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Heavy Metal. Nick Lubens
Читать онлайн.Название Heavy Metal
Год выпуска 0
isbn 9783748542001
Автор произведения Nick Lubens
Жанр Языкознание
Издательство Bookwire
Kritisch begutachten wir Olafs Mähne. „Ja, das könnte gehen.“, resümiere ich meinen ersten Eindruck. „Lass sie hinten gleichmäßig rauswachsen, dann sieht das ganz fesch aus.“
„Außerdem bist du Schlagzeuger, da sieht man dich nicht so sehr.“, fügt Sirko hinzu.
„Und erstmal müssen wir sowieso einen neuen Probenraum finden. Bis der Verstärker repariert ist, das wird noch dauern.“, ruft uns Olaf in Erinnerung.
„Dann üben wir eben erst einmal ohne Probenraum.“, rufe ich und deute mit leuchtenden Augen auf den Kassettenrekorder.
Die anderen legen die Köpfe schräg und schauen mich an, als hätte ich sie gerade aufgefordert, mit heruntergelassenen Hosen vor der Parteizentrale auf- und abzumarschieren.
„Luftgitarre!“, erkläre ich meine Idee in einem pragmatischen Wort und fordere Sirko auf: „Mach mal lauter!“
„Aber die Batterie.“, gibt er zu bedenken.
„Sind wir eine Metal-Band, oder nicht?“, kontere ich angriffslustig.
Robert gibt ein zustimmendes Grunzen von sich und dreht die Lautstärke höher.
Ich nehme Aufstellung und tue so, als würde ich mit meinen Fingern dem Gitarrenlauf folgen. Da ich den Text nicht kenne, schicke ich irgendwelche gutturalen Laute in den Nachmittagshimmel und wackle eifrig mit dem Kopf.
Mein Enthusiasmus springt auf die anderen über. Sirko stellt sich neben mich und mimt ebenfalls einen Gitarrenspieler, Olaf setzt sich auf die Bank und drischt mit zwei Stöcken auf die Plastesitzfläche ein. Robert lacht kurz auf, schüttelt den Kopf und stellt sich dann dazu. Als Bassist ist er naturgemäß eher der ruhende Pol, aber auch seine Haare wirbeln schon bald durch die Luft.
Plötzlich bricht die Musik ab. Mitten in der Bewegung erstarren wir und schauen erschrocken auf den Kassettenrekorder.
„Ach, Scheiße! Seite zu Ende.“, erklärt uns Robert, was passiert ist. Mit geübten Handgriffen dreht er die Kassette und drückt auf den Abspielhebel. „Das ist ihre erste Single, die gab‘s mit dazu.“, sagt er über das übliche Rauschen des anlaufenden Bandes hinweg. Dann setzt die Musik ein und wir lassen uns erneut vom Rhythmus mitreißen. Die Luftgitarren gehen die Melodiebögen wie automatisch mit, nur Olafs Trommelschläge fallen immer wieder aus dem Takt. Wir grinsen uns gegenseitig an und genießen das Gefühl absoluter Freiheit.
Das Lied ist fast zu Ende, als erneut die Musik aufhört. Wir drehen uns zum Kassettenrekorder um und blicken entgeistert in das streng blickende Gesicht des Abschnittsbevollmächtigten.
„Oberleutnant Wischmann?“, sagt Sirko halb ängstlich, halb neugierig.
„Was soll dieser Radau?“, fährt uns der ABV ohne Begrüßung an.
„Das ist Musik, Herr Oberleutnant.“, antwortet Robert mit unergründlicher Miene.
„Wenn das Musik ist, bin ich eine Waschfrau.“, knurrt Wischmann ihn an. „Dieser Krach ist eine Beleidigung für jedes musikalisch geschulte Ohr. Und dazu noch diese rebellischen Texte. Dass ihr so etwas in der Öffentlichkeit aufführt...“ Er schüttelt den Kopf und sein Gesicht spiegelt so viel Enttäuschung wider, dass mir beinahe die Tränen kommen.
„Was ist nur aus euch geworden?“, fährt der ABV mit seiner pädagogischen Ansprache fort. „Vor kurzem wart ihr noch fleißige, gepflegte Thälmannpioniere, und jetzt das.“ Mit angewiderte Miene deutet er auf uns. „Rocker und Tramps. Was sagen nur eure Eltern dazu?“
Mir liegt eine schlagfertige Antwort auf der Zunge, aber ich schaffe es, sie herunterzuschlucken. Sogar Robert gelingt es überraschenderweise, die Klappe zu halten und betreten auf den Boden zu schauen.
