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herum nur Leere.

      Ich sehe keinen Ansatzpunkt mehr, etwas zum Positiven zu verändern. Und ich kann auch überhaupt keine Energie mehr aufbringen. Jegliche Anstrengung, jede Hoffnung der letzten Jahre ist letztlich wirkungslos verpufft. Meine Handlungsspielräume und meine Teilhabe am Leben haben sich immer weiter verflüchtigt. Immer öfter ertappe ich mich dabei, einfach nur noch apathisch herumzusitzen und ins Nichts zu starren. Die Schlinge um meinem Hals zieht sich von Woche zu Woche immer mehr zu. Ich kann mir förmlich selbst zusehen bei meinem inneren Absterben.

      Mittwoch, 16. Mai 2007, 22 Uhr 35

      Ich sollte mich auf meine Möglichkeiten konzentrieren. Und ich habe auch genug zum Lesen. Warum lese ich in letzter Zeit so wenig? Dabei finde ich die Vorstellung verlockend, wieder in Bücherwelten einzutauchen. Das hat mir immer gut getan. Stattdessen hänge ich ständig in den Selbsthilfe-Foren ab.

      Samstag, 19. Mai 2007, 22 Uhr 51

      Während der letzten Tage habe ich einen Ableiter für meine Umzugsenergie gesucht und ein wenig meinen Hausrat ausgemistet. Außerdem habe ich einiges transportsicher in Kartons verpackt und im Keller verstaut. Irgendetwas musste ich tun in dieser Richtung. Doch ich versuche, vorläufig nicht mehr an Berlin zu denken. Irgendwann werde ich wegkommen aus Aachen. Bis dahin genieße ich weiterhin den Ausblick aus meiner Wohnung und die grüne Laufstrecke, die sich sozusagen direkt vor der Haustüre befindet.

      Montag, 21. Mai 2007, 13 Uhr 7

      Ich habe einfach keine Lust, zu programmieren oder an einem Drehbuch zu schreiben. Ich habe Lust, eine neue und große Stadt zu entdecken, mich mit Leuten zu treffen, an denen mir etwas liegt. Ich habe Lust, mit einem Motorrad Serpentinen zu befahren. Ich habe Lust, am Strand in der Sonne zu liegen, bis es mir zu heiß wird und ich ins Wasser muss, mich danach zum Aufwärmen wieder in die pralle Sonne zu legen. Ich habe Lust auf Erlebnisse. Kein Output ohne Input, und auch keine Entwicklung.

      Aber jeder Versuch, mir etwas zu gönnen, geht nur nach hinten los, hat weitere Einschränkungen zur Folge. Wer behauptet, Geld sei nicht wichtig, der hat vermutlich welches.

      Mittwoch, 30. Mai 2007, 21 Uhr 56

      Das heutige Treffen der Selbsthilfegruppe heute hatte wieder mit einigen Aha-Erlebnissen aufzuwarten. Ich habe das Gefühl, dass sie mich besser vorwärts bringt, als eine Therapie das könnte.

      Auf dem Heimweg wurde mir wieder richtig bewusst, wie entsetzlich das ist, was mir als Kleinkind angetan worden war. Zwar durchbrachen schon vor etwas mehr als elf Jahren die Erinnerungen daran die Barrieren meiner inneren Verdrängung. Doch immer noch werde ich manchmal überwältigt von der Ungeheuerlichkeit der damaligen Ereignisse.

       Als Baby war mir unerklärlich, warum dieses übermächtige Etwas mich immer wieder schlug. Nur solange ich unbeweglich liegen blieb und nicht atmete, während Es im Zimmer war, war das Dasein erträglich. Anfangs begann ich jedes Mal erneut zu schreien, sobald Es aus meinem Blickfeld verschwunden war. Denn dann wähnte ich mich alleine, fühlte mich sicher. Doch es gab keine Sicherheit. Mein Schreien ließ Es immer wieder aufs Neue erscheinen und auf mich einprügeln, von Mal zu Mal brutaler. Seit dieser Zeit ist es wohl so, dass ich unbewusst immerzu erwarte, dass mein Schädel erneut wie aus dem Nichts heraus mit der Wucht einer Dampframme getroffen wird, sobald ich mich bloß rühre oder einfach nur wahrgenommen werde. Auch heute noch halte ich oft unwillkürlich so lange die Luft an, bis mich der Sauerstoffmangel zum Atmen zwingt.

      Eines Tages fiel der Kinderärztin auf, dass ich in Gegenwart meiner Mutter die Luft anhielt und stocksteif wurde. Auch an diese Szene erinnere ich mich. Kleine Kinder begreifen die Ereignisse in ihrer Umgebung sehr viel früher, als man gemeinhin annimmt. Und anscheinend können sie Gesprochenes in extrem bedeutsamen Situationen geradezu fotografisch abspeichern, auch ohne die Worte bereits zu verstehen. Vielleicht gilt das aber nur für traumatisierte Kinder.

