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als auch unangenehme Empfindungen aus. Angenehm war ihm das Bewusstsein, sich als Herrn eines so großen Vermögens zu wissen, unangenehm dagegen waren gewisse peinliche Zweifel, die der Brief in ihm erregte. Er war nämlich in seiner frühen Jugend ein begeisterter Anhänger von Herbert Spencer gewesen, namentlich hatte auf ihn, der selbst Großgrundbesitzer war, der Satz in den »Social statics«, daß das Privateigentum am Grund und Boden mit den Prinzipien der Gerechtigkeit unvereinbar sei, einen tiefen Eindruck gemacht. Mit der Aufrichtigkeit und raschen Entschlossenheit der Jugend hatte er damals nicht nur diesen Satz zu seinem eigenen Bekenntnis gemacht und als Universitätsstudent eine Abhandlung über dieses Thema geschrieben, sondern auch tatsächlich um jene Zeit ein kleines Grundstück, das nicht zum mütterlichen Besitz gehörte, sondern durch Erbschaft vom Vater auf ihn gekommen war, unter die Bauern verteilt, da er nicht seiner Überzeugung entgegen Herr über ein Stück Boden sein wollte. Jetzt, nachdem er durch die mütterliche Erbschaft ein großer Grundbesitzer geworden, blieben ihm nur zwei Möglichkeiten übrig: entweder mußte er auf sein Erbe verzichten, wie er es damals, vor zehn Jahren, mit den zweihundert Dessjatinen1 väterlichen Grundbesitzes gemacht hatte, oder er mußte alle seine früheren Ideen als verkehrt anerkennen.

      Das erstere konnte er nicht tun, da er außer dem Landbesitz keine Existenzmittel besaß und in den Staatsdienst nicht eintreten wollte. Er hatte bereits all die Gewohnheiten eines luxuriösen Lebens angenommen, die er nun nicht mehr glaubte entbehren zu können. Es hätte auch gar keinen Sinn gehabt, jetzt auf sein Erbe zu verzichten, besaß er doch nicht mehr jene Kraft der Überzeugung, jene rasche Entschlossenheit, jenen Ehrgeiz, die Welt in Erstaunen zu setzen, die ihm in seiner Jugend eigen gewesen. Die zweite Möglichkeit aber, daß er sich lossagte von jener Auffassung, auf Grund deren er, in Anlehnung an Spencers »Social statics«, das Privateigentum am Grund und Boden für ungerecht erklärt hatte – einer Auffassung, die er späterhin auch in den Schriften von Henry George bekräftigt gefunden hatte – diese zweite Möglichkeit, die ihn zum Verräter an seinen Jugendidealen gemacht hätte, kam für ihn überhaupt nicht in Betracht.

      Aus diesem Grunde war ihm der Brief des Gutsverwalters, der ihm dieses Dilemma zum Bewusstsein brachte, unangenehm und peinlich.

      1 1 Dessjatine misst etwas mehr als 1 Hektar.

      4

      Nachdem Nechljudow den Kaffee getrunken hatte, begab er sich in sein Kabinett, um in der ihm zugegangenen Vorladung nachzusehen, wann er auf dem Gericht zu erscheinen habe, und den Brief der jungen Fürstin zu beantworten. Der Weg nach dem Kabinett führte ihn durch sein Atelier. Im Atelier stand eine Staffelei mit einem angefangenen Bilde, das umgedreht war; an den Wänden hingen verschiedene Skizzen. Der Anblick dieses Bildes, mit dem er sich seit zwei Jahren herumquälte, und der Skizzen an der Wand, wie überhaupt des ganzen Ateliers, brachte ihm das Gefühl seines künstlerischen Unvermögens, das er in letzter Zeit besonders deutlich empfunden hatte, klar zum Bewusstsein. Er erklärte sich dieses Gefühl durch sein allzu fein entwickeltes ästhetisches Empfinden, trotz dieser Erklärung aber blieb doch das Unangenehme und Peinliche jenes Bewusstseins.

      Vor sieben Jahren hatte er den Dienst quittiert, da er einen Beruf zur Malerei in sich zu verspüren glaubte, und von der Höhe seiner künstlerischen Tätigkeit hatte er verächtlich auf alle andern Betätigungsarten herabgesehen. Jetzt hatte sich herausgestellt, daß er dazu gar kein Recht hatte, und darum war ihm jede Erinnerung an seine künstlerischen Versuche unangenehm. Mit einem beklemmenden Gefühl blickte er auf all die luxuriösen Vorrichtungen des Ateliers und betrat in unfroher Stimmung sein Kabinett. Dieses war ein sehr großes, hohes Zimmer mit allen möglichen Kunstgegenständen, Apparaten und Bequemlichkeiten.

