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abhacken, als freiwillig einen aus dem Ort auf den Hof zu lassen. Sind halt komische Leute.“

      „Und die haben die Frau zur Polizei gebracht?“

      „Ach wo! Zum Doktor. Doktor Sabatier hat sie untersucht und ihre Wunden versorgt. Dann haben sie einen Ambulanzwagen bestellt und sie nach Draguignan bringen lassen. Der Doktor meinte, dort in der Klapsmühle sei sie am besten aufgehoben. Da sind dann auch die Aufnahmen für das Fernsehen gemacht worden. Nach hier ist natürlich wieder mal niemand gekommen.“

      „Natürlich nicht!“, nickte Diego eifrig. „Dabei hätten sie hier viel mehr erfahren können, die Fernsehleute. Zum Beispiel von Ihnen.“

      „Genau!“, freute der Mann sich. „Denen hätte ich Sachen erzählen können – Sachen! Hier passiert nämlich immer was. Heute Morgen ist zum Beispiel der Laster von denen – Er zeigte wieder in Richtung des Hofes – in die Schlucht gekippt. Der Fahrer hat gesagt, ihm wäre ein Reifen geplatzt und er hätte gerade noch rausspringen können, aber meiner Meinung nach war der einfach nur besoffen. Die tun nämlich nur so heilig da oben. In Wirklichkeit sind das bestimmt ...“

      Lana hörte nicht mehr hin. Also hatte der Schotter unter dem Vorderrad doch noch nachgegeben und der Lastwagen war abgestürzt. Sie spürte, wie ihr die Knie schwach wurden. Das hätte auch passieren können, als Diego noch auf dem Trittbrett gestanden hatte.

      „He, Fräulein! Ist Ihnen schlecht?“ Der Alte auf der Bank war viel aufmerksamer, als Lana gedacht hatte. Besorgt sah er sie an.

      „Ich hätte gern ein Glas Wasser“, brachte Lana mühsam hervor und griff nach Diegos Hand. „Wo ist denn hier die nächste Bar?“

      „Da vorne gleich.“ Der Mann zeigte die Straße hinauf.

      „Danke, Monsieur!“ Diego verlor keine Zeit. Fest umfasste er Lana und stützte sie, bis es ihr wieder ein wenig besser ging. „Was ist denn los?“, wollte er wissen, als die Bar nach ein paar Schritten in Sicht kam.

      „Ich hab gerade den Laster in die Schlucht stürzen sehen, und da ist mir schlecht geworden.“

      „Aber dem Typen ist doch nichts passiert!“

      „Mann! Es geht doch nicht um den Fahrer.“ Lana machte sich aus Diegos Griff frei, baute sich vor ihm auf und blitzte ihn böse an. „Es geht um dich, du Idiot! Ich habe dich nämlich gleich mit abstürzen sehen.“

      „Ja, äh, komm, wir setzen uns erst mal.“ Diego führte Lana die letzten Schritte bis zu der Bar. Er schob ihr draußen einen Stuhl zurecht, der im Schatten stand und bestellte Wasser für sie beide. „Tut mir Leid, dass ich so ein Idiot bin“, sagte er. „Weißt du: ich liebe dich, aber ich muss mich erst an den Gedanken gewöhnen, dass ich dir auch etwas bedeute. Das ist ein seltsames Gefühl.“ Er nestelte verlegen an der Tischdecke herum. „Ich kann damit einfach noch nicht umgehen.“

      Lana wartete ab, bis der Wirt das Wasser gebracht hatte. „Was soll ich denn machen, damit du mir glaubst?“, platzte sie dann heraus. „Mach doch nicht so ein verdammtes Geheimnis aus dir. Jedes Mal, wenn ich versuche dich zu verstehen, weichst du zurück. Warum machst du das?“

      „Lana, ich mache das doch nicht mit Absicht. Ich bin mir doch selbst ein Geheimnis. Du denkst, dass ich ein netter Kerl bin, und das will ich für dich auch sein; aber die Wahrheit ist, dass ich Angst davor habe, dass ich dir wehtue, ohne es zu wollen.“

      „Aber du bist ein netter Kerl! Warum solltest du mir wehtun? Warum denkst du so was?“

      „Du hast vorhin doch erlebt, für wie nett manche Leute mich halten. Sie fürchten sich vor mir und ich kann sie sogar verstehen.“

      „Der Lastwagenfahrer hatte auch Angst vor dir. Was hast du mit denen zu schaffen? Du sagst, die sind nicht verrückt. Was wissen die von dir?“

      „Das, was mit Felix passiert ist ...“

      „Ja?“

      „Das war kein Einzelfall.“

      „Was?“ Lana glaubte, sich verhört zu haben.

