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Nephilynn. Vanessa Olschansky
Читать онлайн.Название Nephilynn
Год выпуска 0
isbn 9783754948033
Автор произведения Vanessa Olschansky
Жанр Языкознание
Издательство Bookwire
»Wohin gehen wir?«, fragte ich mit heiserer Stimme, doch keiner der beiden antwortete mir.
Ich senkte den Kopf, ich wollte und konnte das Leid nicht sehen und redete mir ein, dass das alles nur ein furchtbarer Albtraum sei, aus dem ich bald wieder aufwachen würde. Ich dachte an Mona und Rachel und konnte nur hoffen, dass Damian sie am Leben gelassen hatte, jetzt wo ich hier war, wie er es wollte. In meinem Kopf ratterte es, ich versuchte meine Gedanken zu unterdrücken, denn ich befürchtete, dass Kieran und Raziel alles genau mitbekamen und Damian Bericht erstatten mussten. Wir liefen an den Klippen des Todes vorbei, peitschende Flammen griffen gierig in die Luft und schrien nach neuen Opfern, die zu ihnen hinuntergestoßen wurden. Ich hörte ein lautes und grollendes Lachen, wie ich es bereits kannte, aber es war so viel mächtiger und mir stockte der Atem. Meine Beine blockierten und ich blieb einfach stehen. Keinen Schritt würden sie mich weiter in diese Richtung bekommen, das war Luzifers Lachen. Das musste es sein. Wenn es jemanden gab, der noch grausamer war als Damian, dann war es sein Vater. Ganz sicher. Und wenn es etwas gab, wovor ich mich mehr fürchtete als vor dem Tod, dann war es Luzifer.
Meine Glieder erstarrten und jedes einzelne Gelenk blockierte, noch nie hatte sich mein Körper so sehr gegen etwas gewehrt wie in diesem Moment. Kieran und Raziel blieben, ebenso wie ich, abrupt stehen. Ich wehrte mich mit all meiner Kraft gegen die aufkommende Angst, doch sie schlich sich durch das Gemäuer und lag wie Schwefel in der Luft. Ich betete und hoffte auf Gnade, doch wie viel Macht hat ein Gebet in der Welt Luzifers? Langsam kam Kieran auf mich zu während Raziel seine Stellung hielt. Kieran beugte sich zu mir runter. Er war so riesig und ich ein Winzling ihm gegenüber. Es wäre ihm ein Leichtes mich zu zerquetschen, doch sein Gesichtsausdruck war nicht wütend oder hasserfüllt wie ich es erwartet hatte. Für einen Dämonen blickte er ziemlich friedlich, ja fast freundlich und er sah mir in die Augen.
»Was hab ich dir gesagt? Sie riechen es!« Er deutete nach oben und ich konnte an den dunklen Decken, des schier endlos scheinenden Geflechts aus Tunneln und Räumen, tiefschwarze Schattenwesen erkennen, deren Augen glühend rot und bedrohlich zu uns herabblickten.
Ich schluckte, denn es waren viele und ich hatte keine Ahnung, was sich hier noch alles herumtrieb. Ich war mir sicher, dass eine Begegnung mit einem dieser Wesen nicht so glimpflich ausgehen würde wie die mit dem Morlock.
Als ich meinen Kopf wieder senkte, trafen sich erneut unsere Blicke und mein Herz begann zu pochen. Ich verstand nicht warum, aber er hatte etwas Beruhigendes und ich hatte in Kierans Gegenwart keine Angst, auch wenn ich wusste, dass er der Feind war. Ich war ihm und Raziel ausgeliefert, ohne auch nur die Chance auf Begnadigung. Nach wie vor begriff ich nicht, warum sie mich hier festhielten und ich noch nicht an der Wand bei all den anderen armen Seelen hing.
»Sie tun dir nichts, Solange du tust, was ich dir sage und du in meiner Nähe bleibst, verstanden?« Außerstande irgendetwas zu sagen, nickte ich.
Es war viel zu viel geschehen, dass ich erst mal verarbeiten musste. Dieses leidende Wimmern und flehende Geschrei, war nichts, woran ich mich gewöhnen konnte. Erneut griff er meinen Unterarm und animierte mich zum Weitergehen.
Ich wusste, dass Kieran in der Lage war, meine Gedanken zu lesen, aber ich gab mir keine Mühe mehr sie zu verbergen, ich kam hier sowieso nicht lebend raus. Niemand, den ich kannte, hatte Luzifer je gesehen, was nur die Schlussfolgerung zuließ, dass jeder, der ihn gesehen hatte, sterben würde. Eine einzelne Träne bahnte sich langsam den Weg über meine Wange und tropfte auf den steinigen Boden. Ein leises Schluchzen entwich meinen Lippen und Kieran hielt knurrend an und wand sich zu mir.
»Dir passiert nichts, ich hab dir mein Wort gegeben.« Ich schüttelte den Kopf.
»Was bedeutet das Wort eines Dämons schon? Die Worte eines Dämons, dem ich vertraut habe, haben mich in diese Lage gebracht.«, antwortete ich enttäuscht. Doch entgegen dem, was ich vermutete, wurde ich nicht bestraft für mein loses Mundwerk.
