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Nur eine Petitesse. Anja Gust
Читать онлайн.Название Nur eine Petitesse
Год выпуска 0
isbn 9783753187242
Автор произведения Anja Gust
Жанр Языкознание
Серия Die Geschichte der Sina Brodersen
Издательство Bookwire
„Und woher wollen Sie das Geld nehmen?“, fragte sie gehässig und wedelte angewidert den Dunst beiseite.
Nach einer kleinen Kunstpause erklärte er ihr mit trockener Selbstverständlichkeit, ein neues Arrangement bekommen zu haben.
„Arrangement? Dass ich nicht lache“, höhnte die alte Dame mit einem spöttischen und aufreizenden Grinsen.
„Sie werden es nicht glauben, aber dort schätzt man Leute wie mich.“
„Sie machen wohl Witze!“
„Keineswegs. Ich werde Sie bald auszahlen und dann von hier verschwinden“, verkündete er vollmundig. „Dann können Sie zusehen, wem Sie dieses Loch vermieten! Es ist ohnehin eine Zumutung, dafür monatlich hundert Franken zu nehmen!“
„Werden Sie nicht unverschämt! Seitdem Sie in meinem Haus wohnen, habe ich nichts als Ärger. Die Frau Wächter von unten beschwert sich laufend über Lärm. Und der Herr Kugler von rechts ist empört über Ihre ständigen Damenbesuche. Was mich betrifft, habe ich längst die Nase voll. Ich erinnere nur an den letzten Polizeieinsatz mit der beschädigten Tür. Ich gebe Ihnen eine letzte Frist von vierundzwanzig Stunden! Sind Sie darüber hinaus weiterhin im Rückstand, lasse ich die Wohnung räumen! Mein letztes Wort!“
„Von mir aus. Nur vergessen Sie nicht zu sagen, dass Sie seit Jahren in der Bruchbude nichts gemacht haben, trotz meiner Beschwerden!“ Zornig verwies er auf das zugige Fenster und den tropfenden Wasserhahn.
„Sie können froh sein, wenn Sie überhaupt noch eine Wohnung finden“, schoss die Bratfisch zurück. „Ich werde den Vermieterverein warnen, Sie Mietnomade! Verlassen Sie sich darauf!“
„Sonst noch was?“ Gelassen steckte er die Kippe in eine abgestandene Kaffeetasse.
„Sie sind ein Nagel an meinem Sarg! Vierundzwanzig Stunden und keine Sekunde länger!“, keifte sie und verschwand.
Kaum war sie weg, konzentrierte er sich auf sein Vorhaben. Es war ein besonderer Tag. Alles war wichtig. Flink föhnte er sein Haar, sprühte Conditioner drüber und tätschelte sich ein wenig Aftershave auf die Wangen. Wenig später machte er sich auf den Weg. Er wusste inzwischen genau, wo er seinen alten Kumpel abfangen konnte und wie die Sache anzugehen war.
Da ihm klar war, dass er zum Badrutt’s keinen Zutritt bekäme, blieb ihm nichts, als sich möglichst gedeckt auf einer gegenüber dem Haupteingang befindlichen Bank zu platzieren. Von dort aus war der ganze Frontbereich des Hotels einzusehen. Gott sei Dank hatte sich die Gewitterfront verzogen, aber als Rumpelstilzchen im Regencape hätte Eddi eine schlechte Figur gemacht. Geduldig wartete er und verfolgte das Treiben vor dem beleuchteten Eingangsbereich.
Ständig fuhren irgendwelche Limousinen vor, denen elegant gekleidete Gäste entstiegen. Der Portier verneigte sich artig und bezog sein Trinkgeld. Dabei gaben sich die meisten Damen affektiert. Nicht nur die Gesten, selbst die Blicke wirkten einstudiert. Offenbar schien es beim Renommieren keine Grenzen zu geben.
Und obwohl Eddi jenes ‚Who is Who‘ albern fand, war diese Glitzerwelt ohne dem nicht denkbar. Genau genommen war es Voraussetzung für diesen ganzen ‚Zirkus‘, – entsprechend ausgetragen – dann sogar einen eigenen Reiz entwickelte. Letztlich war jeder Lackaffe stets nur Opfer eigenen Dünkels.
Die Zeit verging, ohne dass Nennenswertes geschah, bis auf einen streunenden Hund, der an der Bank sein Bein hob. Empört jagte ihn Eddi davon.
Kurz vor Mitternacht verließen die ersten Gäste das Haus. Bald bildeten die edlen Karossen eine richtige Schlange. Und ebenso hochmütig, wie die Gäste gekommen waren, fuhren sie wieder davon. ‚Voll im Bauch und leer in der Birne‘, dachte er bei sich und spie grimmig aus.
Es mochte eine weitere Stunde vergangen sein, bis die letzten Besucher das Haus verließen. Blieb nur zu hoffen, dass Alfredo den richtigen Ausgang nahm und nicht durch irgendeine Hintertür verschwand. Zuvor hatte Eddi aus zuverlässiger Quelle erfahren, dass der Maître keinesfalls dort übernachten würde.
