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ein Dieb, der etwas zu verbergen hat. Ich sehe, dass er mit der einen Hand etwas Rotes vor seine Brust drückt. Er schaut darauf hinunter. Immer wieder streicht er mit den Fingern der anderen Hand darüber und flüstert „Stone, tauri, stone, tauri.“

      Schließlich wendet er sich mir zu und steht zögernd auf. Langsam kommt er auf mich zu. Dabei presst er das rote Etwas immer noch an seine Brust.

      Ich kann nicht erkennen, was es ist, aber zumindest scheint es nichts Blutiges zu sein, wie ich zu meiner großen Erleichterung feststelle. „Jean, was ist das?“

      „Stone, tauri“, flüstert er andächtig und schaut mich mit großen Augen an.

      „Und den willst du mir geben?“

      Jean schüttelt wild den Kopf. „Non, non, non!“

      Langsam blicke ich nicht mehr durch, was will er denn dann?

      Jeans Blick wandert immer wieder mit auffälligem Blinzeln zu meiner Hosentasche und ich beginne allmählich zu begreifen, dass er seinen wertvollen Schatz tauschen will – gegen meinen Taschenspiegel.

      Ich habe keine Ahnung, was der Stein vom Stier sein soll, aber da dieser Stier etwas mit Felix’ Verschwinden zu tun hat, will ich ihn mir wenigstens mal ansehen.

      „Zeig mir den Stein Jean“, sage ich und greife dabei in meine Hosentasche, wo der Taschenspiegel steckt. Jeans Augen blitzen auf und er kichert aufgeregt, während ich den Spiegel langsam aus der Tasche ziehe. Ich halte meinen Spiegel nun genauso vor der Brust verborgen, wie er seinen Stein, oder was auch immer das sein mag.

      „Ich will erst sehen, ob das wirklich ein guter Stein ist, dann bekommst du auch meinen guten Spiegel.“

      Hektisch schaut Jean auf mich, auf meine Hände und wieder in mein Gesicht.

      „Zeig ihn mir Jean, only regardez, not touchez“, wiederhole ich seine Worte von vorhin.

      Immer noch misstrauisch streckt Jean seine schmutzigen Hände vor, in denen etwas Rotes liegt. Ich kann nicht erkennen, was es ist und beuge mich ein wenig vor.

      „Verdammt! Ein Stück von einem Rücklicht“ stößt Diego plötzlich atemlos neben mir aus. Ich schreie auf vor Schreck und springe dabei ein Stück zur Seite. Ich habe Diego überhaupt nicht kommen hören, so konzentriert war ich bei diesem Handel. Schnell zieht Jean den Stein wieder zurück und drückt ihn an seine Brust. Auch er scheint ganz verwirrt, dass Diego so plötzlich neben mir steht, denn er schaut ihn mit großen Augen an und beginnt zu wimmern.

      „Sch, sch, ist doch gut Jean“, versuche ich ihn zu beruhigen. „Diego tut dir doch nichts. Er wollte doch nur deinen schönen Stein sehen.“

      „Non, non, non!“ Jean schüttelt den Kopf. Ganz verzweifelt springt er hin und her. Ich verstehe nicht, warum er mit einem Mal so aufgeregt ist.

      Könnte der Splitter vielleicht ein Beweismittel sein? „Jean, ich gebe dir den Spiegel und du gibst mir den Stein, okay?“, versuche ich ruhig auf ihn einzureden.

      Jean schaut an uns vorbei und horcht auf irgendwas. Er wird immer unruhiger. Schließlich hält er mir mit einer ruckartigen Bewegung seinen Stein entgegen. Ich nehme ihn und halte ihm meinen Taschenspiegel hin. Er reißt ihn mir aus der Hand, dreht sich um und verschwindet mit meinem Spiegel jammernd und klagend im Wald.

      „Was ist denn mit dem los?“ Ratlos schaue ich Diego an, während ich die Rücklichtscherbe in meiner Hosentasche verstaue. Vielleicht ist der ja von dem Wagen, der Felix hierher gebracht hat. Diego blickt mit gerunzelter Stirn über seine Schulter zurück und murmelt „Lana, ich glaube wir haben ein Problem!“

      Alarmiert fahre ich herum und sehe in die Richtung, in die auch Diego starrt.

      Eine Meute von Menschen kommt auf uns zugestürmt. Sie sind bewaffnet mit Stöcken, Mistforken und Sensen. Zwischen ihnen rollt eine uralte Peugeot 403 Camionette mit offener Ladefläche. Der Wagen ist so alt, dass man seine Farbe nicht mehr bestimmen kann. Ist er grau oder blau, oder beides? Aber das ist eigentlich auch egal, denn die Fracht, die er befördert, ist noch weitaus erstaunlicher:

      Hoch aufgerichtet steht ein großer, hagerer Mann in einer schwarzen wehenden Kutte breitbeinig auf der Ladefläche. Mit der rechten Hand streckt er einen großen Dreizack über seinen Kopf, während er sich mit der anderen Hand an dem Metallgestänge fest hält. Quer über dem unteren Teil des Dreizacks ist eine schmale Latte befestigt, und so sieht das Ganze aus wie ein groteskes Kreuz.

