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Aulis nie von der Seite ihres Sohnes wich, verbrachte Aura viel Zeit mit Omi. Die hatte wenigstens kein lärmendes Balg, um dass sie sich kümmern musste. Also erzählte sie eben Omi von ihren Klettertouren im Außengehege oder den Spielen mit den Gott-Menschen.

      „Gefallen dir die Spiele“, fragte sie dann.

      Aura nickte. „Dann ist es nicht so langweilig.“

      Omi lächelte wissend. „Wer weiß, vielleicht zeigst du sie uns mal allen?“

      „Aber wie soll das denn gehen“, fuhr Aura auf. „dafür brauche ich den Gott-Mann und der ist ja nicht hier.“

      Leise kicherte Omi.

      Doch eines Tages änderte der Gott-Mann die Spielumgebung. Er ging mit Aura an der Hand aus dem Untersuchungsraum, durch das Innengehege nach draußen. Dort waren bereits andere Gott-Männer, die dafür sorgten, dass die Menschen nicht auf den großen Platz liefen, auf dem kein Baum stand. Ängstlich blickte Aura sich um. Was passierte jetzt?

      Hinter der Schutzkuppel standen viele Gott-Menschen, die in das Außengehege blickten. Der Gott-Mann neben ihr schien etwas zu sagen, doch Aura verstand ihn nicht. Die anderen Gott-Menschen klatschten.

      Dann ging der Gott-Mann einige Schritte von Aura weg, bedeutete ihr, aufmerksam zu sein – der Beginn ihres Spiels – und streckte ihr dann seine Handfläche entgegen.

      Es war ganz still geworden.

      Die anderen Gott-Menschen verwirrten Aura. Außerdem war es ungewohnt, dass jeder sie ansah, sogar die anderen Menschen.

      Der Gott-Mann wiederholte seine Geste.

      Aura entdeckte Omi, die hinter Aulis stand. Ihr kleiner Bruder saß auf dem Boden und versuchte, einen Stein zu essen. Aufmunternd lächelte Omi zu Aura.

      Schließlich nahm sie allen Mut zusammen und legte ihre Handfläche an die des Gott-Mannes. Der atmete erleichtert aus und gab Aura ein Stück Melone.

      Wieder klatschten die anderen Gott-Menschen, was Aura so überraschte, dass sie einige Schritte zurücksprang.

      Der Gott-Mann bat um Ruhe. Dann wandte er sich wieder Aura zu. Sie sollte springen, sich um sich selbst drehen, klatschen und sich ganz flach und ruhig auf den Boden legen. Mit jeder Übung, die sie hinter sich brachte – und jedem Stückchen Obst, das sie dafür bekam – wurde sie selbstsicherer. Es geschah gar nichts Schlimmes. Sie spielte einfach nur das Spiel mit dem Gott-Mann.

      Am Ende aber wollte er, dass sie ihm einen Kuss auf die Wange gab. Aura wurde ganz rot und sah sich um. Nein, das war zu viel. Die ganzen Gott-Menschen, das Spiel im Freien, die auf sie gerichteten Blicke, das eklige Gefühl des Anzuges an ihren Lippen … Aura schüttelte den Kopf. Nein, das wollte sie wirklich nicht tun.

      Der Gott-Mann wiederholte seine Geste.

      Aura wich zurück und schüttelte den Kopf.

      Ihre Mutter wurde unruhig. Sie wusste nicht, was der Gott-Mann von ihr wollte und warum Aura so eine Angst davor zu haben schien. Diese Unruhe überfiel schließlich auch die anderen Menschen.

      Als der Gott-Mann das bemerkte, beendete er das Spiel. Er warf Aura das letzte Stück Melone hin, verbeugte sich vor den anderen Gott-Menschen außerhalb der Schutzkuppel und verließ dann das Gehege.

      Die Menschen waren wieder unter sich.

      Aulis lief sofort zu ihrer Tochter – Autesion auf dem Arm – um nach ihr zu sehen. Auch die anderen Menschen kamen. Abwechseln lobten sie Aura für ihre Fähigkeiten, andererseits wollten sie wissen, ob es ihr auch gut ginge. Doch sie hörte fast nicht zu, nickte nur hin und wieder.

      Das war alles etwas zu viel Aufregung für einen Tag gewesen.

      Der Gott-Mann wiederholte das Spiel nun öfter im Außengehege. Irgendwann spielten sie nur noch im Untersuchungsraum, wenn Aura neue Bewegungen lernen sollte. Und mit jedem Mal wurde sie sicherer. Es gefiel ihr sogar, den ganzen Menschen und Gott-Menschen zu zeigen, was sie konnte. Außerdem bekam sie so immer leckeres Obst.