      Auf die von der erschütterten Ärztin gestellten Frage, ob meine Mutter mich vielleicht schlage, antwortete diese, dass sie nicht wisse, wie sie mich anders ruhig bekommen solle. Meinem Vater gegenüber rechtfertigte sie sich später damit, dass ihre Schläge so schlimm nicht hätten gewesen sein können, da ich trotzdem jedes Mal sehr lange weitergeschrien hätte. Ein Mal hätte ich danach sogar gelächelt.

      Es war dieser eine Satz im Verlauf einer längeren und lautstarken Auseinandersetzung, der meinen Vater schließlich dazu trieb, sein Gesicht mit einer Hand zu bedecken und in tiefer Verzweiflung laut aufzustöhnen. Während er sich draußen in seinem Beruf als Polizist tagtäglich darum bemüht hatte, Verbrechen zu verhindern, war in seinem eigenen Zuhause etwas Unvorstellbares geschehen!

      Monster findet man nicht unter Betten. Und die Bedauernswertesten dieser Geschöpfe wissen nicht um ihre eigene Natur.

      Montag, 4. Juni 2007, 22 Uhr 11

      Seit meinem letzten Ausstieg bei der Fitnesskette habe ich kein Eisentraining mehr gemacht. Eigentlich würde ich gerne wieder ins Studio gehen. Das Heimtraining auf der Schrägbank ist nur eine Notlösung und reizt mich derzeit kaum. Aber trotzdem tue ich mir das mit dem Fitnesscenter nicht noch einmal an. Heute war ich laufen. Das ist deutlich stressfreier.

      Ich weiß nicht, wie ich die endlosen Monate bis zu einer möglichen Genesung meiner Kniegelenke und zum Umzug in eine andere Stadt aushalten soll. Langsam werde ich immer verbitterter und wütender. Wie lange noch? Verdammt, wie lange noch?!

      Mittwoch, 6. Juni 2007, 14 Uhr 10

       Nach langer Zeit gibt es heute endlich wieder eine gute Nachricht. Als damals meine Erwerbsunfähigkeit über mich hereinbrach, platzte mein Bankkredit, was in letzter Konsequenz dazu führte, dass ich zunächst einen Offenbarungseid leisten und schließlich den Weg der Privatinsolvenz beschreiten musste. Nach fünf Jahren ist nun am heutigen Tag meine Restschuldbefreiung erfolgt! Mit Ausnahme des Dispokredits haben sich somit alle meine Schulden über Nacht in Nichts aufgelöst!

      Draußen sieht immer noch alles so aus wie gestern. Fast ein wenig enttäuschend. Wenigstens ein kleiner Spielmannszug vor dem Balkon wäre dem Anlass angemessen gewesen, finde ich. Noch wirkt das alles ein wenig unwirklich auf mich. Es wird wohl ein Weilchen dauern, bis ich vollständig überzeugt bin davon, meine Altschulden tatsächlich mit einem Schlag losgeworden zu sein.

      Und zudem hat sich wieder bewahrheitet, dass Geld nicht alles ist im Leben. Denn in der vorigen Nacht träumte ich, weinend zwischen lauter Wänden zusammenzubrechen. Ich muss mal ein Buch über Traumdeutung zu Rate ziehen. Diese Symbolik ist mir nun doch zu undurchsichtig.

      Donnerstag, 7. Juni 2007, 16 Uhr 20

      Vor dem Sommer 2009 werde ich auf keinen Fall über einen ausreichenden Spielraum bei meinem Dispokredit verfügen, um an eine Wohnungssuche außerhalb Aachens denken zu können.

      Allmählich drehe ich hier ab. Ich würde mich gerne ausschalten, aber ich weiß nicht wie. Warum soll ich mir überhaupt noch irgendeine Veränderung erhoffen? Ich bin kaputt, jetzt auch noch körperlich. Ich glaube, das mit dem Knie hat mir den Todesstoß versetzt. Ich bringe keine Energie mehr auf, bin bereits müde, wenn ich morgens aufstehe. Und den restlichen Tag über wird es nicht besser. Das Schlimmste sind die falschen Hoffnungen. Sie sind es doch, die einem immer wieder das Messer reinjagen. Es ist einiges dran an dem Sprichwort, dass die Hoffnung die Weide der Narren ist.

      Dienstag, 12. Juni 2007, 23 Uhr 30

       Ich müsste dringend mehr Sport treiben, sonst geht es noch weiter bergab mit mir. Vor allem schwimmen gehen müsste ich wieder regelmäßiger. Mein Soll von zwei Mal pro Woche erreiche ich schon seit einiger Zeit nicht mehr. Zwar bekomme ich allmählich ein positiveres Verhältnis zum Schwimmen. Denn danach fühle ich mich stets besser als vorher, sowohl körperlich als auch psychisch. Außerdem merke ich, dass sich

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