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„Ich bin in einem Tramwaywaggon, der zur Franz-Josef-Bahn fährt. Ein Pferd ist vorgespannt mit einem Zügel aus einem dünnen Strick. Der Strick zerreißt...“

      Diesen Traum träumte ich im Herbat nach Rückkehr meiner Frau aus einer Sommerfrische an der Franz- Josef-Bahn. Eine deutliche Wunscherfüllung, das zügellose Leben eines Strohwitwers fortzuführen; offenbar eine dunkle Unterströmung des Unbewussten. In Wirklichkeit war ich glücklich darüber, dass meine Frau die Zügel des Haushaltes wieder in die Hand genommen hatte und ich in geordneten Verhältnissen leben konnte. Meine Strohwitwerfreiheiten habe ich niemals ausgenützt. –

      Aber ein geheimer Wunsch war doch vorhanden!

      Das Zugpferd bin natürlich ich. Eine beliebte Symbolik für den Ehemann im Gegensatze zur Frau, die als Wächter erscheint. Die Bande, die mich an die Ehe knüpfen, sind in diesem Traume sehr dünne. Der Strick reißt. (Doppelsinnig: der Strick, d. h. der leichtsinnige Kerl reißt aus!) Auch der Todeswunsch dringt durch die Traumgedanken. Die Parzen (Schicksalsgöttinnen) durchschneiden den Lebensfaden (Der Lebensfaden heißt im Volksmunde auch der Penis. (Anthropophyteia. II. Bd. S. 112.) Das Schuldbewusstsein sich durch Onanie (Ziehen am Lebensfaden) das Leben verkürzt zu haben, ist ebenfalls ein latenter Traumgedanke. Die Vorwürfe, die man sich wegen der infantilen Onanie macht, spielen in den Neurosen eine große Rolle und finden sich als schwer aufzulösende Vexierbilder gleich den Todesgedanken in den meisten Träumen). Der Lebensfaden reißt.

      Die infantile Schichte ist durch die Franz-Josef-Bahn — (Kaiser Franz Josef = Vater) bezeichnet. Ich komme wieder in das Jugendland, ich kehre zur Mutter zurück und... verlasse meine Frau.

      Wir haben gesehen, wie der Traum unsere geheimen Wünsche erfüllt oder… unsere geheime Angst enthüllt. Angst und Wunsch sind Geschwister. Es gibt im Traume keine Angst, die nicht einmal ein Wunsch gewesen. Ich habe in meinem Buche „Nervöse Angstzustände“ (Urban und Schwarzenberg 1908) an einer großen Reihe von Angstträumen den Beweis erbracht, wie die geheimen Wünsche der Neurotiker im Traume als Angst auftreten.

      Ich möchte dieses Kapitel mit einem kurzen, aber lehrreichen Traum beschließen, der die Beziehungen zur Angst in einwandfreier Weise klarlegt.

      Ein ca. 80jähriger Mann leidet an einer schweren Perversion. Er begehrt nur Kinder unter 10 Jahren. Diese Leidenschaft hat er mit Energie und Erfolg bekämpft. Er wusste seine Bestie in Ketten zu halten. Eine seiner Lieblingsideen war es, sich eine Situation auszudenken, in der die Ausführung der Perversion für ihn keine Sünde wäre. Z. B., wenn ihn Räuber dazu zwingen würden… Dann wäre er ja unschuldig und könnte sich vor der irdischen und himmlischen Gerechtigkeit mit Hinweis auf die vis major (höhere Gewalt) verteidigen.

      Dieser Mann träumte:

      (24.) „Ich wurde auf freiem Felde von einem Pülcher (Ein Wiener Ausdruck für einen „Strolch“), einem sehr starken Burschen verfolgt. Dieser hatte ein kleines Mädchen mit. Ich fürchtete, dass er mich zwingen könnte, mit dem Mädchen den Geschlechtsakt auszuführen, dachte mir aber dann: schließlich würde ich mir heute schon nicht gar so starke Gewissensbisse daraus machen. Ich lief und traf dann Leute, so dass ich gerettet war.“

      Der Träumer möchte also einen sündhaften Akt vollziehen unter Umständen, die ihn von der Sünde freisprechen. Er sucht die force majeure (höhere Gewalt) des Schicksals, in der Gestalt eines „Pülchers“ (Wiener Ausdruck für Strolch). Aber selbst dieser alte Wunsch ist jetzt infolge der Hemmung in Furcht verwandelt. (Vergleiche den Fall eines Rabbiners in „Nervöse Angstzustände“, Seite 165.)

      Dieser Traum ist die Übertragung einer wachen Phantasie ins Traumleben. Er zeigt uns ein sonderbares Grenzgebiet, wo Wunsch und Angst in einen Affekt zusammenfließen.

