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der Rückfahrt hatte ich ausreichend Gelegenheit, meine überflüssigen Pfunde in der reflektierenden Scheibe des Busses zu begutachten. Je mehr Pölsterchen ich an mir sehe, desto weniger kann ich mich mit dieser Person im Spiegel identifizieren. Das ist alles überflüssig und gehört nicht zu mir! Ich war so froh gewesen, endlich schlank zu sein und mein Gewicht so lange gehalten zu haben. Ab morgen ziehe ich endlich meine Diät wieder durch. Ich habe das schon einmal geschafft, ich schaffe das auch wieder. Und noch ist es ja nicht so viel wie damals, was ich abnehmen muss um mich wenigstens körperlich wieder als mich selbst zu fühlen.

      Freitag, 8. September 2006, 19 Uhr 31

       Sportlich läuft es derzeit ganz gut. Den gesamten vergangenen Monat über zog ich mein Sportprogramm durch. Acht Mal war ich für jeweils drei Stunden im Studio, sieben Mal lief ich meine viereinhalb Kilometer lange Standardstrecke, so wie auch heute.

      Der Wendepunkt meiner Laufstrecke ist ein Wäldchen, in dem sieben Quellen entspringen, folgerichtig ist dieses Wäldchen unter dem Namen Siebenquellen bekannt. Einer dort aufgestellten Schautafel entnahm ich letztens, dass dieser Ort den keltischen Druiden heilig gewesen sei. Kraft geben mir die Läufe dorthin und zurück auf jeden Fall.

      Eigentlich würde ich gerne mal wieder Obst und Gemüse essen, und den Ketchup vermisse ich sowieso. Man glaubt gar nicht, worin überall Fruchtzucker steckt! Doch aufgrund meiner Enthaltsamkeit habe ich neuerdings keine Blähungen, keine Pickel, keinen Nachtschweiß und keine Kopfhautreizungen mehr. Laut meiner Aufzeichnungen habe ich zudem seit immerhin fünf Tagen keine Durchfälle gehabt und vor allem auch kein unverdautes Fett im Stuhl. Endlich, nach all den Jahren! Die verdammten schmierigen Fettstühle, wegen derer ich mir ständig den Arsch blutig wischte, waren besonders belastend. Und diese offenen Stellen waren dann auch oft genug noch nicht verheilt bis zum nächsten Stuhlgang. Eigentlich ein Wunder, dass sich das nie entzündete hat. Gut, dass das nun endlich vorbei ist. Meinem Internisten zufolge, hätte ich sogar die Chance, nach einem Jahr des vollständigen Meidens von Fruchtzucker wieder normal essen zu können.

      Freitag, 15. September 2006, 18 Uhr 4

       Nachdem sich jetzt meine Verdauung endlich zu stabilisieren scheint, werde ich kurz nach dem Beginn des kommenden Wintersemesters im Oktober wohl tatsächlich wieder an dem Savate-Training an der Hochschule teilnehmen können. Zudem habe ich inzwischen zu meiner Überraschung vom Internisten erfahren, dass ich trotz meiner Unverträglichkeit gegenüber Fruchtzucker Gemüse essen darf! Allerdings nichts in Essig Eingelegtes und auch kein Sauerkraut.

       Mein Eisentraining schwänzte ich heute. Es wäre mir diesmal zu viel gewesen, mich mehrere Stunden lang unter Menschen aufzuhalten. Man muss auch mal Rücksicht auf sich selbst nehmen können. Dann war ich halt in dieser Woche nur ein einziges Mal dort. Aber laufen war ich, und das sogar bereits zum dritten Mal in diesem Zeitraum.

      Samstag, 23. September 2006, 21 Uhr 59

      Gerade habe ich mir im Netz mal Anzeigen von Berliner Wohnungen angesehen. Auf kurz oder lang will ich ja aus Aachen weg. Und Berlin hat mich irgendwie schon immer gereizt.

      Im Herbst des kommenden Jahres werde ich hoffentlich meinen Dispokredit abbezahlt haben. Mit diesem Dispokredit könnte ich dann den Mietlaster für meinen Umzug finanzieren. Was die Kaution betrifft, so habe ich heute viele Anzeigen von Wohnungen gesehen, für die man die Kaution ausdrücklich in Raten zahlen kann. Vom Amt werde ich ja keinen Cent sehen für einen Umzug in eine andere Stadt.

      Bis dahin werde ich mich weiter auf meinen Alltag und meine nächsten Ziele konzentrieren, nämlich abzuspecken und den Wiedereinstieg in das Kampfsporttraining zu bewältigen. Und natürlich weiter meine Traumwohnung zu genießen. Es wird wohl meine erste Wohnung werden, der ich wirklich nachtrauere. Aus allen anderen davor flüchtete ich jedes Mal irgendwann verzweifelt und hasserfüllt, meist wegen deren Hellhörigkeit. Doch ich will endlich irgendwo hin, wo mich meine Vergangenheit nicht überall anspringt. Ich brauche einfach mal etwas völlig Neues, sozusagen einen Druck auf die Reset-Taste. Ich werde keine einzige Träne vergießen, wenn ich Aachen im Rückspiegel eines mit meinen Habseligkeiten beladenen Transporters verschwinden sehen werde.

