!‹ wiederholte er mit Befriedigung. ›Nun bin ich ein wirklicher Soldat!‹

      Nun jagte der Stab in voller Fahrt dahin. Unser Held begriff, daß es Gewehrkugeln waren, unter denen ringsum das Erdreich aufspritzte. Umsonst spähte er nach der Seite, von der die Geschosse kamen; er sah nur den weißen Rauch einer Batterie in riesiger Entfernung; aber mitten in dem gleichförmigen und ununterbrochenen Rollen des Geschützfeuers kam es ihm vor, als werde auch viel näher geschossen. Er begriff nichts von alledem.

      In diesem Augenblick ritten die Generale und der ganze Stab in einen kleinen Hohlweg voll Wasser hinab, der fünf Fuß unter der Ebene lag. Der Marschall machte Halt und beobachtete wiederum mit seinem Fernglas. Diesmal konnte ihn Fabrizzio nach Herzenslust betrachten. Er kam ihm überaus blond vor, mit seinem dicken, roten Kopf. ›Solche Gesichter haben wir in Italien überhaupt nicht‹, sagte er zu sich selbst. ›Ich mit meinem kastanienbraunen Haar und meiner blassen Farbe, ich kann niemals so werden wie der da‹, fügte er traurig hinzu. Damit meinte er im Grunde: ›Nie werde ich ein Held!‹ Er sah die Husaren an; mit Ausnahme eines einzigen hatten sie alle blonde Schnurrbärte. Wie Fabrizzio die Husaren musterte, so musterten sie ihn alle wieder. Als er so angesehen wurde, errötete er, und um seiner Verlegenheit ein Ende zu machen, wandte er den Blick nach dem Feind. Da sah er lange, lange Linien von Rotröcken, aber, was ihm unsagbar erstaunlich vorkam, die roten Menschen sahen ganz winzig aus. Diese langen Linien, Regimenter und Brigaden, erschienen ihm nicht höher als Hecken.

      Eine rote Reitermasse näherte sich im Trab dem Hohlweg, den der Marschall mit seinem Stabe langsam hinunterritt, wobei der Schlamm spritzte. Der Pulverqualm verschleierte den Ausblick nach der Richtung, in der man ritt. Zuweilen erkannte man galoppierende Reiter, die sich von dem weißen Rauch abhoben.

      Mit einem Male erblickte Fabrizzio vier Reiter, die von der feindlichen Seite her in voller Karriere heranjagten. ›Ah, wir werden attackiert!‹ sagte er bei sich. Da sah er, wie zwei der Reiter mit dem Marschall sprachen. Einer der Generale galoppierte mit zwei Husaren des Gefolges und den vier soeben eingetroffenen Reitern in der Richtung auf den Feind hinweg.

       Der Stab überquerte einen kleinen Graben. Fabrizzio fand sich neben einem Wachtmeister, der treuherzig dreinschaute. ›Den muß ich anreden‹, sagte er sich. ›Vielleicht sieht mich dann keiner mehr so an.‹ Lange ging er mit sich zu Rate.

      »Herr Wachtmeister,« begann er endlich, »ich bin zum ersten Male in einer Schlacht. Das ist doch eine richtige Schlacht?«

      »Sozusagen ja! Wer bist du denn eigentlich?«

      »Ich, ich bin der Bruder der Frau eines Rittmeisters...«

      »Von welchem Rittmeister? Wie heißt er?«

      Unser Held war in furchtbarer Verlegenheit. Auf eine solche Frage war er ganz und gar nicht gefaßt. Zum Glück galoppierten der Marschall und der Stab wieder an. ›Was für einen französischen Namen soll ich sagen?‹ dachte er bei sich. Da fiel ihm der Name des Gasthofsbesitzers ein, bei dem er in Paris gewohnt hatte. Er brachte sein Pferd an das des Wachtmeisters heran und rief ihm mit voller Lunge zu: »Rittmeister Meunier!«

      Der Wachtmeister, der Fabrizzio bei dem Kanonendonner nicht deutlich verstand, gab ihm zur Antwort: »Ach, der Rittmeister Teulier! Ja, der ist gefallen.«

      ›Ausgezeichnet!‹ sagte Fabrizzio bei sich. ›Also Rittmeister Teulier! Ich muß Trauer heucheln.‹

      »O du mein Gott!« rief er laut und steckte eine gottserbärmliche Miene auf.

