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werden. Mit großen und neugierigen Augen ging sie immer in den Raum, um mit ihnen zu üben, und kam dann aufgekratzt und zufrieden wieder heraus. Offenbar machte es ihr wirklich Spaß, seltsame Bewegungen zu lernen oder Rätsel zu lösen.

      Mit diesen Gedanken beobachtete Aulis ihre Tochter. Wenn es sie glücklich macht, dachte sie, dann soll sie weiter mit den Gott-Menschen spielen.

      Als eine Zeit-Wende zur Regenzeit kurz bevor stand, starb der Vater von Aura und Autesion. Es geschah für alle unerwartet, denn so alt war er noch gar nicht, auch wenn er fast nur noch graue Haare gehabt hatte. Doch es war ihm schon seit einigen Tagen nicht mehr gut gegangen, die drückende Hitze hatte ihm zu schaffen gemacht.

      Und dann, eines Tages, war er einfach umgefallen.

      Sofort waren Gott-Menschen gekommen, um ihn in einen Untersuchungsraum zu bringen. Viele der Menschen warteten vor der Tür darauf, dass er vielleicht wieder herauskommen würde. Womöglich war er ja nur ohnmächtig geworden …

      Dann wurde Aura in einen anderen Untersuchungsraum gebracht. In all der Aufregung wegen ihrem Vater verstand sie nicht, warum. Doch schließlich trat sie durch die Öffnung. Dort wartete bereits der Gott-Mann auf sie.

      Er zeigte ihr verschiedene Bilder: eine schwangere Frau, ein kleines Baby, ein Kind, einen erwachsenen Mann, einen alten Mann und schließlich lag der Mann bewegungslos auf dem Boden.

      Der Gott-Mann machte die Geste für „Vater“ und zeigte dann auf das letzte Bild.

      Aura wusste natürlich, dass das Leben von Menschen irgendwann aufhörte. Omi hatte ihr davon erzählt. Wenn Menschen alt waren, starben sie. Und obwohl ihr Vater um einiges älter war als ihre Mutter, so alt war er dann auch noch nicht. Er war doch sogar jünger als Omi.

      Schließlich wiederholte Aura die Geste für „Vater“ und zeigte dann auf das Bild des erwachsenen Mannes. Er war noch nicht alt genug, um zu sterben.

      Doch der Gott-Mann schüttelte den Kopf.

      „Nein. Vater. Tot.“

      „?“

      Der Gott-Mann überlegte lange. „Tot. Herz. Krank.“

      Aura war verwirrt und da der Gott-Mann ihr nicht besser erklären konnte, was passiert war, durfte sie wieder zu den anderen Menschen. Die fragten sie sofort, ob sie etwas über ihren Vater wüsste.

      „Er ist tot. Der Gott-Mann meinte, dass sein Herz krank war?“ Unsicher sah Aura sich um. Ob die anderen vielleicht wussten, was damit gemeint war. Doch alle Menschen sahen sie ratlos an. Auch Omi, die schon so viel in ihrem Leben gesehen hatte, konnte sich darunter nichts vorstellen.

      Nach einiger Zeit legte sich die Aufregung wieder. Der alltägliche Rhythmus war zurückgekehrt.

      Eines Tages fragte der Gott-Mann Aura, ob sie wegen des Todes ihres Vaters traurig wäre. Sie überlegte kurz, dann schüttelte sie den Kopf. Ihr Vater hatte nie wirklich eine große Rolle in ihrem Leben gespielt.

      Es zogen einige Zeit-Wenden an Aura und ihrem Bruder vorbei, ohne dass sich in ihrem Leben viel verändert hätte. Natürlich waren sie älter geworden. Dennoch waren ihre Tage geprägt von einer oftmals zähen Routine. Autesion ging seinem Bewegungsdrang nach, indem er im Außenbecken schwamm, festgelegte Distanzen sprintete oder mit einigen der anderen Menschen körperliche Übungen durchführte. In regelmäßigen Abständen übten die Gott-Menschen mit ihm kleinere Bewegungsabläufe ein, die er dann den Besuchern vorführen konnte.

      Aura war ruhiger als ihr Bruder. Zwar trieb auch sie Sport – besonders das Laufen machte ihr viel Freude, auch wenn es an einer abwechslungsreichen Strecke mangelte – doch konnte sie im Gegensatz zu Autesion auch gut still sitzen und sich konzentrieren. Die Gott-Menschen gaben ihr oft Aufgaben, die sie lösen musste: Matheaufgaben, Bilder logisch zusammenfügen, mit Geschicklichkeit eine Murmel aus einem Gefäß holen. Zusätzlich lernte sie immer neue Wörter, um mit dem Gott-Mann zu kommunizieren.