      Irgendwann überwand sie sich und gab dem Gott-Mann auch den Kuss auf die Wange. Dafür gab es dann wirklich viel Obst und Nüsse. Also tat sie das jetzt jedes Mal, wenn er es wollte.

      Autesion beobachtete seine Schwester mit seinen großen runden Augen. Er gluckste oft vor Freude, wenn Aura sich drehte, sprang oder auf einem Bein stand. Hin und wieder versuchte er, mitzuspielen, was jedoch Aulis immer wieder unterband.

      Dennoch machte es Aura seltsam stolz, dass ihr kleiner Bruder ihre Bewegungen imitierte.

      Je größer Autesion wurde, desto mehr konnte Aura mit ihm machen. Sie passte auf ihn auf, wenn er im Wasser spielte, kletterte mit ihm auf Bäume – jedoch nur, wenn ihre Mutter nicht zusah – oder brachte ihm das Spiel bei, dass sie mit dem Gott-Mann spielte, nur dass sie dessen Rolle übernahm. Sie schloss ihren Bruder immer mehr in ihr Herz.

      Der Junge entwickelte sich prächtig und hatte die äußerlichen Merkmale, die die Gott-Menschen sich gewünscht hatten: feuerrote Locken. Außerdem hatte er einen unglaublichen Bewegungsdrang, was auf körperliche Fitness schließen ließ.

      Da Omi nun nicht mehr ständig Aura ihre Aufmerksamkeit schenken musste, widmete sie sich wieder der Malerei. Das Mädchen beobachtete sie oft staunend, wie sie die Pulver, die sie von den Gott-Menschen bekam, vorsichtig mit Wasser vermischte und sie dann auf die weißen Leinwände strich. Aura fragte sie einmal, was mit den Bildern geschah, wenn sie sie fertiggestellt hätte. Doch Omi zuckte nur mit den Schultern.

      „Das ist mir nicht wichtig. Ich will sie nur malen, nicht anstarren.“

      In diesem Trott aus Spielen mit ihren Bruder, Beobachtungen von Omis Malkunst und den Übungen mit dem Gott-Mann vergingen viele Zeit-Wenden. Aura lernte immer neue Bewegungsabläufe und Befehle. Irgendwann begannen sie, ihr Gesten beizubringen, die für Gegenstände standen. Dafür zeigten sie ihr ein Bild und führten dann die dazugehörige Gebärde aus. Anfangs hatte Aura nicht ganz verstanden, was das sollte, doch es war ein Spiel für sie, und Spiele bedeuteten Abwechslung.

      Sie wollte die Gebärden auch Autesion beibringen, doch dem fehlte dafür die Geduld. Außerdem sagte er, dass Spiel wäre total unsinnig und langweilig. Ihm war mehr nach springen, klettern oder schwimmen. Ständig war er in Bewegung. Er spielte gerne mit Aura fangen, denn wenn er es geschickt anstellte, konnte er sie sogar einholen, obwohl sie älter war als er. Dann stahl sich ein unverschämt breites Grinsen auf sein Gesicht.

      Nachdem die Gott-Menschen gesehen hatten, dass Aura die Gebärden für Gegenstände gut lernte, begannen sie, ihr auch Wörter für Handlungen zu zeigen. Dafür mussten sie mit Filmen arbeiten, die die Bewegungen zeigten, oder sie selbst vormachen. Das war um einiges schwieriger als das Erlernen von Gegenstands-Gebärden, doch es zeigten sich nach einiger Zeit die ersten Erfolge. Dennoch war es ein harter und langer Weg.

      Schließlich lernte Aura auch, Fragen zu stellen. Als das geschafft war, konnten die Gott-Menschen anfangen, mit ihr zu kommunizieren.

      „Du. Essen. ?“

      „Ja.“

      „Reis. ?“

      „Nein. Brot.“

      „Gut. ?“

      Aura überlegte und bewegte den Kopf ganz leicht hin und her. Dann zuckte sie mit den Schultern. Die Gebärde für „normal“ oder „wie immer“ kannte sie noch nicht.

      Als Aura ihrer Mutter erzählte, dass sie nun mit den Gott-Menschen reden konnte, starrte die sie fassungslos an. Natürlich wussten auch die Menschen oft, was die Gott-Menschen von ihnen wollten –zusammenbleiben, herkommen, die Zähne zeigen – aber wirklich mit ihnen kommunizieren konnte niemand.

      Aulis wusste nicht, ob sie stolz auf ihre Tochter sein sollte oder beunruhigt. Sie konnte auch nicht einordnen, ob sie es gut fand, dass Aura so viel Zeit mit den Gott-Menschen verbrachte. Die anderen Menschen gingen nur zu ihnen, wenn sie untersucht werden

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