Stattdessen schmunzelte er und wir setzten unseren Weg fort. Wir stoppten vor einer großen Holztür mit goldenem Knauf, der auf der Höhe meines Kopfes war. Ich konnte nur erahnen, wie groß Luzifer selbst war. Ein uraltes, mächtiges Wesen, das wie ich einst ein Engel gewesen war und verbannt wurde. Zumindest das verband uns. Jedes einzelne meiner Körperteile zitterte, selbst jene, von denen ich nicht mal wusste, dass sie im Stande dazu sind. Raziel öffnete die Tür und sie stießen mich mit einem Ruck ins Innere des Raumes. Sie selbst blieben aber an der Schwelle stehen.
Mit meinen gefesselten Händen fiel es mir schwer, das Gleichgewicht zu halten, doch mir gelang es, auf den Beinen zu bleiben und ich staunte nicht schlecht, denn anders als der Rest der Unterwelt war dieser riesige runde Raum prunkvoll eingerichtet. An den Wänden hingen in Gold gerahmte Bilder von einstigen Helden aus früheren Epochen. Niemals hätte ich die Vermutung gehabt, hier würde Luzifer höchstpersönlich leben. Während ich mir in Gedanken ausmalte, wie er wohl aussah, ob er zwei groteske Hörner hatte und einen Dreizack, umrundete mich ein stürmischer Windstoß, den ich bereits in den Katakomben gespürt hatte. Er ließ die schweren Türen hinter mir ins Schloss fallen und trennte mich von meinen Begleitern.
Jetzt war ich alleine, oder etwa nicht? Vor mir erblickte ich einen Thron, der Windstoß umrundete mich erneut und ließ sich dann als schwarzer Nebel langsam dort nieder. Stück für Stück bildete sich eine Silhouette und ich erkannte die Umrisse desjenigen, dessen Lachen durch Mark und Bein ging. Langsam nahm er Gestalt an und ich erkannte, dass er, wie alle anderen aussah, wie ein gewöhnlicher Mann, viel größer und stärker zwar, aber er hatte weder Hörner noch eine rote Haut oder gar einen Dreizack. Wäre er nicht das personifizierte Böse, könnte man ihn vielleicht weniger abstoßend finden.
Einzig und allein die Narbe quer über seinem leuchtend grünen, linken Auge, welches auf mich herabblickte, war furchteinflößend. Er hatte pechschwarzes Haar. Er atmete durch und musterte mich eine Weile, seine Blicke durchbohrten mich und die Zeit, bis er endlich seine Worte sprach, kamen mir schier unendlich vor.
»Emily«, sagte er mit dunkler und kratzender Stimme und einem sichtlich gekünstelten Lächeln auf seinen Lippen.
»Setz dich doch.« Wie aus dem Nichts kommend stand ein Stuhl hinter mir, doch aus Angst wollte ich mich nicht setzen und schüttelte kaum sichtbar den Kopf. »Setz. Dich. Hin!«, herrschte er mich an und mit einer Handbewegung schob er den Stuhl weiter hinter mich und ließ mich auf ihn fallen. Seine Hände umgriffen die Armlehnen seines Stuhls und es schien mir, als müsste er um Fassung ringen. Vermutlich stieß er nicht oft auf Widerstand.
»Willkommen in meinem Reich«, knurrte er und ließ seinen Zeigefinger durch die Luft kreisen, was dazu führte, dass sich meine Fesseln lösten. Ich rieb mir über meine schmerzenden Handgelenke.
Dann stand er auf und kam mit einer quälenden Gelassenheit auf mich zugeschlendert und umrundete mich. »Du bist genauso schön, wie er dich beschrieben hat,« stellte er zufrieden fest und mein Herzschlag beschleunigte sich unermessliche. Luzifer lachte und griff mit seinen Pranken in mein zerzaustes braunes Haar und wickelte eine meiner Strähnen um seine Finger. Dann ließ er es fallen und es fiel schlaff in mein Gesicht zurück. Er provozierte gerne, so wie es auch sein Sohn tat. Ich erkannte die Ähnlichkeit zwischen ihnen sofort. Sie hatten beide diese ausgeprägten Wangenknochen und eine eckige Kopfform, die das narbenverzierte Gesicht nur noch markanter erscheinen ließen. Und die Zwei verstanden es perfekt, den Raum für sich zu beanspruchen. Selbst, wenn außer uns der restliche Raum voll mit Menschen gewesen wären, die Aufmerksamkeit hätte voll und ganz Luzifer gehört, auch wenn niemand wüsste, wer er eigentlich war.
»Du hast bestimmt viele Fragen.«, sagte er, als er sich von mir abwendete. Ich war mir sicher, er kannte meine Fragen bereits. Er ging zurück zu seinem Thron und ließ sich nieder. Er griff nach seinem Kelch und trank einen großen Schluck, ehe er ihn unachtsam auf den Boden fallen ließ.
»Nun... Emily«, setzte er an, »um deine Frage zu beantworten. Du bist hier, weil wir etwas Großes mit dir vorhaben.«, sagte