      Man war aus dem Hohlweg heraus und ritt quer über eine kleine Wiese. Es ging in Karriere. Wieder schlugen Geschosse ein. Der Marschall ritt auf eine Kavalleriebrigade zu. Der Stab befand sich mitten unter Toten und Verwundeten, aber ihr Anblick machte auf unseren Helden bereits keinen so starken Eindruck mehr. Er hatte an andere Dinge zu denken.

      Man hielt. Fabrizzio bemerkte den kleinen Wagen einer Marketenderin. Seine Zärtlichkeit für diese schätzenswerten Personen riß ihn fort. Er jagte darauflos.

       »Potzdonnerwetter, so bleib doch hier!« schrie ihm der Wachtmeister nach.

      ›Was kann er mir anhaben?‹ dachte Fabrizzio und galoppierte weiter bis zur Marketenderin. Während er seinem Pferde die Sporen gab, hoffte er im stillen, daß es seine gute Marketenderin vom Vormittag wäre. Pferd und Wägelchen sahen genau so aus, aber die Besitzerin ganz anders. Ihr Gesichtsausdruck kam ihm bösartig vor. Als er sich ihr näherte, hörte er sie sagen: »Es war doch ein bildschöner Mann!«

      Dem neubackenen Soldaten bot sich ein sehr garstiger Anblick. Man nahm eben einem Kürassier, einem schönen jungten Menschen, fünf Fuß und zehn Zoll lang, ein Bein ab. Fabrizzio machte die Augen zu und goß vier Glas Branntwein nacheinander hinunter.

      »Säufst wie ein Loch, Schlappschwanz!« meinte die Alte. Der Schnaps brachte ihn auf einen Gedanken. ›Ich muß mir das Wohlwollen meiner Kameraden vom Stabe erkaufen.‹

      »Geben Sie mir, was noch in der Flasche ist!« sagte er zu der Marketenderin.

      »Hör mal,« entgegnete sie, »der Rest kostet an einem Tage wie heute zehn Franken!«

      Als er wieder bei der Eskorte angaloppiert kam, rief der Wachtmeister: »Ach so, du bringst uns was für die Kehle! Darum bist du ausgerissen. Her mit dem Zeug!«

      Die Flasche machte die Runde. Der letzte, der sie bekam, warf sie hoch in die Luft, nachdem er sie ausgetrunken hatte.

      »Danke, Kamerad!« rief er Fabrizzio zu. Aller Augen verweilten mit Wohlgefallen auf ihm. Diese Blicke nahmen ihm eine Zentnerlast vom Herzen. Er war eine jener zu zart beschaffenen Seelen, die der Freundschaft ihrer Umgebung bedürfen. Endlich wurde er von seinen Kameraden nicht mehr scheel angesehen; etwas verband sie und ihn. Fabrizzio atmete tief auf; dann redete er den Wachtmeister freimütig an: »Wenn der Rittmeister Teulier gefallen ist, wo könnte ich da meine Schwester treffen?«

      Er hielt sich für einen kleinen Machiavell, da er so schön Teulier statt Meunier sagen konnte.

      »Das wird sich heute abend finden!« brummte der Wachtmeister.

      Der Stab brach wieder auf und wandte sich gegen Infanteriemassen. Fabrizzio merkte, daß er berauscht war; er hatte zuviel Branntwein getrunken. Er schwankte ein wenig im Sattel. Glücklicherweise kam ihm eine Regel ins Gedächtnis, die der Kutscher seiner Mutter zu predigen pflegte: Wenn man zuviel hinter die Binde gegossen hat, muß man zwischen den Ohren seines Gaules hindurchsehen und alles tun, was der Nebenmann tut. Der Marschall blieb geraume Zeit bei verschiedenen Kavallerieabteilungen, die er angreifen ließ; aber eine oder zwei Stunden lang hatte unser Held kein Bewußtsein dessen, was ringsum geschah. Er fühlte

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