      Kapitel II - Winterhalbjahr 2006/2007

      Donnerstag, 5. Oktober 2006, 9 Uhr 38

       Eigentlich müsste ich mich mal eine Zeitlang komplett aus den Borderline-Foren heraushalten. Die tun mir im Moment nicht gut. Es zieht mich zwar immer wieder zu ihnen hin, weil ich so gut wie keine realen Sozialkontakte habe. Aber einiges dort nehme ich mittlerweile als bizarr, belastend und höchst überflüssig wahr. Immer öfter stoßen mich viele Verhaltensweisen nur noch ab. Und auch die Geschehnisse rund um den Zusammenbruch des alten Forums sind nicht spurlos an mir vorüber gegangen.

      In der Selbsthilfegruppe gestern Abend merkte ich jedenfalls wieder, wie gut ein realer und persönlicher menschlicher Kontakt tun kann. Doch wenn ich nach Hause komme und als Erstes den Rechner hochfahre, um einen Blick in die Foren zu werfen, dann fühlt sich das so an, als hätte jemand auf meine Heimkehr gewartet. Ich habe schließlich sonst niemanden.

      Donnerstag, 12. Oktober 2006, 22 Uhr 14

      In letzter Zeit tun mir die Knie verdammt weh. Hoffentlich ist das nur ein vorläufiges Phänomen, bis sich die Beine an die Belastung angepasst haben, die ich ihnen zumute. Nach zwanzigjährigem Humpeln braucht ein degenerierter Bewegungsapparat wohl eine ganze Weile, um wieder klarzukommen. Etwas anderes möchte ich mir gar nicht ausmalen. Der Sport ist das Einzige, das mich aus meiner grenzsuizidalen Grundstimmung herausreißt.

      Einen Neuanfang beim Savate möchte ich derzeit lieber noch nicht wagen. Zwar begann ich endlich, bezüglich der Verdauungsprobleme ein wenig Hoffnung zu schöpfen, aber dafür haben sich ja jetzt die Knieprobleme verschlimmert.

      Außer meinem aktuellen Sportprogramm und den Alltagsnotwendigkeiten möchte ich in nächster Zeit keine Anforderungen an mich stellen. Es ist mir einfach alles zu viel. Mehr schlafen sollte ich stattdessen. Abends komme ich trotz Müdigkeit nicht ins Bett und morgens kann ich nicht weiterschlafen, obwohl ich dann immer noch total fertig bin.

      Dienstag, 17. Oktober 2006, 19 Uhr 59

       Ursprünglich hatte ich erst im nächsten Monat zum Arzt gehen wollen wegen meiner Kniegelenke. Aber das Ganze beunruhigte mich doch zu sehr. Hinter der rechten Kniescheibe stimmt etwas nicht, und zwar ganz gewaltig. Ich kann nicht mehr in die Hocke gehen, noch nicht einmal mehr in die Beuge. Das Bein gegen die Schwerkraft zu strecken, ist auch nur unter Schmerzen möglich. Das rechte Knie war ja schon immer ein Problem, nun jedoch ist es schlimmer geworden als jemals zuvor. Außerdem ist während der letzten Monate an beiden Knien ein Schmerz auf der Beininnenseite hinzugekommen, an dem Spalt zwischen dem Ober- und dem Unterschenkelknochen. Dieser Schmerz tritt vor allem beim Hinsetzen, Aufstehen und Treppensteigen auf.

      Heute fuhr ich also zum Hausarzt und ließ mir eine Überweisung zum Orthopäden ausstellen. Dort kam ich ohne Termin direkt dran, weil wenig los war. Bei diesem Arzt war ich zum ersten Mal. Ich hatte mal ein kurzes Interview mit ihm im Regionalfernsehen gesehen und dabei einen positiven Eindruck erhalten. Mit so ziemlich allen anderen Orthopäden in Aachen habe ich ja bereits schlechte Erfahrungen gemacht, gerade bezüglich des Knies.

      Das rechte Kniegelenk ist leicht geschwollen und hat zu viel Flüssigkeit hinter der Kniescheibe. Die Ursache hierfür war durch äußere Begutachtung nicht herauszufinden. Deshalb hat der Orthopäde mir eine Überweisung zum MRT gegeben. Eine solche Untersuchung ist bisher noch nie veranlasst worden, in all den Jahren nicht. Ich hoffe, dass ich auf diesem Weg nun endlich eine größere Klarheit erhalten werde. Leider werde ich allerdings bis kurz vor Weihnachten auf diese Klarheit warten müssen, also mehr als zwei Monate. Ein früherer Termin war nämlich nirgendwo zu bekommen.

       Das Maschinentraining für die

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