      Die weißgrauen langen Haare des Mannes wehen im Fahrtwind. Zwischen seinen fahlen, rot gefleckten knochigen Wangen sitzt eine schmale Hakennase. Seine Augen sind weit aufgerissen. Die schmalen Lippen hat er in einer fratzenhaften Grimasse von Hass und Wut über seine langen Zähne zurückgezogen. Trotzdem bewegen sich diese Lippen pausenlos und scheinen irgendwelche Verwünschungen oder Beschwörungsformeln auszustoßen.

      Rechts und links vom Wagen rennt die johlende Menge und schwingt ihre Waffen. Ich sehe alte Weiber in schwarzen Gewändern, die keifend und zeternd ihre zahnlosen Münder aufreißen. Daneben junge Frauen und sogar Kinder. Allen voran stürmen Männer unterschiedlichen Alters mit flatternden breitkrempigen Hüten in Latzhosen und karierten Hemden auf uns zu.

      „Diego.“ Unsicher rücke ich dicht an ihn heran, „Was sind das für Leute?“

      Diego neben mir ist ganz blass geworden und starrt gebannt auf den Mann auf der Ladefläche. „Der Inquisitor“ knurrt er nur und setzt hinzu: „Keine Zeit für Erklärungen, Lana. Wir sollten schleunigst machen, dass wir hier weg kommen!“ Er packt meine Hand und zieht mich zum Porsche. Ungefähr fünfzig Meter trennen uns von dem rettenden Wagen. Er zieht mich so plötzlich in Richtung des Autos, dass ich fast das Gleichgewicht verliere. Stolpernd schließe ich zu ihm auf. Schnell steigen wir in den Wagen.

      Die Menge kommt immer näher. Schon stoppt der Peugeot, der Fahrer springt aus dem Auto und klappt die Seitenwand herunter. Der Inquisitor springt von der Ladefläche.

      Diego startet eilig den Wagen. Kaum springt der Motor an, da hat uns die wütende Menge auch schon eingeschlossen. Laut schreiend schwingen sie ihre Waffen. Sie schlagen nach uns und auch die vordere Haube des Wagens wird von einigen kräftigen Hieben getroffen.

      Klirrend kracht eine Sense direkt vor mir auf die Windschutzscheibe. Ich ducke mich und brülle verzweifelt „Diego, tu doch was!“

      „Zu spät!“ Diego sieht starr geradeaus und beobachtet den Inquisitor. „Nun kommt Plan B, vertrau mir einfach.“

      Na toll, wir sind umringt von einer mordlustigen Menge. Die wenigsten von diesen Typen wirken normal und ich soll Diego vertrauen? Und Plan B klingt auch nicht gerade vielversprechend.

      Einige der Männer stoßen mit zornigen Gesichtern ihre Mistforken in die Reifen des Wagens. Ein Zischen ist zwischen ihrem Gebrüll zu hören und ich spüre, wie der Porsche sich auf die Felgen senkt. Mist!

      Das Geschrei um uns herum ist ohrenbetäubend. Ich verstehe nicht, was sie rufen. Es scheint ein Sprachgemisch zu sein. Neben französischen Worten, erkenne ich auch spanische, italienische und englische Wortfetzen. Genau wie bei Jean. Was wollen die von uns?

      Wir können nur hilflos zuschauen, wie die wütende Meute auf den Wagen einhackt. Ich habe solche Angst, dass mich eine ihrer schwingenden Sensen trifft, das ich die Hände schützend über meinen Kopf halte. So ausgeliefert habe ich mich noch nie gefühlt. Alle wüten und schreien über uns herum, während wir tief unter ihnen in dem flachen, offenen Sportwagen gefangen sind. Die Menge ist erdrückend. Vor lauter wütenden Gesichtern ist kaum noch der Himmel zu sehen und das Gekreische aus den hassverzerrten Mündern lässt mich erzittern.

      Mit einem Mal wird es still. Vorsichtig wage ich einen Blick und sehe, wie die Leute dem Inquisitor Platz machen. In der entstandenen Gasse schreitet der Anführer der Gruppe würdevoll mit erhobenem Dreizackkreuz auf unseren Wagen zu, während die Menge hinter ihm aufschließt. Ihre grimmigen Blicke lassen keinen Zweifel daran, dass sie jederzeit wieder zuschlagen werden, sollte es notwendig sein, ihren Anführer zu verteidigen.

      Der Inquisitor baut sich vor

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