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Heavy Metal. Nick Lubens
Читать онлайн.Название Heavy Metal
Год выпуска 0
isbn 9783748542001
Автор произведения Nick Lubens
Жанр Языкознание
Издательство Bookwire
„Schließlich feiern wir heute 39 Jahre DDR. Da sollten wir die Errungenschaften unserer werktätigen Bevölkerung ruhig etwas mehr würdigen.“, versuche ich, die Arbeit unserer Väter und Mütter in Schutz zu nehmen.
„Hast du dich schonmal reden gehört?“, fährt mich Robert an. „Du klingst ja schon fast wie die Kästner.“ So wie er das sagt und sein Gesicht dabei verzieht, scheint ihm die Aussicht auf ein wirklich ekelerregendes Essen dagegen eine ernsthaft erwägenswerte Alternative zu sein.
„Ehrlich jetzt. Was haben wir denen denn schon zu verdanken?“, stimmt Olaf ihm zu. „Fünfzehn Jahre auf ein Auto warten, Stereorekorder für ein paar tausend Mark und eine Wohnung nur, wenn du heiratest.“
„Und in die regnet es dann auch noch rein.“, bezieht auch Sirko Stellung.
„Ja, aber der durchgebrannte Verstärker. Sowas kann doch auch im Westen passieren.“, gebe ich zu bedenken.
„Stimmt schon.“, wirft Robert ein. „Aber dann kannst du in den nächsten Laden gehen und dir einen neuen kaufen.“
„Da ist was dran.“, muss ich unumwunden zugeben.
„Vielleicht sollten wir einfach in den Westen abhauen. Da können wir wenigstens ordentlich Musik machen, und mehr Fans gibt es dort sowieso.“, mault Olaf herum.
„Klar, aber wir warten damit vielleicht noch, bis wir mit der Schule fertig sind.“, kommentiert Robert diesen Ausspruch lakonisch, während Sirko und ich noch versuchen, unseren Schock zu überwinden.
„Irgendwie gefällt mir die Richtung nicht, die dieses Gespräch nimmt.“, raune ich Sirko zu.
„Hier kann ich schon froh sein, wenn ich vor dem Winter noch neue Stiefel kriege.“, murrt Olaf und guckt auf seine ausgetretenen Latschen. „Mit Schuhgröße 48 ist das ein echtes Problem.“
„Nicht nur mit 48.“, sagt Sirko und wedelt mit seinen Händen, die aus viel zu kurzen Jackenärmeln herausbaumeln. „Meine Mutter hat letztes Jahr gleich Schuhe in vier verschiedenen Größen gekauft. Sie meinte, irgendwann werden wir sie schon brauchen.“
„Was machen wir jetzt wegen dem Verstärker?“, versuche ich das Gespräch wieder in produktive Bahnen zu leiten.
Sirko zuckt mit den Schultern. „Mein Vater kann ihn sich mal ansehen. Vielleicht findet er ja raus, ob man noch was machen kann.“
„Sag wegen Ersatzteilen Bescheid.“, meint Robert. „Mein Onkel Herbert...“
„Der vom Schrottplatz?“, unterbricht ihn Olaf.
„Genau, der vom Schrottplatz.“, antwortet Robert patzig. „Vielleicht kann er ja was zusammenklauben.“
„Hast du nicht einen Onkel, der Musiklehrer ist?“, wendet sich Sirko an mich.
„Ja, schon. Aber einen Verstärker hat der bestimmt auch nicht rumstehen.“, antworte ich nachdenklich.
„Egal, fragen kostet nichts.“, erklärt Olaf streng.
„Wir müssen uns auf jeden Fall nach Alternativen umschauen. Ohne Probenraum wird das nichts bis zur Weihnachtsfeier.“, meint Sirko.
„Erinner mich bloß nicht daran!“, stöhnt Robert.
„Ich glaub, es geht los.“, zischt Olaf uns zu und deutet nach vorn, wo sich das von den Neuntklässlern unserer Schule getragene Transparent langsam nach vorn schiebt. Ich habe mir nicht die Mühe gemacht nachzuschauen, welcher Vorschlag das Rennen gemacht hat, aber im Grunde spielt das keine Rolle, weil alle Sprüche auf den meist roten oder weißen Stoffbahnen, die heute durch die Straße getragen werden, ähnlich sinnentleert sind.
Vor uns schieben sich die Menschenmassen in gemütlichem Bummelschritt über den Asphalt. Hinter uns sammeln sich bereits weitere Schulen, Fabrikbelegschaften, Produktionsgenossenschaften, Kindergärten, Altenheime, Sportvereine und weiß der Teufel welche Gruppen noch so antreten, um die knapp 200 Meter lange Strecke bis zum Ende der Karl-Marx-Allee fröhlich winkend zu überwinden. Wir wissen inzwischen, was danach passiert.
