ТОП просматриваемых книг сайта:
Bis Utopia. Marlon Thorjussen
Читать онлайн.Название Bis Utopia
Год выпуска 0
isbn 9783742761620
Автор произведения Marlon Thorjussen
Жанр Языкознание
Издательство Bookwire
Ebenfalls am selbigen Abend hatte Ruben Svenson den schwarzen Van noch nicht wie versprochen zurück zur organisationseigenen Garage gebracht. Er fuhr stattdessen durch diese Stadt, in der die Lichter größtenteils erloschen waren. Es schienen nicht alle Menschen lebensbejahend und reich die Straßen zu bevölkern, wie Peer Flint es nun – Rubens Ansicht nach – tun sollte.
Der Gedanke betrübte Ruben ein wenig, denn sein Gefühl für Gerechtigkeit war aus irgendeinem Grund ausgeprägter als das seiner Brüder. Auch damals, als sie großgezogen worden waren, war er immer der, der einen Streit am ehesten zu schlichten vermochte. Heute ließ er sich vor allem herumkommandieren, weil ihm das das Denken abnahm. Und auch, wenn er seine Klonbrüder abgöttisch liebte und auch sein Leben für Sunday Chart opfern würde, war es ihm in letzter Zeit öfter so, als fehlte ihm etwas. Bedingt dadurch, dass man auch ihm aller Fähigkeit beraubt hatte, auf Süchte hereinzufallen, war er auch kaum dazu fähig, ein starkes Gefühl des Verliebtseins zu spüren. Man hatte ihm dies allerdings immer verschwiegen, weshalb es ihm nur diffus bewusst wurde. Aber wann immer er einen Menschen kennenlernte, der in ihm etwas auslöste, hielt dieser Dopaminrausch nur wenige Tage lang an und wurde dann eher zu einer minimalen Vernebelung. Gerade eben genug, um es zu spüren, aber kaum genug, um es zu missen – so war Rubens Liebe gelagert.
Irgendwann war es ihm aufgefallen, dass mit ihm etwas nicht stimmte. Nicht nur, dass er sogar ein wenig anders war als seine Brüder – und per Definition waren sie eins – er war auch anders als die Menschen außerhalb des Systems, mit denen er natürlich Kontakt haben musste. Er empfand diesen Umstand als Makel. Umso gewichtiger empfand er ihn, als er sich auch an diesem Abend vor Augen hielt, dass die Reihe Svenson als unglaublich erfolgreiche Reihe galt.
In der Regel lenkte er sich von seinen Sorgen damit ab, sich wichtig zu fühlen oder etwas herzustellen. Wenn er etwas wie das Blasrohr nach einiger Zeit in den Händen hielt und wusste, dass er etwas geschaffen hatte, fühlte er sich gut und vergaß, dass auch er nur ein Werkzeug war. Auch war er ein wandelndes Lexikon, wusste ständig Rat und hatte sachdienliche Ratschläge für Dinge parat, über die andere nicht einmal nachdachten.
Nach einigem ziellosen Gefahre mit dem dicken Wagen fand er sich an einer Tankstelle wieder. Er kaufte sich eine billige Zigarre für knapp über zwei Euro, fuhr bis zum Gewerbegebiet, riss die Zigarre mit den Zähnen auf und paffte sie dann in der Einfahrt des Recyclinghofes der Stadt.
Die nichtssagende Aprilluft umwehte sein sanftes Gesicht. Die Dunkelheit der Stadt kam aus den Straßen gekrochen und wollte nichts von ihm. Keine Ablenkung, keine Arbeit, keine Verpflichtung beutelten ihn noch. Nur ein halber Mensch mit einer ganzen billigen Zigarre stand dort und hielt andächtig seine Gedanken in den Abend. Passanten hätten dieses Bild wahrscheinlich für merkwürdig befunden, aber auch die Passanten fehlten. Es gab nur Ruben und sein Verlangen nach den Dingen, die er nicht einmal benennen konnte. Ein paar Sterne kümmerten sich nicht um ihn und strahlten vor sich hin. Die Wolken schoben sich vor den Mond. Irgendwo zischte es laut aus einem der umliegenden Gebäude. Ein paar Lichter wurden gelöscht.
„Genug!“, schrie Ruben dann in den stillen Tod des ersten Aprils. Seine sanfte Stimme hallte zwischen Mülltonnen wider.
Der Van setzte sich kurz darauf mit Ruben darin in Bewegung, durchbrach die Schranke des Recyclinghofes und donnerte auf die Rampe, von der aus der Müll in die Container glitt. Ruben suchte rein interessehalber nach einem Container für biologischen Abfall, wurde aber nicht fündig. Dann nahm er eine herumliegende Eisenstange und zerlegte damit den Tankdeckel seines Wagens. Es roch ein wenig nach Benzin und Müll. Im Mund hatte er immer noch die billige Zigarre, die kaum gegen den Gestank ankam. Eine Alarmsirene begleitete sein Treiben.