Mit einem lauten Klacken öffnet der ABV den Kassettenrekorder und entnimmt ihm das Corpus Delicti. „Konfisziert!“, sagt er mit festem Ton und wackelt mit der Kassette triumphierend in der Luft herum.
„Aber das ist erlaubte Musik.“, ruft Robert aufgebracht. „DDR-Rock. Von Amiga!“ Seine Stimme klingt flehend, fast weinerlich.
Oberleutnant Wischmann wirft einen prüfenden Blick auf die Kassette. „Hier steht nirgends Amiga drauf.“, stellt er mit Kennerblick fest. „Und selbst wenn es die Puhdys wären, die nach meinem Geschmack schon viel zu krawallig sind, würde ich die Kassette wegen Ruhestörung an mich nehmen. So einen Radau gibt es in meinem Revier nicht. Habe ich mich klar ausgedrückt?“ Seine stechenden stahlblauen Augen fixieren uns von oben herab.
Wir nuscheln ein beklommenes „Jawohl.“, und senken den Blick.
„Gut! Und seht zu, dass ihr wieder auf die richtige Bahn findet.“, gibt uns der ABV noch einen letzten wohlwollenden Rat, bevor er sich zackig abwendet und um den nächsten Busch verschwindet.
Eine Zeitlang herrscht eisiges Schweigen. Als wir sicher sein können, dass Wischmann verschwunden ist, gehen wir langsam auf den Kassettenrekorder zu. Es ist fast so, als würden wir uns einem entweihten Ritualgegenstand nähern, so vorsichtig tasten wir uns voran.
„Das ist ja echt Scheiße mit deiner Kassette.“, spricht Olaf als erster aus, was wir alle denken. „Jetzt war dein ganzer Tauscheinsatz umsonst.“
„Quatsch. Ich hab sie doch mit dem Rekorder von meinem Vater überspielt.“, erwidert Robert unwirsch. „Aber wenn uns der Wischmann auf dem Kieker hat, ist das keine gute Sache.“, gibt er zu bedenken.
„Was für einen Rekorder hat denn dein Vater?“, versuche ich, das Gespräch in angenehmere Bahnen zu lenken.
„SKR 700.“, antwortet Robert trocken.
„Achso.“, sage ich enttäuscht. „Dann brauchst du auch ein Überspielkabel.“
„Ja und?“, will Robert ärgerlich wissen.
„Naja, ich dachte, er hat vielleicht ein Doppelkassettendeck. Mit Kabel wird die Qualität ja jedes Mal schlechter.“
„Nicht, wenn du immer von der gleichen Kassette abspielst.“, korrigiert mich Robert besserwisserisch.
„Wenigstens hast du einen Vater, der dich an seinen Rekorder lässt. Meiner würde nie erlauben, dass ich die Finger an seine geheiligte Anlage lege.“, beschwert sich Olaf.
„Westgerät?“, fragt Robert.
„Nein. Eine S3900. Damit kann man prima von Platte überspielen, aber natürlich nur Frank Schöbel und Gaby Rückert.“, schimpft Olaf.
Sirko klopft ihm verständnisvoll auf die Schulter.
„Aber dein Alter ist doch nie zu Hause. Bis der abends aus der Stadtverwaltung kommt, hast du doch locker alles erledigt, was du überspielen wolltest.“, versuche ich, Olaf einen meiner Meinung nach sinnvollen Weg aufzuzeigen, doch an die gelobten Platten zu kommen.
Olaf schüttelt entschieden den Kopf „Nein, das merkt er. Ich hab‘s einmal versucht. Nie wieder! Eine Woche Stubenarrest. Ich glaube, er merkt sich immer den Zählerstand des Counters. Das kann ich nicht manipulieren.“, sagt er resigniert.
„Eltern sind schon schräge Zeitgenossen.“, sinniert Sirko. „Sie haben eigentlich nie Zeit für einen, weil sie entweder arbeiten, beim Sport sind oder in irgendwelchen Sitzungen gescheite Gedanken austauschen, und wenn sie dann mal zu Hause sind, wollen sie ihre Ruhe. Wozu sind sie dann da, wenn man nicht mal ihre Stereoanlage nutzen darf?“
Darauf weiß keiner von uns eine Antwort.
„Ich glaube, meine Eltern bleiben nicht mehr lange zusammen.“, meint Olaf verdrießlich. Robert legt die Stirn in Falten und Sirko reißt die Augen weit auf.
„Wie kommst du denn darauf?“, rufe ich eine Spur zu laut.
„Vater kommt jeden Tag später nach Hause, meistens erst, wenn Mutter schon schläft. Und wenn sie sich mal treffen, dann fliegen die Fetzen.“, berichtet Olaf kleinlaut. „Ich glaube,