      Trotz all dieser Aktivitäten saßen Aura und Autesion oft beieinander und beobachteten gelangweilt die Gott-Menschen, die auf der anderen Seite der Schutzkuppel zu ihnen hinein blickten.

      Hin und wieder ging Aura ganz nah an die Scheibe und legte ihre Handfläche darauf. Manchmal tat ein Gott-Kind auf der anderen Seite das Gleiche. Und wenn sie dem Gott-Kind dann in die Augen sah, die Hände nur von der Schutzkuppel getrennt, erahnte Aura, wie viel sie gemeinsam hatten. Und wie viel sie doch trennte.

      Autesion schien gar nicht mehr mit dem Wachsen aufhören zu wollen. Mit seiner Körpergröße wuchs auch sein Appetit, weswegen die Essensportionen, die die Gott-Menschen ihm zudachten, immer größer wurden.

      Irgendwann war er schon so groß wie seine Schwester. Aura war oft überrascht zu sehen, wie schnell er doch wuchs. Dabei kam ihr immer wieder in den Sinn, dass auch sie sich schnell veränderte, ihre Gliedmaßen wurden länger, das Gesicht schmaler und weibliche Rundungen zeigten sich. Der Chip in ihrem Arm blinkte immer öfter.

      Ihre Mutter Aulis und Omi hatten ihr erklärt, was mit ihrem Körper geschah. Dass diese Veränderungen ganz normal seien. Auch die Gott-Menschen zeigten nach körperlichen Untersuchungen, dass alles in Ordnung war. Das hatte Aura beruhigt.

      Aura und Autesion entwickelten sich prächtig. Die Gott-Menschen waren sehr zufrieden. Die Geschwister schienen gute Voraussetzungen dafür zu haben, ihren Teil zur äußerlichen Vielfalt beizutragen. Autesion würde seinen verstorbenen Vater als neuer Zuchtmensch ersetzen und dabei hoffentlich sowohl seine gute körperliche Konstitution als auch seine roten Haare weitervererben.

      Seine Schwester hatte ähnliche Anlagen in sich, auch wenn man es nicht so deutlich sah. Dennoch übte ihr langes lachsfarbenes Haar eine gewisse Faszination auf die Besucher aus. Viel wichtiger waren jedoch ihre kognitiven Fähigkeiten. Es war schon lange nicht mehr gelungen, einen Menschen eine vereinfachte Zeichensprache beizubringen, um so mit ihm kommunizieren zu können. Allein deswegen musste Aura für die Zucht eingesetzt werden. Sollte dann auch noch ihre Veranlagung für rote Haare an Nachkommen weitergegeben werden – umso besser!

      Und so geschah es, dass die Gott-Menschen für Aura und Autesion zu suchen begannen: zum einen ein neuer Zoo, zum anderen eine geeignete Partnerin.

      Aura setzte sich dem Gott-Mann gegenüber auf den Stuhl. Reflexartig schob sie dabei ihren Haarzopf nach vorne, damit er nicht zwischen ihrem Rücken und der Lehne eingeklemmt wurde. Entspannt sah sie sich um. Hektik war nicht angebracht, immerhin hatte sie einen ganzen Tag voller Langeweile Zeit.

      „Wie geht es dir. ?“

      „Gut.“ Aura sah jetzt den Gott-Mann an. „Wie geht es dir. ?“

      „Gut.“

      Für gewöhnlich war dass der Moment, in dem der Gott-Mann ein Thema begann oder ihr etwas Neues beibrachte. Doch an diesem Tag sah er sie lange an. Aura wurde dann doch etwas nervös und rutschte auf dem Stuhl umher. Es gefiel ihr gar nicht, dass der Gott-Mann sie anstarrte.

      Schließlich erlöste er sie aus ihrem Unbehagen. „Wichtig.“

      Das war auch Aura mittlerweile klar geworden. „Ja.“

      „Du. Weggehen.“

      Überrascht sah Aura ihn an. „Wohin. ?“

      „Weit.“

      „Wie lange. ?“

      Der Gott-Mensch sah kurz auf seine Hände. „Immer.“

      Langsam begriff Aura, was ihr hier eröffnet wurde. Sie musste einige Male blinzeln. Sie sollte für immer von hier fortgehen? „Familie. ?“

      Ein schwaches Kopfschütteln. „Nein. Familie. Bleibt.“

      Aura biss sich auf die Lippe, damit der Gott-Mann nicht sah, dass sie zitterte. „Wieso. ?“

      „Du. Weggehen. Dort. Familie. Neu. Kinder.“

      Es dauerte einen Moment, bis Aura verstand, was er meinte. „Wieso. ?“

      „Haare.

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