      * * *

      Der Traum vom versunkenen Baum

       Der Traum vom versunkenen Baum

      „Fürchterlich tief leuchtet der Traum in den uns gebauten

      Epikurs- und Augiastall hinein, und wir sehen in der Nacht

      alle die wilden Grabtiere und Abendwölfe

      ledig umherstreifen, die am Tage die Vernunft

      an der Kette hielt.“ Jan Paul

      Wir haben an den Beispielen der Bibel und des Artemidoros und im vielen anderen Träumen gesehen, wie die Symbolik den Schlüssel zu einer Traumdeutung liefern kann. Man sollte also glauben, eine genaue Kenntnis aller Traumsymbole müsste uns eine glatte Erklärung des Traumes ermöglichen. So einfach ist die Sache nicht. Hie und da kann man freilich schon bei flüchtiger Durchsicht eines Traumes seinen Inhalt erkennen. Aber nur hie und da! Oft ist es nicht der Fall. Und wenn man wieder eine Deutung erkannt hat, was hat das zu sagen? Jeder Traum ist mehrdeutig. Der Traum ist entstellt durch verschiedene Mechanismen, die wir zum Teil schon kennen gelernt haben, zum Teil erst später besprechen werden. Wir müssen nach Freud zwei Begriffe scharf voneinander scheiden: den manifesten Trauminhalt und den latenten Trauminhalt. Der latente ist in vielen Fällen ohne Mithilfe des Träumers nicht zu erkennen. Denn die Symbole haben nur bedingt eine bestimmte Bedeutung. Und alles kann zum Symbol werden. Auch ist die Symbolik der verschiedenen Menschen verschieden. Ein Violinkünstler wird eine andere symbolische Sprache haben als ein Gewürzkrämer. Jeder bezieht seine Symbolismen aus seinem Wissen. So stellt sich im Traume der Vater immer als eine Autorität dar, den meisten Menschen als der Kaiser, dem Chorsänger der Oper als Operndirektor, dem ewigen Schüler als der „Herr Lehrer“, dem Politiker als der Ministerpräsident, dem Landbäuerlein als der Amtsrichter, dem Vagabunden als der Polizeibeamte, dem Wiener Spießer als der „Bürgermeister“, dem „geistliehen Herrn“ als der Papst, was nicht ausschließt, dass auch anderen der Papst (Papa!) den Vater bedeutet.

      Das wollte ich nur vorausschicken, um eine einseitige Überschätzung der Traumsymbole zu verhüten. Doch beginnen wir mit einer scheinbar sehr leichten, einfachen Traumanalyse:

      Frau Delta träumt:

      (25.) „Ich war in einem offenen viereckigen Raum (er war nicht geschlossen!) — ein Garten oder ein Hof? — In der Ecke stand ein Baum, der ist vor unseren Augen langsam versunken, als ob er ins Wasser gesunken wäre. Ich habe geistreicherweise bemerkt, als der Baum und der Hof auch Schaukelbewegungen machten: „Da sehen wir, wie die Veränderung an der Erdoberfläche vor sich geht.“

      Nach diesem Traume kam ein zweites, vergessenes Traumbild, das mit einem leisen Angstaffekt schloss.

      Man sieht, der Traum stellt eigentlich die Geschichte eines Erdbebens dar. Erinnerungen an die furchtbare Katastrophe von Messina haben dazu beigetragen, das Traumbild zu schaffen. (Rezenter Anlass — oberste Traumschicht) Damals verschwand ein Dorf fast spurlos vom Erdboden, die Konturen der Küste waren an einzelnen Stellen verändert. Auch hatte die Träumerin vor ein paar Tagen einen Roman von Ganghofer „Der laufende Berg“ gelesen, in dem geschildert wurde, wie ein Häuschen immer tiefer und tiefer in die Erde versank. Wir hätten somit eine einfache Reproduktion einer in der Zeitung und in einem Buche gelesenen Szene und die Angst wäre die Angst vor dem Erdbeben, die so viele Menschen gezeigt haben, als so viel von Messina und San Franzisko die Rede war.

      Wenn wir nun mit Swoboda („Studien zur Grundlegung der Psychologie.“ Ein sehr interessantes Werk, das beweist, dass gewisse Eindrücke periodisch im Traume zum Ausdruck kommen.) nachweisen könnten, dass die Dame vor 28 Tagen den Roman gelesen oder vor x-mal 28 Tagen, oder x-mal 23 Tagen das Erdbeben vor sich gegangen ist, so könnten wir beruhigt behaupten, es sei die einfache periodische Wiederholung eines vor einiger Zeit überstandenen heftigen Eindruckes. Gesetzt, es wäre der Fall — was wäre damit für die Analyse des Traumes gewonnen?

      Wir müssen also versuchen, etwas tiefer in die Symbolik des Traumes einzudringen. Der Patientin fällt ein, dass bei einem Erdbeben einmal eine Insel aus dem Meere aufstieg, also geboren wurde. Wir ahnen gleich, das Thema dreht sich um die zwei polaren Gegensätze Geburt und Tod, Gegensätze, die im Traume oft durch die gleichen Symbolismen ausgedrückt werden. Merken wir uns das. Ein weiterer Einfall der Patientin bezieht sich auf das letzte Wiener Erdbeben.

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