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Bis Utopia. Marlon Thorjussen
Читать онлайн.Название Bis Utopia
Год выпуска 0
isbn 9783742761620
Автор произведения Marlon Thorjussen
Жанр Языкознание
Издательство Bookwire
„Ja, wir sind die Reihe Sven. Weil wir ja aus Svens verjüngten Stammzellen geklont sind; Melv, Lars, Björn, Ives, Thor und ich. War ein ziemliches Gewese vor 22 Jahren. Da war Doktor Chart noch ein wenig jünger und hat noch mehr experimentiert. Alle mit diesen Augen und alle gleich! Und dann gibt es da noch ein paar andere. Weltweit gibt es so Klonreihen wie uns! Aber die meisten Klone arbeiten nicht bei GAS. Kannst du dir wahrscheinlich nicht so richtig vorstellen, denke ich mal. Aber so ist es. Das siehst du eh alles noch, wenn das Telefonat da hinten funktioniert. Wäre gut für dich. Wenn Doktor Chart jetzt doch nicht mehr will, dann muss ich dich leider liquidieren. - Vorschrift.“
Es folgte eine dramatische Pause, die nur deshalb dramatisch war, weil Peer sich bedroht fühlte und Ruben nachdachte.
„Und ich will ja meinen Job behalten. Ist ziemlich gut mit Melv im Team“, schloss er ab und Peer schluckte.
Für ihn waren das zu viele Informationen, die sich alle schwerlich einordnen ließen. Dass es wohl noch mehr junge Rotschöpfe gab, die in Wohnungen einbrachen und Leute überrumpelten, hatte er verstanden. Vielleicht hatten einige ja auch gewöhnlichere Tätigkeiten. Gene auszulesen vielleicht. Oder sie machten Kaffee für diese Doktor Chart. Aber aus irgendeinem Grund schien mindestens einer der Klone, der Leute liquidierte, sich unmittelbar in Peers Nähe zu befinden. Dies beunruhigte ihn zutiefst, so dass er auch vergaß, dass man ihm just zwölf Millionen Euro angeboten hatte. Er verlieh seiner Sorge deshalb mit einem schlichten Wunsch Ausdruck.
„Im Kühlschrank ist Dosenbier“, sagte er nämlich und deutete mit der Nasenspitze in Richtung Kühlschrank. „Hätte ich gerne, wenn es nichts ausmacht. Kannst auch eines haben, wenn du magst.“
Ruben verstand, dass Peer wohl nicht über eine mögliche Liquidierung seiner Person sprechen wollte und organisierte zwei Dosen Bier. Dann sprach er etwas sehr Naheliegendes an: „Du bist gefesselt.“
Peer sah keinen Grund zu widersprechen.
„Strohhalme?“, fragte Ruben, der tatsächlich kurz darüber nachdachte, den Gefesselten einfach loszumachen. Schließlich war dieser durchschnittlich große, recht schlanke und wenig muskulös aussehende Mann nun wirklich nicht sehr bedrohlich. Er tauschte den Gedanken aber zu Peers Bedauern schnell in Strohhalme um.
„Oben rechts über der Spüle. Hinter dem Tee.“
Ruben durchsuchte den Küchenschrank. Da er kleiner als der Hausherr war, kam er nur mit Mühe an die Strohhalme. Während er sich auf Zehenspitzen abmühte, versuchte der Gefesselte es noch einmal mit einem in seinen Augen sinnvolleren Vorschlag: „Du kannst mich doch losmachen, oder? Ich tue dir schon nichts. Und du hast ja dieses Betäubungsmittel.“
„Entschuldige nochmal dafür“, hallte es nichtssagend aus dem Küchenschrank.
Dann öffnete Ruben die zwei Dosen, steckte in beide Strohhalme und Peer Flint trank an diesem späten Nachmittag im April erstmals Bier durch einen Strohhalm. Keiner der beiden dachte daran, dass die Aufreißlasche um 180 Grad gedreht werden konnte und die Öse als Strohhalmhalter fungieren konnte – und so bewegten sich die Strohhalme munter hin und her, wann immer man den Mund von ihnen nahm.
Ein paar Minuten später kam Melv dann auch zurück in die Küche. Ungefragt löste er Peers Fesseln mit ein paar gekonnten Handbewegungen, schnitt das Klebeband auf, öffnete den Kühlschrank und nahm sich ebenfalls ein Bier. Dann setzte er sich neben Ruben und prostete den beiden zu.
„Du bekommst demnächst zwölf Millionen Euro von GAS, mein lieber Peer Flint“, sagte er nach dem ersten Schluck.
„Hä?“, entfuhr es dem bloß, den Strohhalm aus der Dose ziehend und die Öse der Aufreißlasche unpragmatisch missachtend.
„Doktor Chart hat gesagt, wir sollen das machen. Irrtum ausgeschlossen und so. Du bist ein richtiger Glückspilz, oder?“
Peer antwortete nicht. Er hatte nicht mehr erwartet, etwas zu hören, was irgendwie gut klang. Er schlürfte einfach sein Bier. Es schmeckte seltsam weit weg. Keine Aromen oder Substanzen wollten sich auf seiner Zunge breit machen. Es war komisch. Vielleicht träumte er ja.