„Ich wette, mein Vater wird heute Abend wieder hackedicht sein.“, spricht Olaf meine Gedanken aus.
„Meine Eltern fahren gleich von der Demo in den Garten. Alles winterdicht machen.“, weiß Robert zu berichten.
„Meine ganze Familie geht essen. Sie haben einen Tisch im Café Oben reserviert.“, nörgelt Sirko, der sich wie jedes Jahr um seinen freien Tag gebracht sieht.
„Und wie sieht‘s bei dir aus?“, fragt mich Olaf.
„Vater wird mit seinen Kampftruppenkameraden einen draufmachen und Mutter ist mit den Frauen vom Rat des Bezirkes verabredet. Weinprobe nennen sie das.“, spucke ich verächtlich aus.
„Also hast du frei und deine Eltern morgen ordentlich Kopfschmerzen?“, resümiert Sirko den Ausblick meiner nächsten zwei Tage. „Du Glückspilz!“ Er stößt mir den Ellbogen in die Seite.
„Hände hoch und winken!“, zischt Falk, der von uns unbemerkt in der Masse der für Frieden und Solidarität demonstrierenden Schüler zu uns aufgeschlossen hat.
„Was will der denn von uns?“, mault Olaf.
„Lass dich nicht provozieren!“, schärft ihm Robert ein. „Es gibt Situationen, in denen hält man lieber die Klappe.“
„Käme ihm gerade recht, wenn er uns vor allen bloßstellen könnte.“, flüstert Sirko in der Hoffnung, dass Falk uns nicht versteht.
Also heben wir gehorsam unsere Hände, winken behäbig nach rechts, wo die Ehrentribüne in Sicht kommt und achten darauf, nur nicht im unpassenden Moment zu stolpern. Auf Höhe des riesigen Karl-Marx-Kopfes, den in der Stadt jeder nur als ,Nischel‘ kennt, nehmen wir die Hände wieder herunter und trotten die letzten paar Meter im sich auflösenden Demonstrationszug mit. Die Neuntklässler vorn sind bereits im Gehen dabei, das Transparent zusammenzuwickeln und streiten sich bestimmt schon, wer es mitnehmen und morgen zur Schule bringen muss.
18 Jahre sein – Formel 1
Wir sind wieder einmal unter den ersten, die sich auf dem Schulhof tummeln. Mein Vater hat mal von einer alten Weisheit erzählt, die besagt, dass derjenige, der am weitesten weg wohnt, immer als erster bei der Hochzeit auftaucht. Heute verstehe ich zum ersten Mal, was er damit gemeint haben könnte. Sven verzieht sich zu seinen Kumpels, die hinter einem aus Schaumstoff und Pflaster zusammengeflickten Ball hertoben.
Unschlüssig schaue ich mich um und entscheide dann, mich mangels potentieller Gesprächspartner möglichst elegant gegen die Ziegelmauer des Schulgebäudes zu lehnen. Die Arme vor der Brust verschränkt, versuche ich, so lässig zu wirken wie einst James Dean, oder wenigstens so umwerfend weltvergessen wie Alexandre Sterling als Mathieu in La Boum. Fehlt eigentlich nur noch Sophie Marceau, die um die Ecke biegt und endlich erkennt, dass ihr Traummann die ganze Zeit schon vor ihren Augen existiert hat.
Das Knattern eines Motorrads lässt mich aus meinen Gedanken aufschrecken. Das satte Geräusch verrät sofort die AWO 425 Sport, eine absolute Rarität, die sich nur wirklich geschickte Schrauber oder reiche Bonzen leisten können. Auch unter den anderen Schülern hat sich die Neuigkeit herumgesprochen. Der halbe Schulhof ist aus dem Häuschen und drängt sich am Zaun zusammen, um einen flüchtigen Blick auf das heiße Gefährt zu werfen. Zu meiner inneren Enttäuschung sehe ich mich gezwungen, weiter an meinem Platz stehen zu bleiben. Die fünf Minuten, die ich bereits in die Zurschaustellung meiner Erhabenheit über den schnöden Alltag investiert habe, wären völlig für die Katz gewesen, hätte ich dem ersten Drang nachgegeben und wäre sensationslüstern wie der Rest der Meute dem erstbesten Motorradfahrer hinterhergehechelt.
Zur allgemeinen Überraschung bleibt die AWO vor der Schule stehen. Das satte Motorgeräusch erstirbt. Ich kann auch von meiner Position erkennen, wie der Sozius vom hinteren Sitz steigt und am Bändchen des Helms herumfummelt. Offenbar wurde hier ein Mädchen