Da weiterhin nichts geschah, wurde er unruhig. Sollte sein Informant gelogen haben? Zu guter Letzt fasste er sich ein Herz und begab sich ins Foyer. An der Rezeption erkundigte sich Eddi nach dem Maître Hochstetter. Der Bedienstete, ein junger, arroganter Schnösel, beäugte ihn abschätzig mit der stummen Frage auf den Lippen: ‚Wer hat dich denn eingelassen?‘
Augenblicklich legte Eddi nach und präzisierte, ein persönlicher Freund zu sein und in einer privaten Angelegenheit zu kommen.
„Tut mir leid. Darüber darf ich Ihnen keine Auskunft geben, Herr Corleone“, fertigte ihn dieser Milchbubi kalt lächelnd ab.
„Kennen wir uns?“
„Wie sollten wir nicht? Sie sind doch hier stadtbekannt.“ Geringschätzig sah ihn der Rezeptionist an. In der Tat verstand er sich auf das Beleidigen. Eddi fühlte sich versucht, ihn am Revers über den Tresen zu ziehen. Am liebsten hätte er ihm eine Erdnuss in die Nase gestopft. Leider erschien gerade in diesem Moment irgend so ein glatzköpfiger Bullenbeißer mit Knopf im Ohr und forderte ihn unmissverständlich auf, das Haus zu verlassen, anderenfalls …
„Was anderenfalls?“, fuhr ihn Eddi an. Kaum ausgesprochen, packte ihn das Muskelpaket am Schlafittchen und beförderte ihn nach draußen. Ein kräftiger Stoß, kombiniert mit einem wuchtigen Tritt in den Hintern, beschloss die Aktion und ließ den Ärmsten kopfüber neben der Tür in eine Rabatte stürzen.
Angewidert wischte sich das Schwergewicht die Hände an einem Lappen ab, als hätte er einen Eimer Jauche entsorgt. Eddi war am Ende. Er fühlte sich am Boden zerstört. Konnte es eine schlimmere Demütigung geben?
Er stützte sich gerade auf einen Mauersims, als ihn unverhofft eine vertraute Stimme von der Seite ansprach. „Eddi? Eddi Corleone? Ich werde verrückt! Mensch, was machst du denn hier?“
Erschrocken wandte sich der Angesprochene um und erblickte niemand anderen als seinen alten Kumpel Knolle, Alfredo Hochstetter. Er war aus einer Seitentür gekommen und hatte die ganze widerwärtige Szene mit angesehen.
Eddi glaubte, seinen Augen nicht zu trauen. Obwohl seit ihrer letzten Begegnung gute zehn Jahre vergangen waren, hatte sich Alfredo nur wenig verändert. Er war von der gleichen trägen Behäbigkeit, die ihn unkompliziert und liebenswürdig machte. So grinste er viel und wirkte dabei drollig wie ein unbedarfter Knabe. Nur sein Haar war mittlerweile leicht ergraut und kurz geschoren, weshalb sein ohnehin rundliches Gesicht noch voller wirkte.
„Du wirst es nicht glauben: Ich habe auf dich gewartet. Und das ist dabei herausgekommen“, erklärte Eddi zur Verwunderung seines Gegenübers.
„Du auf mich? Wieso?“ Alfredos Gesicht war eine einzige Frage.
„Es war ja nicht zu überlesen, dass sich der Maître heute Abend die Ehre gibt“, erklärte er in gekünstelter Ehrfurcht.
„Ach so, ja. Hehe!“ Alfredo lachte verschämt. „Und warum wartest du hier draußen? Du hättest reinkommen können.“
„Das wollte ich ja. Aber der Teufel steckt im Detail“, scherzte der Geschundene und hielt ihm, wie zum Beweis, die geröteten Handflächen entgegen.
„Wie ich sehe, bist du immer noch der Alte“, kicherte Alfredo.
„Was man von dir nicht sagen kann. Vom Tellerwäscher zum Maître de Cuisine! Wenn mir das früher jemand prophezeit hätte … Apropos, damals … Ich dachte, du bist in der Nähe von Bulle abgestiegen?“
Sogleich erzählte ihm Alfredo seine Odyssee: Nach seinem Fortgang aus dem Engadin war er zunächst durch mehrere Orte getingelt. Zu guter Letzt hatte er in der Four Seasons Hotelkette eine Anstellung als Abwäscher gefunden. Danach durchlief er einige Qualifikationen und hatte es bald darauf in die höhere Etage geschafft. Als es ihm zudem gelungen war, die Presse auf seine Seite zu ziehen und ein paar positive Resonanzen zu ergattern, lief der Rest wie geschmiert. „Weißt du, man muss nicht unbedingt gut sein. Es genügt, wenn man für gut gehalten wird. Und dafür gibt es die Presse, hahaha. Man muss nur an den richtigen