Ein paar Sekunden später lag das Auto seitlich im Holzcontainer. Kraftstoff sickerte auf die Reste und vermischte sich mit Splittern, Lack und den fälschlich weggeworfenen Plastikteilen. In dem zerbeulten Wagen hing, noch immer angeschnallt und ein wenig überrascht von sich selbst, der junge Rotschopf mit den besonderen Augen. Er kramte die Fahrzeugpapiere aus dem Handschuhfach und entzündete sie mit der billigen Zigarre. Den brennenden Klumpen ließ er durch das Fenster unter sich gleiten.
Wenig später erreichte ihn alles verzehrendes Feuer.
Im Molkereipfad 64 wussten die sexuell Vergnügten von all dem nichts. Der Klient war zu seiner Unzufriedenheit sehr schnell zum Höhepunkt gelangt, was Brokat auf dessen Müdigkeit schob. Leicht schwitzend saßen sie dann auf dem Bett und teilten sich ein Glas Wasser.
„Macht dir das Spaß?“, fragte Peer.
„Warum fragst du?“, wollte Brokat wissen.
Das wusste Peer natürlich selbst nicht recht. Er fand die Frage einfach naheliegend. Was er aber mit Gewissheit sagen konnte, war, dass er er sich wünschte, Brokat würde noch ein wenig bleiben. Er wollte den Abend nicht allein ausklingen lassen und ihm fiel auch sonst niemand ein, der noch spontan an einem Werktag seine Worte ertragen wollte.
„Ja, eigentlich habe ich wirklich Freude an meiner Arbeit“, sagte sie dann.
„Eigentlich?“, stocherte Peer nach.
„Kein aber. Ich mag es. Ich verdiene Geld, manchmal habe ich sogar Spaß dabei und nicht alle Typen sind schmierige Schweine, die sich einfach was Gutes leisten können. So ist das nicht. Die meisten wollen mit ihrem Geld ihre Macht zeigen und glauben, sie bekommen alles. Sogar, wenn sie sich eine Domina nehmen, beweisen sie ihre Macht dadurch, dass sie sie bezahlen. Aber viele sind auch einfach - .“ Hier unterbrach sie ihren Satz und schaute in das Wasserglas. Es war halb geleert.
„Viele sind wie – ?“, fragte Peer ahnend.
„Wie du“, gab Brokat dann zu und schämte sich ein wenig für die Aussage. „Haben Geld, aber sind unsicher und irgendwie schwierig zu fassen. Ich meine, wir hatten Sex. Ist ja einfach für einen Mann wie dich und eine Frau wie mich. Das volle Programm kann ich natürlich jemandem wie dir gern bieten. Ich habe da keine Probleme. Aber du warst nicht bei der Sache, Peer. Meistens ist das so, wenn der Klient verheiratet ist.“ Brokat machte eine bedeutungsschwere Pause und schaute noch immer ins Glas. Es war kein Alkohol darin. „Bist du verheiratet? Wäre mir egal, ich will es nur wissen.“
„Nein, bin ich nicht“, antwortete der ledige Archetyp eines Freiers.
„Schwul?“, sprach Brokat ihre nächste Überlegung an. Im Glas waren nur langweilige Wasserstoffbrückenbindungen und ein paar Spurenelemente.
„Nein!“, kam es schnell zurück.
„Was beschäftigt dich dann?“, wollte Brokat wissen. Sie ärgerte sich enorm ob ihrer Unprofessionalität. Eigentlich konnte sie diesen Mann nun einfach wieder in sein Leben entlassen.
„Geld“, sagte Peer dann nach einigem Überlegen. „Mich beschäftigt Geld. Ich werde wohl sehr viel Geld erhalten. Und ich weiß nicht, wie ich das ausgeben kann. Ich zerbreche mir den Kopf schon den ganzen Abend darüber. Aber ich komme zu keinem Schluss. Und eigentlich verdiene ich genug. Ich brauche dieses Geld nicht einmal. Aber ich muss es nehmen.“
„Dann gib es mir“, sagte Brokat. Wieder so ein Fehler im Ausdruck, der ihr an anderer Stelle nicht passiert wäre. Aber es war ja schließlich schon spät und das stille Wasser hatte ihr nicht gut getan.
„Ich kenne dich doch gar nicht“, gab Peer wenig abweisend zurück. Der Gedanke, einer Wildfremden sein Geld zu geben, erschien ihm immerhin logischer als alles andere, was bisher seinen Tag versaut hatte.
„Stimmt“, antwortete sie und schaute durch das mittlerweile geleerte Glas in Peers Gesicht. „Aber wir können uns kennenlernen. Und dafür müsstest du mich eh vorerst bezahlen. Schauen wir doch, wie es wird. Und ich will, dass du mich richtig kennenlernst. Und zwar jeden Aspekt meines Körpers zum Beispiel. Du hast etwas, was mir Spaß macht, Peer.“
„Danke.