      „Ich gehöre zu einem Volk, das so etwas wie einen Fluch mit sich herumträgt. Es ist die Alte Schuld. Wir sind damit geboren. Es ist so schwer zu erklären.“

      „Deswegen deine Geheimnistuerei?“ Lana hörte, wie Diego kurz die Luft einsog und spürte, dass er eigentlich etwas sagen wollte. Er blieb dann aber doch stumm. „Was für ein Volk ist das?“, fragte sie. „Und was für ein Fluch? Dieser Inquisitor hat dich Darksider genannt. Nennt ihr euch so? Was hat das alles zu bedeuten?“

      Diego atmete tief ein, aber seine Stimme war ganz leise als er sprach: „Darksider ist eigentlich ein Schimpfwort. Fast alle, die uns kennen, hassen uns. Sie rechnen uns der dunklen Seite der Schöpfung zu, und sie haben Recht. Wir sind alle mit einem dunklen Fluch belastet. Viele schämen sich dafür, und noch mehr von uns leben ihre dunklen Triebe aus, aber Darksider sind wir allesamt. Daher die Bezeichnung. Der richtige Name für mein Volk ist eigentlich Seasider, aber dieses Wort benutzen wir fast nie.“

      „Ein dunkler Fluch? Aber was tut ihr denn, dass ihr so gehasst werdet? Jetzt sag es mir endlich. Hat das irgendwas mit Felix zu tun? Hast du was damit zu tun?“

      „Ich nicht, aber meine Familie wahrscheinlich. Das wird für dich jetzt schwer zu glauben sein, aber wir haben die Möglichkeit, Menschen einen Teil der Lebenskraft zu nehmen und sie für uns selbst zu verbrauchen. Die meisten von uns verjüngen sich auf diese Art, aber sie verhalten sich so, dass die Menschen nicht allzu sehr zu Schaden kommen.“

      „Warte mal! Ihr nehmt das Blut von Menschen und filtert da jungmachende Stoffe für euch raus?“

      „So ähnlich“, gab Diego zu. „Aber das machen nicht alle von uns. Ich zum Beispiel ...“

      „Ihr nehmt Menschen das Leben weg, für ein bisschen Kosmetik? Für schöne, straffe Haut und so?“

      „Nicht nur Kosmetik. Da steckt ...“

      „Und eure Opfer sehen dann so aus wie Felix?“

      „Normalerweise nicht. Da hat jemand die Beherrschung verloren.“

      „Ach ja? Nur ein kleiner Unfall, ja? So siehst du das?“ Lana stieß ein verzweifeltes Lachen aus. „Normalerweise kommen eure Opfer nicht allzu sehr zu Schaden, sagst du? Echt beruhigend! Normalerweise! Hör dir mal selbst zu, was du da sagst.“

      „Lana, du siehst das falsch ...“ Diego machte eine hilflose Handbewegung.

      „So? Tue ich das? Was kommt jetzt als Nächstes? Soll ich auch was von meiner Lebenskraft spenden? Wo soll ich unterschreiben? Hast du die Liste in der Tasche?“

      „Du bist nicht in Gefahr.“ Diego sah zu Boden.

      „Und das soll ich dir glauben? Du kannst mir ja noch nicht einmal in die Augen sehen. Die ganze Zeit seit Felix weg war, bist du um den heißen Brei herumgeschlichen und jetzt haust du mir das hier um die Ohren!“

      „Jetzt hör mir doch zu.“

      „Zuerst sagst du mir jetzt, ob du das auch schon mal gemacht hast.“

      „Lebenskraft genommen? Einmal, aber ...

      „Na toll! Das war die Geschichte, die du mir am Strand erzählt hast. Die von dem toten Mädchen, ja?“

      „Ja, aber ...“

      „Und jetzt denkst du wohl, dass du dein nächstes Opfer gefunden hast.“

      „Glaub mir doch. Du bist wirklich nicht in Gefahr. Du bist nicht der Typ dafür.“

      „Och - Nicht der Typ dafür? Deswegen hast du mich ausgesucht? Sehe ich für dich aus wie ein gutes Spielzeug? Ein feines Püppchen? Bin ich solide genug? Werde ich nicht so schnell kaputtgehen?“

      „Lana!“

      „Mir reicht’s!“ Lana stand auf. „Versuch nicht, mir hinterherzukommen.“ Sie drehte sich um und ging mit schnellen

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