„Du bist einfach du und wenn du 60 Jahre alt bist, frieren wir dich ein. Das ist das Geschäft, mein Lieber“, führte Melv dann weiter aus, ohne auf eine Reaktion Peers zu warten.
Peer schüttelte nur den Kopf. Sich einfrieren zu lassen, empfand er nicht als gute Idee. Schließlich sah er darin keinen Nutzen. Sicherlich: Er kannte durchaus völlig unrealistisch gehaltene Filme, in denen sich Leute einfrieren ließen, um die Reise ins Nirgendwo nicht in unendlicher Langeweile verbringen zu müssen. Jedoch wollte Peer nicht in fremde Sternensysteme reisen.
Eigentlich wollte er einfach nur, dass die beiden verschwanden. Peer würde, aufgetaut und im Vollbesitz seiner geistigen Kräfte, in seiner Küche verbleiben, in deren Kühlschrank er nicht passen konnte.
„Aus ein paar deiner Zellkulturen haben wir durch Verjüngung Stammzellen gewonnen. Vielleicht brauchen wir noch ein paar Proben von dir. Und deinen Körper würden wir dann in 28 Jahren einfrieren. Du wärst so eine Art Ausstellungsstück für zukünftige Generationen. Einer unserer Partner hat das zur Bedingung gemacht, um uns die Reihe Flint – das werden dann die Klone von dir - dann auch abzunehmen. Er will dann quasi im Anschluss noch das Original haben, wenn man so will“, führte der eine Quälgeist dann dennoch weiter aus und stieg dann zu Peers Enttäuschung nicht einfach in ein Raumschiff und verschwand.
„Aber ich will älter als 60 werden!“, schrie Peer aufgebracht und erst viele Sekunden später. Wenn er 84 Jahre alt werden würde, was statistisch gesehen durchaus möglich war, dann wäre das ja nur eine halbe Millionen Euro pro verpasstem Jahr, überschlug er das Angebot schnell. Das war ihm irgendwie zu wenig. Jetzt, wo er das erste mal über einen Geldwert seines Lebens nachdachte, wurde ihm auch so richtig bewusst, was er im Alter alles tun wollte – mit seiner Rente. Und dem Boot, das er sich ja auch vom Ersparten kaufen könnte. Da wären halt das kleinere Boot und das schlechtere Radio angesagt. Und das war es auch schon. Mehr fiel ihm beim besten Willen nicht ein, wenn er sich seine Rententage ausmalte. Er hatte tatsächlich nichts geplant, was ihm im Alter irgendwie erstrebenswert erschien. Haus. Frau. Kinder. Enkelkinder. Baum und Garten. All das hatte er nie als ein ihm zustehenden Recht begriffen. Er war einfach da uns bisher war alles glatt gelaufen. Die Notwendigkeit, große Träume zu haben, bestand einfach nie. Er hatte sich immer vorgenommen, später darüber nachzudenken.
Und überhaupt waren eine halbe Millionen pro Jahr doch, so schien es ihm Moment, viel zu wenig. Natürlich rollte er die Rechnung falsch herum auf, denn das Geld würde ihm ja für den Rest seines Lebens zustehen und nicht ab seinem Ableben – und dadurch wäre es sogar noch weniger als eben jene Summe pro Jahr – jedoch: steuerfrei und mit viel dadurch erzeugter Freizeit ließ es sich doch bestens leben. Viel mehr als alle Menschen, die Peer Flint kannte, hätte er dann gehabt. Aber auch sein Sinn für schwachsinnige Gier war wenig entwickelt; nette Menschen hätten ihm gar Bescheidenheit attestiert.
„Ich will nicht nur 60 Jahre alt werden!“, wiederholte er, wie um sich zu vergewissern. So richtig überzeugt war er davon zwar nicht, aber er war sich auch sicher, dass alle anderen Aussagen ein gigantischer Fehler gewesen wären.
„Hier bin ich“, dachte er sich. „Peer Flint: 32 Jahre alt und ich habe noch alles vor mir.“
„Du könntest, wie gesagt, 110 Jahre alt werden“, erklärte Melv ihm dann. „Allerdings hast du nicht so wirklich eine Wahl. Ruben hat dir schon gesagt, dass wir dich eventuell liquidieren müssten?“
„Ja“, antwortete Peer mechanisch.
„Eben. Und darum sagen wir dir ja, wie es ist. Du weißt, dass es eine Organisation gibt, die mit menschlichen Genen herumbastelt. Und dass wir Klone sind. Und dass du genetisch perfekt bist. Was wäre das wohl für eine Arbeit, das zu vertuschen, wenn das heraus käme?“, fragte Melv rhetorisch.
Sämtliche Freundlichkeit entwich aus den Gesichtern der Klone und Peer realisierte, dass die Situation bis jetzt nicht bedrohlich gewesen war. Die After waren beschnüffelt und die Reviere markiert. Die zwei Bulldoggen