      Er fand sogleich in der Schublade des gewaltigen Schreibtisches unter der Aufschrift »Termine« das Vorladungsschreiben, aus dem er ersah, daß er um elf Uhr im Gericht zu erscheinen hatte. Dann setzte er sich an den Schreibtisch, um der Fürstin für die Einladung zu danken und ihr mitzuteilen, daß er, wenn es irgend möglich sei, zum Mittagessen erscheinen werde. Als er das Billet jedoch geschrieben hatte, riß er es entzwei: es klang ihm gar zu intim, was er schrieb; er schrieb ein zweites Billet – das klang aber wieder zu kühl, fast beleidigend kalt. Er zerriß es gleichfalls und drückte auf den Klingelknopf in der Wand. In der Tür erschien ein älterer, mürrisch dreinschauender, bis auf den Backenbart glattrasierter Lakai, der eine graue Baumwollschürze vorgebunden hatte.

      »Bitte, schicken Sie nach der Droschke.«

      »Zu Befehl.«

      »Und sagen Sie – es wartet hier jemand von Kortschagins – ich ließe danken und würde zusehen, daß ich noch hinkommen kann.«

      »Zu Befehl.«

      »Es ist nicht höflich, aber ich kann nicht schreiben – schließlich sehe ich sie ja doch heute,« dachte Nechljudow und ging, um sich anzukleiden.

      Als er sich angekleidet hatte und auf die Treppe hinaustrat, erwartete ihn bereits sein ständiger Mietskutscher mit der Gummiräderdroschke.

      »Gestern waren Sie eben vom Fürsten Kortschagin weggefahren,« sagte der Kutscher, während er ihm den starken, gebräunten Hals mit dem weißen Hemdkragen halb zuwandte – »als ich kam, um Sie abzuholen. ›Eben weg!‹ sagte der Schweizer.«

      »Auch die Droschkenkutscher wissen schon um meine Beziehungen zu den Kortschagins,« dachte Nechljudow, und die unentschiedene Frage, die ihn in der letzten Zeit immer wieder beschäftigt hatte, ob er die Kortschagina heiraten solle oder nicht, trat ihm lebhaft vor die Seele. Wie die meisten Fragen, die sich ihm zu jener Zeit aufdrängten, vermochte er auch diese weder in dem einen noch in dem andern Sinne zu entscheiden.

      Zugunsten einer Heirat überhaupt sprach zunächst der Umstand, daß die Ehe, indem sie die Unregelmäßigkeit des Geschlechtslebens beseitigte, neben all den sonstigen Annehmlichkeiten des häuslichen Herdes ihm die Möglichkeit eines sittlichen Lebens, worunter er das Familienleben verstand, gewährte; zweitens, und vor allem, sprach dafür der Umstand, daß die Familie, die Kinder, seinem jetzt inhaltleeren Leben eine tiefere Bedeutung geben würden. Das waren die allgemeinen Gründe, die für eine Heirat sprachen. Gegen eine solche sprach zunächst die allen älteren Junggesellen gemeinsame Furcht, die gewohnte Freiheit einzubüßen, und dann auch eine unbewußte Furcht vor dem geheimnisvollen Wesen des Weibes überhaupt.

      Zugunsten einer Ehe gerade mit Missi – die Kortschagina führte den Vornamen Maria, hatte aber, wie es in den Familien einer gewissen Gesellschaftsklasse üblich ist, ihren besonderen Kosenamen – sprach erstens, daß sie von »guter Rasse« war und in allen Dingen, von ihrer Art, sich zu kleiden, bis zu ihrer Sprechweise, ihrem Gang, ihrem Lachen sich vor dem Gros der Frauen auszeichnete, nicht gerade durch etwas Besonderes, Außerordentliches, sondern durch ihre »Korrektheit« – er kannte keine andere Bezeichnung für diese Eigenschaft, die er sehr hochschätzte; und zweitens sprach zugunsten einer Ehe mit ihr auch die Tatsache, daß sie ihn höher schätzte, als alle andern Menschen es taten, also nach seiner Meinung ihn verstand. Und dieses Verständnis für sein Wesen, diese Anerkennung seiner hohen Vorzüge galt Nechljudow als ein Beweis ihres Verstandes und der Richtigkeit ihres Urteils. Gegen eine Heirat speziell mit Missi sprach erstens der Umstand, daß es aller Wahrscheinlichkeit nach gar nicht schwer gewesen wäre, ein junges Mädchen zu finden, das noch weit mehr Vorzüge besaß als Missi und darum seiner in höherem Maße wert war, und zweitens auch der Umstand, daß sie bereits siebenundzwanzig Jahre zählte und sicherlich schon andere Neigungen gehabt hatte – ein Gedanke, der Nechljudow besonders peinlich war. Sein Stolz vertrug es nicht, daß sie jemals, auch in der Vergangenheit, einen andern Mann außer ihm geliebt haben sollte. Allerdings hatte sie nicht wissen können, daß sie ihm einmal begegnen würde, aber schon der Gedanke, daß sie früher jemanden geliebt haben könnte, hatte für ihn etwas Beleidigendes.

      Es sprachen also ebenso viele Gründe für die Ehe wie gegen sie. Die Beweiskraft dieser Gründe und Gegengründe schien sich die Waagschale zu halten, und Nechljudow besaß Humor genug, sich selbst scherzend als »Buridans Esel« zu bezeichnen. Er gefiel sich augenblicklich noch in dieser Rolle und wußte nicht, welchem der beiden Bündel er sich zuwenden sollte.

      »Übrigens, solange ich von

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